Die Grenztänzerin

Nackte Körper im Flug

Was haben Pirouette, Plié und Pas de deux mit Pornos zu tun? Die formalisierten Ballettposen waren ursprünglich dazu gedacht, „männliche Zuschauer aufzugeilen“, erklärt uns die gefeierte Wiener Choreografin Florentina Holzinger. Ihre Performances brechen mit dem rigiden Schönheits- und Körperkult des klassischen Balletts. Denn die einzigen Grenzen sind die eigenen – und diese gilt es für die widerständige Künstlerin immer wieder zu überwinden. 

Lena Stefflitsch: Deine Arbeit wird oft als radikal, progressiv, feministisch oder gar pornografisch bezeichnet. Was hältst Du von diesen Bewertungen?

Florentina Holzinger: Ich finde sie lustig und nehme sie nicht so ernst. In Österreich bekommt man immer rasch ein Label übergestülpt – das ist halt ein bisschen Provinzgehabe.

Das heißt, Du selbst findest Deine Performances nicht radikal oder extrem?

Ok, ja! Das ist wahrscheinlich die erste Show, bei der ich zugeben würde, dass da Dinge passieren, die körperlich schon extrem sind. Für das Publikum ist in einer Theatersituation aber nicht unbedingt transparent, was wirklich herausfordernd ist. Vieles, was wirklich körperlich ans Limit geht, sieht vollkommen normal aus und umgekehrt. Ich finde es persönlich krasser, wenn sich jemand harte Drogen reinzieht, als wenn sich jemand an der eigenen Haut aufhängt, doch sich jahrelang eine gewisse Schmerztoleranz diesbezüglich antrainiert hat. Unsere Stunts erfordern auf alle Fälle große technische Sorgfalt, damit nichts passiert.

„Ich befasse mich eigentlich nie mit Schmerz als Thema. Ich bin der Mega-Hippie.“

In Norwegen 2013 ist dann doch mal was passiert. Bei einer Performance in einer Fabrikshalle warst Du kopfüber aufgehängt. Eine Halterung hatte sich von Decke gelöst, und Du bist hart auf den Boden geprallt. Den Umständen entsprechend kamst Du noch mal glimpflich, mit mehr oder weniger schlimmen Verletzungen, davon. Was hast Du daraus gelernt?

Mir ist klar geworden, dass man technisch schon sehr genau Bescheid wissen muss, wo man sich wie aufhängt. Ich hatte eigentlich immer so eine „Jackass“-Mentalität, auf die Art: „Ja, probieren wir das aus, hängen wir uns da hin“, aber ich komme ja nicht vom Zirkus und kenne mich überhaupt nicht gut aus. Diese Scheiß-drauf-Haltung kann man bei sich selbst an den Tag legen, aber mit dem Leben von anderen zu spielen geht überhaupt nicht. 

Themen wie Schmerz – oder die Illusion davon – kommen in Deinen Stücken immer wieder vor. Welche physischen und seelischen Schmerzen verarbeitest Du mit ihnen?

Ich befasse mich eigentlich nie mit Schmerz als Thema. Nein, nein, ich bin viel mehr mit Sachen beschäftigt, die sich gut anfühlen. Ich bin der Mega-Hippie diesbezüglich. Ich spiele aber gerne mit der Idee, was für andere Leute schmerzhaft wirkt. Denn auch bei der Body Suspension geht es denjenigen, die sie ausüben, hauptsächlich darum, sich gut zu fühlen. Man kann das Stück TANZ auch anders lesen. Ich versuche, eine Art von Traumata im Bezug darauf zu verarbeiten, wie der Frauenkörper im Tanz, im Speziellen im Ballett, seit dem frühen 19. Jahrhundert behandelt und ausgestellt wird. Ich versuche aber weniger, den masochistischen Aspekt herauszuarbeiten als eher einen humorvollen. Gleichzeitig ist es auch eine Hommage an das Ballett und seinen rigiden Formalismus.

„Mich reizen körperlich das Rigide und der Widerstand, ich bin generell an Resistance interessiert.“

Was interessiert Dich am Ballett?

Es ist die elitärste Tanzform, man sollte eine spezifische Anatomie und eine unglaubliche Disziplin besitzen, um in diesem Genre etwas erreichen zu können. Das Ballettumfeld ist definitiv nicht körperfreundlich und steht im Widerspruch zum aktuellen New-Age-Denken, nach dem sich alles, was du mit deinem Körper tust, gut anfühlen muss. Dieser Ansatz hat im zeitgenössischen Tanz komplett Überhand genommen. Ich habe jedoch immer Gefallen daran gefunden, das Gegenteil davon zu machen, was gerade als Status quo im Tanz gilt. Mich reizen körperlich das Rigide und der Widerstand, ich bin generell an Resistance interessiert.

