M steht für Merlinka

Vjeran Merlinka ist die erste öffentlich erklärte trans Person im ehemaligen Jugoslawien. Nach ihrer Ermordung 2003 ist ihr Haus – und damit auch ihre Legacy – zugesperrt und vergessen worden. Uns ist es gelungen, einige ihrer Besitztümer zu retten, darunter ein Tagebuch und Originalskulpturen

M steht für Merlinka – Angewandte Fotografie 2025
M steht für Merlinka – Angewandte Fotografie 2025

Foto oben: Tanasije in den Überresten von Merlinkas ehemaligen Zuhause, wie sie eine Pose aus einem Archivfoto nachstellt.

 

Foto links: Skulptur ohne Namen, vermutliches Originalstück, zugeschrieben zu Vjeran Miladinović Merlinka, derzeit im Kulturzentrum von Belgrad ausgestellt.

 

Als Person des öffentlichen Lebens war sie von großer Bedeutung für die queere Community und Kultur. Während ihrer Zeit in Belgrad hat sie in Belgrads Planetarium in Kalemegdan, gelebt und gearbeitet. Dort hat sie einen bedeutenden Beitrag fur die Astronomischen Gesellschaft Serbiens geleistet, sich um das Planetarium und die Umgebung gekümmert sowie ihren ganz persönlichen, kreativen Fingerabdruck hinterlassen.

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„Komm gut nachhause“, Ringskulptur von Leonie Holtkamp.

 

Im Laufe der Jahre hat sie im Innenhof des Gebäudes ihr „Betonnest,“ wie sie es genannt hat, gebaut, wo sie kleinformatige Figuren sowie Keramiken und Ornament gesammelt und geschaffen hat, die sie an den Wänden ihres Hauses angebracht hat. An der Eingangstür sind ihre Initialen M.V. zu finden. Nebenbei hat sie zusätzlich als Sexarbeiterin gearbeitet, worüber sie regelmäßig gesprochen hat. Im Laufe ihres Lebens hat sie zwei Bücher geschrieben und hat in mehreren Filmen mitgespielt, darunter der autobiografische Film Marble Ass unter der Regie von Želimir Žilnik.

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Tanasije in seinem Schlafzimmer, Kleid von Jara Dilara Noori.

 

Mit dem Zerfall Jugoslawiens und dem rasanten Anstieg des Nationalismus und konservativer Politik hat es immer weniger Raum für Queerness in der Kultur und im gesellschaftlichen Leben gegeben, was letzen Endes zu ihrer Ermordung im Jahr 2003 geführt hat - ein Verbrechen, für das niemand jemals angeklagt oder zu Rechenschaft gezogen worden ist. 

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Eine Kugel und ein Ring, gefunden in Merlinkas ehemaligem Haus, derzeit im Kulturzentrum von Belgrad ausgestellt.

 

Nach ihrer Ermordung ist ihr Haus – und damit auch ihre Legacy – zugesperrt und vergessen worden. Im Jahr 2024 haben Arbeiter:innen mit dem Abriss ihres Hauses begonnen, nachdem eine Renovierung der Gegend angeordnet worden ist. Einer Gruppe von Kulturschaffenden – Marija Iva Gocić, Leah Rivka Lapiower, Sara Pantović, Chloé Sassi, inklusive mir, Pavle Banović – ist es jedoch gelungen, einige ihrer Besitztümer zu retten, darunter ein Tagebuch und Originalskulpturen. In einem Akt des Aktivismus haben wir diese Gegenstände archiviert und haben sie in die dauerhafte Sammlung des Kulturzentrums von Belgrad übergeben.

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Tanasije in seinem Schlafzimmer, Flagge „Moj Život (Mein Leben)“ Zeichnung aus Merlinkas Notizbuch, Top von Nathalie Simone Duran Rodriguez.

 

Das Projekt „M steht für Merlinka“ hat die Form einer experimentellen Fotoserie, die dokumentarische, archivarische und redaktionelle Fotografien kombiniert, die von mir in verschiedenen Phasen des Umgangs mit Merlinkas Legacy aufgenommen worden sind. Das Styling ist von Ilija Nestorović, der Silberguss von Otis Vogl-Ferheim und das Modeln und Interpretieren von Tanasije, ein junger queerer Künstler und Model aus Belgrad. Alle Elemente sind von Merlinkas Legacy und ihrem Archiv inspiriert, mit dem Ziel, ihre Geschichte zu ehren und ihre Relevanz für die zeitgenössische queere Kultur und die Kunst einer neuen Generation zu erkunden. Das Fotoshooting hat in Belgrad stattgefunden, an dem Ort, an dem sich das inzwischen abgerissene Haus befunden hat, und in dessen Umgebung, Kalemegdan.

M steht für Merlinka – Angewandte Fotografie 2025

Ruinen vom Merlinkas „Betonnest-Skulptur“ in ihrem Garten. 

M steht für Merlinka – Angewandte Fotografie 2025

Eine Rückseite eines zerstörten Bildes gefunden in Merlinkas ehemaligen Zuhause, derzeit im Kulturzentrum von Belgrad ausgestellt.

