Julia Bauereiß: In der Popkultur singt man über das Wetter: Hurricans, Regen und Stürme. Warum?
Christian Elster: Da wird in „Singing in the rain“ im Liebestaumel unter strömendem Regen getanzt, der dem Glück natürlich nichts anhaben kann. „Thunderstruck“ von AC/DC steht idealtypisch für die sexualisierte und ekstatische Energie des Rock ’n’ Rolls und auch Naturkatastrophen sind häufig in Popsongs thematisiert worden, wie beispielsweise der Hurrikan „Katrina“, der New Orleans verwüstete, im Song „O Katrina“ von den Black Lips.
Ich denke auch an Bob Dylans Lied „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“?
Bob Dylan ist der Künstler mit den meisten Wetterreferenzen. In fast einem Drittel seiner Songs soll es Bezüge zum Wetter geben, will immerhin ein Fan nachgezählt haben. Solche Metaphern können etwas darüber verraten, welche Konzepte und Vorstellungen von Wetter und von menschlichen Gefühlen zu einer Zeit vorherrschend waren. Vor allem in der Frühphase des Radios, in den 1920ern bis in die 1960er-Jahre hinein, mussten Wetterereignisse in Songtexten beispielsweise als Metapher für sexuelle Aktivitäten herhalten, um einer strengen Zensur zu entgehen. Hitzewellen und Tornados wurden so zu einer nicht allzu schwer zu entziffernden Chiffre für Sex.
Von dem, was die Natur an Unheilomen bietet, ist diese Gewitterwolke dem Atompilz ästhetisch am nächsten.
In den Himmel zu schauen ist wieder ziemlich in Mode. Haben Sie als Ethnologe dafür eine Erklärung?
Ich bin mir nicht sicher, ob es in Mode ist, in aller Munde – ja! Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist eine neue Sensibilität für das Wetter und Wolken zu beobachten, das war lange Zeit anders. Historisch gesehen haben wir in der Moderne begonnen, das Wetter besser zu verstehen. Der Aberglaube an zürnende Götter hinter Unwettern wich naturwissenschaftlichen Erklärungen und so wurde das Wetter zunehmend zu etwas Banalem, vor allem für die bürgerliche Gesellschaft. Durch die Urbanisierung verlor das Wetter an existenzieller Bedeutung und rückte eher als Kulisse in den Hintergrund.
„Über das Wetter reden“ war lange Zeit Inbegriff für Smalltalk und das Banale?
Mit dem Klimawandel erfährt das Thema nun auf breiter Ebene eine neue Relevanz, was sich in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft zeigt. Wetter und Wolken werden wieder zu zentralen Inhalten von Kunst, Literatur, sozialen Bewegungen und politischen Diskursen. Auch im Alltag merken wir, dass sich das lange Zeit unverfängliche Gesprächsthema allmählich zu einem unbehaglichen wandelt.
Was interessiert Sie als Ethnologe am Wetter?
Ich interessiere mich derzeit sehr für kulturelle Dimensionen des Wetters. Lange haben wir die Natur als etwas vom Menschen Losgelöstes, als etwas Über- und Eigenmächtiges verstanden. Vor allem das Wetter galt als ein von Menschen unbeeinflusster und unbeherrschbarer „Zustand der Atmosphäre“. Wir leben jetzt in den Zeiten des Anthropozäns und begreifen, dass unsere Handlungen sehr wohl Einfluss auf das Wetter nehmen. Natur und Kultur stehen sich nicht entgegen, sie sind eng verschlungen und als Hybrid zu verstehen. Selbst die Wolken entziehen sich nicht unserem Einfluss – das wissen wir inzwischen. Wir nehmen teils gezielt, viel häufiger jedoch ungewollt, quasi als Nebenprodukt unserer Wirtschaftsweisen und Lebensstile, Einfluss auf Gestalt, Entstehung und Bewegungen von Wetter und Wolken.
