Brutale Sanftheit

on top / riding it through / let me get to you

benzii singt über gebrochene Herzen, rekelt sich dabei halbnackt im SCHLAMM und entführt uns in eine Welt zwischen Märchen, Albtraum und expliziter Körperlichkeit – die Berliner Avantgarde-Popmusikerin tanzt auf den Trümmern der Norm.

Text: Rahel Schneider

„Zwischen süß und Horror“

Rahel Schneider: Wann hast Du Dich das letzte Mal so richtig geekelt?

benzii: Für das Musikvideo zu dem Song „Drip Drop“ hatte ich versucht, Schlamm herzustellen – klingt einfach, war es aber nicht. Zuerst versuchte ich es mit Erde, was keine gute Idee war, dann musste eine Masse aus Mehl, Tapioka-Stärke und Wasser herhalten. It was so awful! Nachdem ich mich für den Dreh ewig lange in diesem Matsch gewälzt hatte, stand ich dann mitten im Winter nackt draußen und musste von einem Kumpel wieder abgebraust werden. Sowas holt einen zurück auf den Boden.

Alles für die Kunst!

Alles für die Kunst (lacht). Ich bin da sehr fokussiert. Für mich ist es wichtig, dass das, was ich mache, authentisch ist. Und wenn es manchmal ein bisschen unangenehm wird, ist das Teil des Prozesses. 

Provozierst Du gerne?

Ich liebe Uncanniness (Gefühl des Schreckhaften, verstörende Irritation, Anm. d. Red.). Meine Kunst soll genau das auslösen – aber eben subtil. Es soll einen Moment dauern, bis man wirklich versteht, was man da sieht. Ich mag es einfach, nicht einfach zu sein! Komplexität fasziniert mich. David Lynch ist dafür eine riesige Inspiration, genauso wie die Musikerinnen Björk oder Eartheater.

Deine Texte handeln oft von Herz- und Weltschmerz, was im Kontrast zu dieser düsteren Ästhetik steht. Was reizt Dich an diesem Gegensatz?

Ich werde oft als hart und tough wahrgenommen, dabei bin ich eine totale Softie. Der Kontrast zwischen diesen Seiten – zwischen hart und zart, süß und Horror – beschreibt genau, wie ich mich fühle.

Deine Musik ist also eine Selbstreflexion?

Auf eine Art schon. Ich bin ständig hin- und hergerissen zwischen den Extremen, genau wie ich in meiner Kunst.

„benziicore“

Was hat es mit der Spirale als Symbol auf sich?

Ein befreundeter Musiker, Diggidaniel, hat mir auf Instagram ein Foto einer Steinspirale geschickt und kommentierte dazu: „Ey, voll benziicore!“ (Die Endung „-core“ wird verwendet, um eine spezifische Ästhetik zu beschreiben, Anm. d. Red.). Daraufhin bin ich total in die Symbolik der Spirale eingetaucht. Ich finde, sie ist sehr faszinierend. Im Leben denken wir ja oft, dass wir ständig die gleichen Fehler machen und immer wieder dieselben Gefühle erleben – sei es Liebe oder Scheitern. Aber wenn man wirklich zurückblickt, merkt man, dass man doch anders reagiert hat, dass man gewachsen ist. Für mich fühlt sich das Leben oft wie eine Spirale an.

Dein Track „Riding it“ bietet viele Interpretationsmöglichkeiten …

Das beschreibt perfekt, was ich mit meinen Songs mache. Du kannst „Riding it“ einerseits als einen Song verstehen, der davon spricht, „on top of someones son“ zu sein, andererseits kann man ihn auch als eine Art Überlebenshymne lesen, die davon handelt, sich durch schwere Zeiten zu kämpfen und trotzdem obenauf zu bleiben. Ich liebe diese Ambivalenz. Die Musikerin Eartheater, besonders mit ihrem Album Trinity, hat mich da sehr inspiriert. Ihre Songs wie „Spill the milk“ sind sowohl sexuell als auch metaphorisch aufgeladen.

„Muss endlich los, meine Beine spüren.“

Erinnerst Du Dich an den Moment, an dem Du zum ersten Mal etwas Eigenes geschrieben hast?

Das waren sehr dramatische, sehr pubertäre Gedichte mit sehr tiefgründigen Gedanken, die man als Teenager eben so hat (lacht).