Hast Du früher mal Ballett getanzt?

Diese Tanzform hätte ich nie ausüben können, auch wenn ich es gewollt hätte, denn ich hatte definitiv keinen „Ballettkörper“. Generell habe ich mich im Tanzgenre immer eher ausgeschlossen gefühlt, weil es mir immer schon schwer gefallen ist, irgendwelche Choreografien zu lernen.

Wie bist Du zum Tanz gekommen?

Erst sehr spät, mit 16 oder 17 Jahren, stolperte ich praktisch zufällig in eine kreative Tanzgruppe in Wien. Ich fand das ur leiwand und setzte mich mit Ballett, Modern Dance und anderen Tanzrichtungen erst im Rahmen der Vorbereitungen auf verschiedenste Aufnahmeprüfungen auseinander, da ich schon den Traum hatte, eine technisch sehr versierte Tänzerin zu werden. Ein Jahr lang war ich dann für Architektur und später Betriebswirtschaftslehre an der Universität eingeschrieben, um die Familienbeihilfe zu bekommen, habe aber so viele Kurse wie möglich am Universitätsportinstitut Wien besucht– das war quasi meine Tanzausbildung.

„Für mich muss Kunst humorvoll sein, sonst wäre das Künstlerinnendasein echt das Deprimierendste auf der Welt!“

Du hast dann aber im Fach „Choreografie“ die School for New Dance Development in Amsterdam absolviert.

Ich wurde von allen anderen Tanzschulen abgewiesen, was schon traumatisierend war. Wenn einem etwas Spaß macht und man es nicht ausüben darf, weil irgendein Trottel in einer Jury sagt, du wirst nie Tänzerin, ist das einfach ein Gefühl von Ohnmacht. Die Ausbildung in Amsterdam habe ich anfangs gehasst, weil sie eben nicht physisch anspruchsvoll war. Es gab wenige Trainings und eher eine „Macht, was ihr wollt“-Einstellung – bis ich dann festgestellt habe, ich kann ja wirklich machen, was ich will. 

Darf oder muss Kunst humorvoll sein?

Für mich schon, sonst wäre das Künstlerinnendasein echt das Deprimierendste auf der Welt! Ich mag es, über komplexe Themen zu sprechen, möchte aber nicht die Moralapostelin spielen. Auch im Bezug auf das Ballett möchte ich nicht mit dem Finger darauf zeigend sagen: „Schau dir diese Tradition an, wie schlecht sie ist, was sie alles verbrochen hat!“ Ja, natürlich ist sie umstritten, aber die Frage ist doch, was ich als Tänzerin daraus mache. Was ich mir von meiner Show erhoffe, ist, dass Leute ein wirkliches Erlebnis und Spaß an der Illusion haben. Ich sehe im Theater schon eine gewisse Möglichkeit von Magie – man kann Teil von etwas werden.

In Deiner Ballettklasse passieren auch magische Dinge, nicht wahr?

Wir waren wirklich damit beschäftigt, das Fliegen zu lernen. 

„Es ist sehr wichtig, als Frau Ballett zu machen und als Frau Pornos zu machen – am besten gleich beides.“

Das musst Du jetzt erklären ...

Magic (lacht)! Der Urgedanke des Balletts ist „der Körper im Flug“, also den Körper vom Boden wegzubringen und der Schwerkraft zu trotzen. Ich habe Spezialistinnen engagiert, die mit dem fliegenden Körper oder eben dem suspendierten – also aufgehängten –  Körper arbeiten. Wir haben in Übungen außerdem versucht, unsere Wahrnehmung auch in anderen Bereichen zu schärfen, zum Beispiel an zwei Orten gleichzeitig zu sein, Dinge bewegen zu können, ohne sie zu berühren, oder in die Zukunft zu schauen. Das hört sich jetzt wohl alles mega New Age an ...

... und ist Euch das alles gelungen?

Wir befinden uns im ständigen Training, sagen wir es mal so (lacht).

Was haben Ballett und Pornografie gemein?

Ballett und Pornographie stellen den Körper der Frau auf sehr ähnliche Art und Weise dar. Gewisse Ballettpositionen wurden ursprünglich designt, um irgendwelche Typen, die die Pariser Oper besuchten, aufzugeilen. Auch im Bezug auf den Handlungsverlauf ähneln sie sich: Im Porno gibt es relativ simple Narrative, jede Person ist, was sie ist und entwickelt sich nicht weiter. Im Ballett bleibt die Prinzessin auch immer die Prinzessin.

Ballett und Pornos wurden auch hauptsächlich von Männern für Männer produziert?

