Mutti Modus

Über Freund*innenschaft, radikale Fürsorge und warum Zärtlichkeit ein politisches Versprechen sein kann

Was passiert, wenn wir Mothering nicht länger als identitätsstiftende Funktion verstehen, sondern als gelebte Praxis? Wenn wir es nicht an biologische Familie binden, sondern dorthin verlagern, wo wir leben – in Freund*innenschaften, queere Netzwerke, temporäre Allianzen? Wenn es nicht mehr darum geht, wer man ist, sondern wie man für andere da ist?

Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025
Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025
Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025

Wenn Freund*innen mich „Mutti“ nennen, dann ist das für mich kein Scherz oder eine lästige Zuschreibung, sondern ein anerkennendes Kompliment. Es beschreibt eine Haltung, die ich gern einnehme – ohne Perfektionsanspruch, ohne Erwartungen. Für mich heißt bemuttert werden, kurz Pause machen zu dürfen. Nicht funktionieren zu müssen. Einfach gehalten zu werden, ohne Angst haben zu müssen, zu viel zu sein.

Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025
Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025

Wir denken oft, diese Fürsorge sei an Familie gebunden. Dabei geht es im Kern um Aufmerksamkeit und das Dasein für andere – ohne Bedingungen. Es geht darum einen Raum zu schaffen, in dem wir lernen dürfen, nicht funktionieren zu müssen, und wo Bedürftigkeit nicht als Schwäche gilt. 

 

In meinem Leben waren es oft nicht Eltern oder Familie, die diese Nähe ermöglicht haben, sondern Freund*innen. Menschen, die geblieben sind. Die gesehen haben, was fehlt, ohne dass man es sagen muss. Vielleicht verschiebt sich Fürsorge allgemein, wenn man älter wird. Vielleicht muss man sie sich neu aneignen. Lernen, schenken, annehmen – ohne Bedingung. 

 

In queeren und feministischen Kontexten wird „mothering“ längst als kollektive Praxis neu gedacht – als geteilte Verantwortung, als Verbundenheit, die nicht auf traditionelle Familienmodelle beschränkt ist. Dort, wo klassische Strukturen fehlen oder scheitern, entstehen tragende Netzwerke und temporäre Allianzen. Diese Verlagerung macht deutlich, dass Fürsorge nicht an biologische oder institutionelle Zugehörigkeiten gebunden sein muss, sondern durch die bewusste Entscheidung füreinander da zu sein entsteht. 

Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025
Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025

„Bemuttern“ meint also weniger eine Rolle, sondern eine Geste. Es geht nicht um Muttersein, sondern ums Fürsorglich-Sein. Um Care-Arbeit, die sich nicht über Identität, sondern über Handlung definiert: 

 

„Ich sehe dich – und ich bleibe.“

 

In einer Gesellschaft, die Leistung über Beziehung stellt und Bedürftigkeit stigmatisiert, ist mothering ein stiller, aber wirksamer Akt der Gegenbewegung. Es geht nicht um Mutterschaft im biologischen Sinn, sondern um eine fluide, wechselseitige Fürsorgepraxis, die Freund*innenschaften stärkt, neue Formen von Nähe schafft und sich dem bestehenden Leistungszwang widersetzt. 

 

„Ich halt dich aus, auch wenn du nicht leuchtest.“ „Ich bin da, auch wenn du’s gerade nicht bist“. Wer so gehalten wird, lernt sich selbst neu kennen. Mothering wird so zu einer sozialen Imagination, einem Möglichkeitsraum für andere Formen des Zusammenseins. Nicht die Frage, wer man ist, zählt – sondern wie man da ist, für sich und für andere. Eine radikale Praxis der Nähe in einer Gesellschaft, die oft das Gegenteil verlangt.

Mutti Modus – Angewandte Fotografie 2025

Dabei geht es nicht darum, jemanden zu reparieren. Sondern da zu sein. 

Nicht als Rolle, sondern als wiederholte Handlung. 

Nicht perfekt, aber präsent. 

Nicht funktional, aber verlässlich. 

 

Wenn ich heute mit Freund*innen unterwegs bin, mich kümmere, achte, organisiere – dann wird diese Fürsorge sichtbar. Und politisch. 

 

Weil sie nicht fragt, ob jemand sie verdient hat. Wenn dann jemand sagt: „Du bist echt wie ’ne Mutti.“ Oder: „Danke, Mama.“ – dann fasst das etwas zusammen, das schwer in Worte zu fassen ist. Eine Form von Beziehung, die nicht auf Verwandtschaft beruht, sondern auf Aufmerksamkeit. Auf dem Wunsch, füreinander da zu sein.

Ein Projekt zum Thema M(OTHER)ING, realisiert in Zusammenarbeit mit der Klasse für Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien unter der Leitung von Univ.-Prof. Maria Ziegelböck an der Universität für angewandte Kunst Wien. Entstanden im Rahmen des Kurses MATCH! #4 von Yasmina Haddad.

Die Wechselbeziehung zwischen Fotografie, Mode und Casting wird untersucht und dabei der Fokus auf die Beziehung zwischen Fotograf*in und Fotografierten gelegt – und umgekehrt. Die Mutterfigur ist dabei nicht biologisch gemeint, sondern wird durch Handlungen der Fürsorge betrachtet: m(other)ing ist ein Verb. Mütter müttern, Väter müttern, Freundinnen müttern – man kann auch die Mutter eines Hauses sein! Seid ihr mütterlich? Oder seid ihr Mütter? Wie Queens?*

Jasmin Biber (1995) ist Fotografin und visuelle Künstlerin und studiert derzeit Fotografie und zeitbasierte Medien an der Universität für angewandte Kunst Wien. In ihrer künstlerischen Praxis greift sie gesellschaftliche Themen auf und schafft Bilder, die die universellen Erfahrungen von Zugehörigkeit, Identität und sozialen Beziehungen sichtbar machen. Sie setzt sie sich mit Fragen zu sozialer Klasse, transgenerationalen Trauma und Care-Arbeit auseinander – oft ausgehend von persönlichen Erfahrungen und biografischen Momenten. Ihre Arbeit versteht diese Themen als kollektive, strukturelle Herausforderungen und lädt dazu ein, sie als gemeinsame Erfahrungen zu reflektieren.

An meine loving und supporting Freundinnen, vor und hinter der Kamera:
Models: Vanessa Z. mit Dalmonia R., Lea M. mit Hanna, Charlotte L. mit Paulina S., Francis mit Maria