Der „Miststück“-Fotograf

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Miststück – so hieß nicht nur Daniel Josefsohns legendäre MTV-Plakatkampagne in den Neunzigern. Sie war Ausdruck seiner Haltung, mit der der deutsche Punk der Fotowelt (1961–2016) durchs Leben ging: trotzig, rotzig, laut. Die Galerie Crone in Berlin stellt unbekannte Schätze aus seinem Privatarchiv aus. Ein Einblick.

Text: Elisa Promitzer

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn
Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto oben: Untitled, 1996

 

Kein anderer fing die Ekstasen und die Abstürze der Jugend in den Neunzigern so ungeschönt ein wie Josefsohn – vielleicht, weil er nie nur Beobachter war, sondern immer sehr nah dran oder eher mittendrin. Für eine MTV-Kampagne 1993 fotografierte er junge Frauen in Schwarz-Weiß, auf deren Körpern Schriftzüge wie „Eingebildete Kuh“, „Konsumgeile Göre“ oder „Miststück“ prangten. Es waren sozusagen die weiblichen Antipoden zu den männlichen „Slackern“ der Zeit – also jungen Männern, die gegen das Leistungsdenken der Gesellschaft rebellierten: lässig, passiv, desinteressiert. Fotos, die so ikonisch wurden, wie die von Jürgen Teller oder Wolfgang Tillmans aus dieser Zeit.

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Untitled, 2002

 

„Früher war das Skateboard die Verlängerung meines Fußes, dann die Kamera die Verlängerung des Arms", erzählte er dem „ZEITmagazin".

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn
Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Untitled, 2004

Foto rechts: Untitled, 1998

 

Der in Hamburg geborene Fotograf übernahm 2011 bis 2013 den Job als Kreativdirektor der Volksbühne Berlin für die er legendäre Plakatserien schuf. Außerdem arbeitete er für die Zeitgeist-Magazine der damaligen Zeit, darunter „Tempo", „SZ-Magazin" und das „ZEITmagazin". 

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Ein fruchtiges Porträt: Josefsohn als Bananenmodel mit zwei Polizisten in Brasilien. (Untitled, 2004)

 

Für „DIE ZEIT“ war Daniel Josefsohn „der größte und genialste Punk der Fotowelt“, für die „Süddeutsche Zeitung“ ein „Berserker mit der Kamera, der ein Leben auf der Überholspur der Bilderflut-Autobahn führte.“ 

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn
Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Untitled, 2007

 

Foto rechts: Die deutsche Performerin Peaches in High Heels und Gorillakostüm. Dieses gehörte neben „Star Wars“-Masken zu Josefsohns liebsten Requisiten. (Untitled, 2008)

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto oben: Untitled, 2007

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links:  Sexuell aufgeladen oder nur ein intimer Moment durch einen Schnappschuss festgehalten. (Untitled, 1996)

 

Warum seine Fotos so anders sind? Vielleicht, weil sie aus einer letzten Generation stammen, die noch nicht in der Selfie-Perspektive gefangen war. Menschen, Orte, Nächte – Geheimnisse durften noch Geheimnisse bleiben – und Josefsohn war Teil davon.

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Untitled, 2007

 

Er konnte Skandale nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch: „Ich war mit Sicherheit der erste Jude, der die Dachspitze des Bayreuther Festspielhauses erklommen hat. Ein Jude auf Hitlers Pimmel ist so ziemlich das Letzte, was in den Köpfen der Festspielleitung vorkommt. Wie es sich angefühlt hat? Ein kleiner Schritt für mich, ein großer für die jüdische Seele.", berichtete er dem „ZEITmagazin". Er schaffte es, dass ihm die Promis vertrauten: Für ihn stellte sich Schauspielerin Charlotte Roche in dreckiger Unterwäsche vor die Kamera, Schauspieler Udo Kier klebte sich ein Polaroid mit nackten Brüsten aufs Hemd und der Intendant Frank Castorf trug den Nerz seiner Oma, die den Holocaust überlebt hatte. 

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto oben: Die deutsche Band „Deichkind“ mit selbst gebastelten Aluhüten. (Untitled, 2006)

Fotograf des Monats: Daniel Josefsohn

Foto links: Untitled, 1996

 

Im November 2012 erlitt der Künstler einen Schlaganfall. Ab 2014 dokumentierte er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, Karin Müller, ein Jahr lang sein Leben vor und nach diesem Schicksalsschlag für das ZEITMagazin. Der Blog hieß „Am Leben“.

 

Für diese Arbeit wurden beide 2014 mit dem Deutschen „Lead Award“ für die beste Reportagefotografie ausgezeichnet. 2016 verstarb Josefsohn im Alter von nur 54 Jahren. 

Die Ausstellung „Unseen“ kann man bis 29. November in der Galerie Crone Berlin besuchen. Es werden über 80 bisher unveröffentlichte Arbeiten von Josefsohn gezeigt, die der Leiter des Hauses der Photographie in Hamburg, Ingo Taubhorn, kuratierte. 

Wann: Dienstag bis Samstag, 11 bis 18 Uhr 

Wo: Fasanenstraße 29, 10719 Berlin

Werkstattgespräch mit dem Kurator der Ausstellung Ingo Taubhorn und der Nachlassverwalterin und langjährigen Lebensgefährtin von Daniel Josefsohn, 28. November 2025, 18 Uhr

Hier geht es zum Nachlass Daniel Josefsohn! Hier kann man durch seinen alten Facebook-Account stöbern.

OK DJ, die erste Monografie des Ausnahmefotografen mit einem Best-of aus seiner ZEITmagazin-Kolumne Am Leben gibt es für 29,80 € zu kaufen.

Werke von Daniel Josefsohn wurden zu seinen Lebzeiten im Hamburger Kunstverein, dem Deutschen Historischen Museum Berlin, den Hamburger Deichtorhallen, dem City Museum Haifa und bei der Ruhrbiennale gezeigt. Sie befinden sich u.a. in der Sammlung Boros, Berlin, im Jüdischen Museum, Berlin, und im Jüdischen Museum, Frankfurt am Main.

Fotografin des Monats: Anna Breit

Text: Elisa Promitzer, Fotos: Anna Breit

Der österreichischen Fotografin Anna Breit (*1991) ist eine wunderschöne Ausstellung gelungen – sozusagen ein Liebesbrief an ihre Mutter und Oma. Wir zeigen Ausschnitte daraus. 

Brutale Sanftheit

Text: Rahel Schneider

benzii singt über gebrochene Herzen, rekelt sich dabei halbnackt im SCHLAMM und entführt uns in eine Welt zwischen Märchen, Albtraum und expliziter Körperlichkeit – die Berliner Avantgarde-Popmusikerin tanzt auf den Trümmern der Norm.

Mutter und Zsöhnchen

Text: Antje Salvi, Rahel Schneider, Fotos: Vivienne Aubin

Wir trafen die 95-jährige Brigitte Meese mit ihrem berühmten Sohn, dem deutschen Künstler Jonathan Meese, mit dem sie seit über dreißig Jahren zusammenarbeitet. Wir sprachen darüber, wie man ein so herausforderndes Leben als Mutter (mit)lebt, warum das mit Hitler dann doch zu viel war, weshalb Liebe und Pflege Kunst sind – und wie sie beide noch mal so richtig loslegen wollen.