Der Altostratus ist ein Riese und verdeutlicht nochmal die menschliche Zwergenhaftigkeit. Bei einer horizontalen Erstreckung von bis zu Hunderten von Kilometern und tausenden Metern vertikaler Ausdehnung ist er, wenn man nicht gerade einen Flug in den Süden chartert, unentrinnbar.
Klimatische Veränderungen sind längst auch in unseren Breitengraden angekommen. Welche Auswirkungen hat das auf unser Alltagsleben oder die Erziehung unserer Kinder?
Solche tiefgreifenden Veränderungen sind hochgradig verunsichernd und stellen viele Aspekte und Routinen unseres Alltagslebens in Frage. Wir sehen das zum Beispiel an vermeintlich banalen und einst unverfänglichen Freizeitbeschäftigungen wie dem Skifahren. Daran entfalten sich nun riesige ökologische, ökonomische und auch moralische Diskurse. Gerade in der Kindererziehung zeigen sich solche Veränderungen ganz deutlich, da wir nicht mehr das an unsere Nachfahrinnen weitergeben können, was sich in unserem Leben institutionalisiert hat, was wir erlebt, gelernt und verinnerlicht haben. Ich habe zwei Töchter, Schneelandschaften habe ich immer geliebt, nun weiß ich nicht, ob es zeitgemäß ist, ihnen noch das Skifahren beizubringen. Ein Winter ohne Schnee erlebe ich schon irgendwie als Verlust, aber ich werde ihn annehmen müssen. Die Klimasituation erfordert ein Hinterfragen von Hobbies, Lebensstil, Erziehung und Weltanschauung. Mir ist dabei sehr bewusst, dass sich das auf einer äußerst privilegierten Ebene abspielt.
„Wer hat Zugang zu Schatten, Grünflächen, Abkühlung?“
Das, woran ein Kind denkt, wenn es in ersten künstlerischen Versuchen eine Wolke darstellen will, der Archetyp einer Wolke.
Ein wolkenloser Himmel war bisher – zumindest in unseren Breitengraden – positiv besetzt. Kein Wölkchen am Himmel klingt mittlerweile eher bedrohlich - zumindest im Sommer. Spielen Sie mal Science-Fiction-Autor:! Wie könnte es bei uns in 30 oder 50 Jahren aussehen?
Ich forschte über den Neusiedler See im Burgenland, er war lange als „Meer der Wiener“ bekannt. Jetzt droht der See immer wieder auszutrocknen. Der Grundwasserspiegel sinkt zuweilen extrem ab, was die Landwirtschaft vor große Schwierigkeiten stellt. Durch die Erwärmung des Seewassers und den vielen Wind wird die Verdunstung vor Ort stark vorangetrieben. Außerdem regnet es seltener. Das Burgenland wirbt damit, die „Sonnenseite Österreichs“ zu sein. Am Seeufer stehen Tafeln mit dem Slogan „Mit der Sonne um die Wette strahlen“. Das hat etwas Unheimliches, weil alle vom extremen Wassermangel wissen und die Menschen um ihre Existenzen bangen. Es gibt verschiedene, teils umstrittene Ansätze, wie die Debatte um eine Anfüllung des Sees mit Donauwasser.
Was bedeutet der Klimawandel konkret für Wien?
Es gibt zahlreiche Bereiche, die sich durch noch heißere Sommer in Wien verändern könnten. Beispielsweise der Wohnungsmarkt. Schon jetzt möchte man im Sommer kaum im Dachgeschoss leben, weshalb das kühle Erdgeschoss in Zukunft vielleicht besondere Vorzüge genießen wird. Das könnte sich dann auch preislich auf den Wohnungsmarkt auswirken, aber ich weiß nicht, wann oder wie schnell. Es steht fest, dass die Besiedelung des Wohnraums im urbanen Raum schon immer mit einer sozialen Frage einhergeht, die sich durch mehr Stadtbegrünungen in Zukunft neu stellen könnte. Wer hat dann direkten Zugang zu Schatten, zu Grünflächen, also zur Abkühlung? Man kann in Wien jetzt schon beobachten, dass in den heißesten Bezirken, um den Gürtel herum zum Beispiel, eher wenig betuchtere Menschen leben.