Wie wurde aus dieser Teenie-Poesie dann Musik?

Ich habe früher Klavier gespielt, aber irgendwann hat mich das Nach- und Abspielen von Songs gelangweilt. Ich wollte nicht mehr die Geschichten anderer vertonen, sondern meine eigenen. Also hab ich angefangen, meine Texte mit Musik zu verbinden.

Wie entsteht bei Dir heute ein Song? Gibt es ein festes Ritual?

Meistens fängt alles mit einer Emotion an. Ich laufe viel durch die Straßen oder durch die Natur – dann kommt plötzlich so ein Satz, ein Bild, eine Stimmung. Daraus entsteht der Text. Die Musik kommt erst später. Schreiben ist für mich sehr intim, das mache ich am liebsten alleine, bevor’s dann ins Studio geht und wir den Beat bauen.

Hat sich da schon mal jemand beschwert, der sich in Deinen Texten wiedergefunden hat?

Ehrlich gesagt fände ich das total witzig (lacht). I do it for the Plot and the drama!

„I do it for the drama.“

Wer kritisiert Dich?

Ich glaube, am meisten ich selbst. Viele Künstlerinnen sind innerlich so zerrissen, ob ihr Berufsweg die richtige Entscheidung war. Aber es ist halt eine Berufung! Trotzdem ist da oft so ein strafender Erwachsener in meinem Ohr, der mir zuflüstert, ich solle etwas Vernünftiges machen.

Gibt es neben dem Teufelchen auch ein Engelchen, das Dir mal was Nettes ins Ohr flüstert?

Ja, zum Glück schon. Von meinen Eltern habe ich gelernt, sehr mutig zu sein, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Sie haben beide viel riskiert, um dorthin zu kommen, wo sie heute stehen.

„Ich liebe Uncanniness.“

Wie gehst Du mit dem Druck um, immer gegen den Strom zu schwimmen?

Es ist nicht einfach. Besonders in Deutschland fühle ich mich oft missverstanden. Viele denken, man müsse den aktuellen Trend mitmachen, um gehört zu werden. Ein Beispiel: Der Track „Beine spüren“ ging auf TikTok plötzlich total durch die Decke – irgendwie völlig zufällig. Ich kann nicht mal genau sagen, warum der so abgegangen ist. Daraufhin waren Labels interessiert, jedoch nur an dem, was in ihren Augen sicher funktioniert: Deutsch in Kombination mit Trance. Aber das ist einfach nicht mein Ding. Natürlich würde jeder lügen, wenn er sagen würde, dass er nicht auf Anerkennung aus sei. Aber für mich geht es mehr darum, von den richtigen Menschen verstanden zu werden – von denen, die sich mit meiner Musik auseinandersetzen, vielleicht ähnliche Sachen machen oder dieselbe Musik feiern wie ich. Das ist für mich Erfolg.

Du gehst visuell einen sehr eigenen Weg – oft roh, intim, sehr explizit. Manche würde sagen, pornografisch. Was sagst Du dazu?

Ich finde nackte Haut und Intimität wahnsinnig ästhetisch – aber auch ambivalent. Das alles kann wunderschön sein, aber auch richtig unangenehm. Jemanden so nah an sich ranzulassen, bringt eine Verletzlichkeit. Genau das fasziniert mich: dieses Spiel mit Macht – sie abzugeben oder sie zu bekommen. Diese Spannung ist total emotional aufgeladen.

Erntest Du dafür oft Häme und Kritik?

Ja, auf jeden Fall. Mir ist das aber relativ egal – für mich zählt, dass sich alles ehrlich und richtig für mich anfühlt. Wenn das in Augen anderer als Rebellion gelesen wird, ist das eben so.

Danke für das Gespräch!

Die Musikerin benzii, bürgerlich Elisabeth Renner, wurde in Hamburg geboren und zog kurz nach ihrer Geburt mit ihrer Familie nach Berlin. Heute lebt und arbeitet sie dort als Songwriterin, Musikerin, DJ und visuelle Künstlerin. Ihre Musik bewegt sich zwischen Indie-Sleaze, Breakbeats und Techno-Pop. Ihre EP Spirallore erschien im Oktober 2024. Im Februar erschien die dazugehörige Remix-EP „spirallore +++“.

(DP)