 

Als Inspiration haben uns hauptsächlich behind-the-scenes Fotos eines Films in dem sie die Hauptrolle gespielt hat, auf denen ihr unverkennbarer Stil – der stark von der Mode der 70er und 80er Jahre beeinflusst ist – sowie Materialien und deren symbolische Bedeutungen, die wir in ihrem Archiv gefunden haben, gedient. Dazu gehören eine Porträtskulptur, eine inzwischen abgerissene Betonstruktur in ihrem Garten sowie eine Kugel und ein Ring, die beide ihr gehört haben. Diese Elemente unterstreichen Ambiguität und Queerness als zentrale Motive des Projekts – widergespiegelt in Identität, Materialien, Erzählungen und allem, was mit dem Leben, das sie geführt hat, verbunden ist: Mut, Selbstbestimmung und Schönheit.

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„Für Merlinka“, maßgeschneidertes Silberobjekt, oxidiertes Silber Sterling von Otis Vogl-FernheimInspiriert, inspiriert von Merlinkas Archiv.
 

M steht für Merlinka – Angewandte Fotografie 2025

Tanasije in dem Garten von Merlinkas ehemaligen Zuhause, Flaggenzeichnung von Merlinka’s Notizbuch, Rock von Liam Pfefferkorn, Top von Ilija Nestorović.

Ein Projekt zum Thema M(OTHER)ING, realisiert in Zusammenarbeit mit der Klasse für Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien unter der Leitung von Univ.-Prof. Maria Ziegelböck an der Universität für angewandte Kunst Wien. Entstanden im Rahmen des Kurses MATCH! #4 von Yasmina Haddad.

Die Wechselbeziehung zwischen Fotografie, Mode und Casting wird untersucht und dabei der Fokus auf die Beziehung zwischen Fotograf*in und Fotografierten gelegt – und umgekehrt. Die Mutterfigur ist dabei nicht biologisch gemeint, sondern wird durch Handlungen der Fürsorge betrachtet: m(other)ing ist ein Verb. Mütter müttern, Väter müttern, Freundinnen müttern – man kann auch die Mutter eines Hauses sein! Seid ihr mütterlich? Oder seid ihr Mütter? Wie Queens?*

Gefördertes Sonderprojekt der Hochschüler_innenschaft – Universität für angewandte Kunst

Fotografie: Pavle Banović

Foto-Assistentin: Anastasija Pavić 

Styling: Ilja Nestorović

Model: Tanasije

Skulptur: Otis Vogl-Ferheim 

Pavle Banović arbeitete und hat bereits in Räumen in Belgrad (Serbien), darunter das Museum für zeitgenössische Kunst, das Goethe-Institut, U10 und die Podroom Gallery; P74 und die Kresija Gallery in Ljubljana (Slowenien), das Künstlerhaus und das Queer Museum in Wien (Österreich) sowie Residency Unlimited in New York (USA) und SKC in Novi Sad (Serbien) ausgestellt. Pavle erhielt den Telekom Srbija Award (2018) sowie den IFCA (2020) in Maribor und den Mangelos Award (2022), der vom Center for Contemporary Art in Belgrad und der The Foundation for Civil Society in New York verliehen wird. Sie sind Mitglied der Künstlergruppe D.U.O. und des letztjährigen Futures Photography Programms, nominiert von Organ Vida.

In deren Arbeit erforscht Pavle die verschiedenen Formen der Existenz und des Handelns in der heutigen Zeit und versucht, sie neu zu untersuchen und analysiert dabei die Beziehung zwischen Individuen und Ideologien und wie sie sich gegenseitig destabilisieren oder verändern können. In den letzten Jahren konzentrierte Pavle sich auf Video und Fotografie als zeitgenössische Technologien, die unsere Lebenserfahrungen stören und gestalten und umgekehrt. Pavle arbeitet sowohl in der bildenden Kunst als auch in angewandten Medien.

Ilja Nestorović, ursprünglich aus Serbien, studiert derzeit Modedesign an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Seine Praxis zielt darauf ab, komplexe emotionale Erfahrungen und Geschichten aus dem wirklichen Leben durch eine stark stilisierte Modelinse zu erforschen.

Otis Vogl-Ferheim  (geb. 2003, Innsbruck) ist sowohl Künstler als auch angehender Goldschmied. Nach dem Abschluss an der HTL für Grafik- und Kommunikationsdesign in Innsbruck studiert er seit 2024 Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Seine Arbeiten bilden ein Zusammenspiel aus Handwerk, Konzept und Material. Sie bewegen sich meist in einem sozialkritischen und politischen Kontext.

In der Arbeit „Für Merlinka“ arbeitet er mit Kontrasten und Transformationen. Das Objekt ist Ausdruck einer persönlichen Interpretation dessen, was von ihrem Leben erhalten geblieben ist. Das Werk, bestehend aus zwei aufeinanderliegenden, oxidierten Silberplatten, ist inspiriert von Merlinkas persönlichen Notizbüchern, Fotografien und verschiedenen Hinterlassenschaften aus ihrem Besitz.