Die bodennächste aller Wolkengattungen, die wir auch als Hochnebel kennen. Die Wanderinnen unter uns haben sie schon das eine oder andere Mal durchquert, bevor sie am Gipfelkreuz angelangt sind.
Können uns Popsongs etwas über das Wetter von früher verraten?
Popkultur konserviert einerseits Wandel und ist daher eine interessante Quelle. Ich denke an die Klimaforschung, die ja das Problem hat, dass oft keine konkreten historischen Messdaten vorhanden sind, weshalb man sich auf andere Quellen berufen muss. Beispielsweise Gemälde oder Literatur, die einen Einblick in das Wetter und das Klima vergangener Zeiten erlauben. Vor dem Hintergrund des aktuellen Klimawandels ist es interessant und tragisch zugleich, dass gewisse jüngere Songtexte vielleicht schon jetzt historische Quellen vergangener klimatischer Bedingungen geworden sind.
Die häufigste Wolkengattung Mitteleuropas ist auch in den Subtropen stark verbreitet und der häufige Begleiter aller Seemänner: Rund 20 Prozent des tiefen Meeres wird von ihnen bedeckt.
An welchen Song denken Sie da?
An „California Dreaming“! Einerseits wird das milde kalifornische Wetter, andererseits ein ebenso warmes soziales Klima beschrieben: die Hippie-Ära. Das hat sich total verschoben, sowohl das soziale als auch das meteorologische Klima. Denken wir zum Beispiel an die Waldbrände dort, die haben diese westliche Imagination vom Paradies stark bedroht, auch das soziale Klima ist in Kalifornien durch die Kluft zwischen Arm und Megareich zerrüttet. Beides hängt zusammen, wenn wir nur an die politischen Konflikte denken, die sich um den Klimawandel entwickelt haben. Gleichzeitig begleitet Popkultur gesellschaftliche Transformationen, treibt sie stellenweise voran. Das zeigt, dass sich gegenwärtige Phänomene, wie der Klimawandel, auch in diesem kulturellen Register widerspiegeln.
Wolke heißt im Englischen „Cloud“, aber den Begriff „Cloud“ verwenden wir gewöhnlich im Digitalen. Warum diese Analogie?
Im Vergleich zu Wolken sind digitale Clouds gar nicht so luftig, wie es ihr Name vermuten lässt. Sie basieren auf sehr komplexen Infrastrukturen, die eine sehr konkrete Materialität aufweisen – riesige Serverfarmen, Glasfaserleitungen, Sendemasten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Parallelen. Clouds und Wolken umgeben uns permanent und sind ein ständiger Teil unserer Umwelt. Täglich greifen wir auf Clouds zu, ohne uns die komplexen Infrastrukturen bewusst zu machen. Diese nehmen wir nur im Störfall wahr.
Ironischerweise kann man feststellen, dass eine naturwissenschaftliche Erforschung des Klimawandels nicht ohne Clouds und die Vernetzung von Daten auskommt?
Das Bild, das wir uns von der Wolke machen, wird massiv von der digitalen Cloud geprägt. Unser Wetterverständnis entsteht nicht mehr nur durch den Blick von unten in den Himmel, sondern durch den Blick von oben auf die Erde – also durch Satelliten und Datenvisualisierungen. Unsere Vorstellung von Wetter und Klima ist heute hochgradig technisch grundiert.
Der weniger bedrohliche, aber dennoch nichts Gutes verheißende Cousin des Cumulonimbus. Am besten wohl den Einwohnerinnen der britischen Inseln bekannt.
Wie weit verbreitet ist der Aberglaube, durch Rituale das Wetter beeinflussen zu können?