Das ist der wesentlichste Aspekt! Mir war von Anfang an klar, dass ein Stück mit nackten Frauen die Perversen scharenweise in die Theater rennen lässt. So alte, geile Typen, die uns Künstlerinnen so erscheinen wie die Männer im Pariser Publikum der 1820er, die nur in die Oper gingen, um den Ballerinas unter den Rock zu schauen. Kurz hatte ich dann die Idee, Männer im Allgemeinen vom Eintritt zu exkludieren, aber dachte mir dann: „Scheiße, das ist viel zu extrem.“

Dann doch lieber nicht nackt tanzen?

Ich möchte meine Darstellerinnen nicht anziehen müssen, nur um solche Perversen vom Besuch unserer Show abzuhalten. Bei dem Stück „Apollon“ hatten wir eine ganze Szene für diese Klientel designt. Darin beratschlagen wir, wen im Publikum wir nicht so leiwand finden und stellen jene dann live zur Sprache. In Wirklichkeit habe ich nichts gegen diese Typen, ich finde es nur wichtig, dass die Motive, weshalb sie ins Theater gehen, dann auch transparent werden.

„Ich bin einfach mehr an Verkehrte-Welt-Szenarien interessiert als die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“

Würdest Du Deine Stücke als feministisch bezeichnen?

Auf jeden Fall. Feminismus hat für mich damit zu tun, Entscheidungen frei zu treffen. Das heißt nicht, dass ich meinen Körper nicht disziplinieren und in eine gewisse Form bringen darf, nur weil es nicht „körperpositiv“ wäre – das wäre dann nur eine andere Art von Faschismus. Es geht darum, die Gewalt über den eigenen Körper zu haben.

Vor Premieren deiner Stücke sind in Wien überall riesige Poster von Dir zu sehen. Macht Dich das stolz?

Das ist ziemlich eigenartig und ein bisschen unangenehm. Aber Tanz ist nach wie vor eine Art Underdog in den Kunstgenres. Die meisten Österreicherinnen haben keinen Schimmer vom Tanz und erkennen mich demnach nicht. Es freut meine Oma. Sie muss sich keine Sorgen machen, dass ihre Enkelin eine brotlose Künstlerin ist.

„Ich habe Flugangst.“

Wie sieht Deine Familie Deine Arbeit?

Grundsätzlich ist meine Familie sehr unterstützend. Sie haben den Wiener Aktionismus der 1960er-Jahre miterlebt und verstehen, dass meine Kunst so etwas wie Nachwehen von damals sind. Für sie ist das, was ich mache, gar nicht so extrem. Für meine Eltern wäre es wahrscheinlich schon hart gewesen, hätte ich mit alldem keinen Erfolg gehabt. Es ist traurig, nur wenn man Anerkennung und Aufmerksamkeit bekommt, ist die Kunst wertvoll.

Du sprichst auch oft über Angst und die Überwindung davon – welche Ängste beschäftigen Dich zurzeit am meisten?

Ich teste gerne Dinge in Shows oder Workshops, bei denen man sich rational denkt, das ist nicht möglich. Vergangenen Herbst begann ich mit Feuer zu arbeiten, weil Feuer doch „so gefährlich böse“ ist. Im Rahmen einer kleinen Performance habe ich mich im Zuge eines Full-Body Burns in einem feuerresistenten Suit anzünden lassen. Ich mache das aber nicht aus Lebensmüdigkeit. Wenn man sich mit gewissen Dingen beschäftigt, fällt einfach die Angst davor ab. Beim Erwachsenwerden werden einem viele irrationale Ängste antrainiert, man muss diese beständig wieder abbauen. Ich habe übrigens auch Flugangst …

Hast Du aus diesem Grund versucht, in deinem Stück „TANZ“ das Fliegen zu lernen?

Wenn ich selbst fliegen könnte, hätte ich keine Flugangst mehr. Im Falle eines technischen Gebrechens könnte ich die Exit-Luke öffnen und mich selbst retten.

Danke für das Gespräch!


Florentina Holzinger hat Choreografie an der School for New Dance Development (SNDO) in Amsterdam studiert. Ihre ersten Arbeiten, darunter Kein Applaus für Scheiße (2011), brachten ihr und ihrem Bühnenpartner Vincent Riebeek auf Anhieb den Ruf als „provokanteste Nachwuchschoreografinnen“ ein. Neben Spirit, Wellness und Schönheitsabend zeigte Holzinger 2015 auch das Solo Recovery, in dem sie das Trauma ihres Unfalls, das sie bei einer Performance erlitten hatte, verarbeitet. Darauf folgte die Arbeit Apollon, für die Holzinger George Balanchines neoklassisches Ballett Apollon musagète in eine Zirkus-Freakshow verwandelte, in der Musen in Eigenregie Tricks aufführen, anstatt sich dem männlichen Gott zu beugen. 



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