Wir haben alle schon von Regentänzen gehört oder von Wettersegen, die in landwirtschaftlich geprägten Regionen bis heute gebetet werden. Auch das Wetterläuten war lange Zeit verbreitet. Bei aufziehendem Gewitter wurden die Kirchturmglocken zum Läuten gebracht, einerseits zur Warnung, aber auch im Glauben, Blitz und Hagel würden nicht wüten, soweit der Klang zu hören ist. Im Wetterschießen mit Kanonen, einer ähnlichen Praxis, schwingt bereits die Vorstellung mit, der Donnerschlag, der die Luft in Bewegung setzt, könne das Unwetter auseinandertreiben.
Was mit dem Regentanz nicht geklappt hat, haben wir durch technische Mittel geschafft?
Technische Lösungen wurden vor allem in den 1950er- und 60er-Jahren in Zeiten des Kalten Krieges erprobt und stehen im Zusammenhang mit militärischen Experimenten. Es war der technikeuphorische Traum, das Wetter als Waffe zu nutzen, beispielsweise für gezielte Überschwemmungen. Besonders prominent ist das sogenannte Cloud-Seeding, das Wolkenimpfen. Dabei soll das Ausbringen bestimmter Chemikalien in die Atmosphäre Wolken zum Abregnen bringen oder auch Hagel verhindern. Wissenschaftlich ist die Wirksamkeit solcher Praktiken höchst umstritten. Zumindest die offizielle militärische Forschung zog sich in diesem Bereich bereits Ende der 1960er-Jahre zurück.
Wie und wo werden Wolken geimpft?
Das Hagelfliegen ist bis heute verbreitet. In der Steiermark gibt es beispielsweise eine genossenschaftlich organisierte Fliegerstaffel. Bei drohendem Hagel setzen sich ehrenamtliche Piloten in einmotorige Flugzeuge und sprühen Silberjodid in die Wolken. So soll Hagel verhindert und vor allem Felder vor Hagelschlag geschützt werden. Außerdem wird Cloud-Seeding immer wieder im Zusammenhang mit Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen oder Militärparaden erwähnt. Großmächte würden hier gezielt „Schönwetter“ für deren Festivitäten durch eben jene Technik herstellen. Die Unsicherheit darüber, was hier „wirklich“ praktiziert wird oder möglich ist, öffnet Verschwörungstheorien Tür und Tor.
Letzte Frage: Was können wir gegen den Klimawandel tun?
Als Maßnahmen gegen den Klimawandel sind vermehrt Lösungen durch Geoengineering in der Diskussion. Das schließt an Entwicklungen wie das Cloud-Seeding an und ist von der Vorstellung genährt, wir könnten das Klima zum für uns Besseren beeinflussen. Das ist aus meiner Sicht sehr kritisch zu verfolgen. Wir sollten weniger das Ziel verfolgen, das Wetter technisch zu beeinflussen, als zu diskutieren, wie wir als Gesellschaft solidarisch mit voranschreitendem Wandel umgehen.
Das ist ein gutes Schlusswort! Vielen Dank für das Interview!
Dieses Interview erschien in einer längeren Version in C/O Vienna Books „PS: WOLKEN“, das in unserem SHOP für 28.- Euro erhältlich ist. Die Wolken-Enzyklopädie wurde von Antje Salvi und Marcel Dziewulski konzipiert und von Bernardo Vortisch betextet.
Christian Elster studierte Europäische Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Promoviert hat er an der Universität Zürich mit der Arbeit zum Thema „Pop-Musik sammeln. Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal“. Zu seinen thematischen Schwerpunkten gehören Pop(ulär)kultur-Forschung, kulturwissenschaftliche Technikforschung, Praktiken des Sammelns und Archivierens, ethnografisches Forschen und Schreiben. Er erforschte die kulturellen Dimensionen des Wetters als Postdoc an der Universität Wien. Seit Juli 2023 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter „post doc“ in der Arbeitsgruppe Sozialgeographie der Küsten und Meere an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.