Die Beichte

Aussprache mit Gott

Die Wahrheit ist: Ich habe gelogen. Damals im Beichtzimmer mit sieben Jahren. Allein in einem Raum mit einem autoritären Mann – wer wäre da nicht nervös geworden und hätte die Wahrheit verdreht? Was bedeutet Beichten in der katholischen Kirche heute? Wieso muss man jemanden seine Schuld gestehen, um vom Bösen erlöst zu werden? Wir fragen einen „Vertreter Gottes“, den katholischen Pater Florian.

„Der Satan ist der Vater der Lüge.“

Kathrin Rothbauer, Michaela Fantoni: Ich habe bei der Beichte gelogen …

Florian Calice: Na ja, ich weiß ja nicht, was Sie gelogen haben. Sie haben wahrscheinlich einfach Sünden erfunden. Wissen Sie, bei der Lüge geht es um die Entstellung der Wahrheit. Hier ging es ja um keine Wahrheit. Sie wollten gar nichts beichten. Die Lüge ist etwas Schlimmes, aber das war eine Notlösung für eine sehr blöde Situation, zu der Sie gezwungen wurden. Was hätten Sie anderes sagen sollen?

Können Lügen also auch Gutes tun?

Die Lüge ist etwas abgrundtief Schlechtes. Der Satan ist der Vater der Lüge. Aber man ist damit nicht automatisch verpflichtet, jedem alles zu sagen. Ich darf auch Dinge zurückhalten. Bei uns in der katholischen Kirche hat das sogar einen Namen, die sogenannte „Reservatio mentalis“. Mit etwas Klugheit kann man speziellen Fragen ausweichen. Wenn ich also beispielsweise eine Tochter hätte und sie mich vor ihrem ersten Ball aufgeregt fragen würde: „Papa, sehe ich gut aus?“, dann muss ich nicht sagen: „Ich finde, Du siehst nur zu 70 Prozent gut aus“, sondern ich werde sie als liebender Vater loben und sie ermutigen: „Du bist einzigartig schön.“

Beichten Sie als Pfarrer selbst?

Ja, ich gehe im Schnitt selbst einmal wöchentlich beichten, aber nicht in meiner eigenen Gemeinde St. Rochus im 3. Wiener Bezirk, sondern bei einem Priester in einem anderen Stadtteil. 

„Das strenge Siegel der Verschwiegenheit“

Wie viele Menschen kommen zu Ihnen zum Beichten?

In unserer Gemeinde St. Rochus haben wir zwischen 100 und 150 Beichten pro Woche. Eine Sitzung dauert so zwischen sieben und zehn Minuten.

Wird das Beichtgeheimnis wirklich ernst genommen?

Ja, der Priester darf wirklich mit niemandem über das Gesprochene reden, nicht einmal, wenn bei der Beichte die Rede von Mord ist. Ich kann als Beichtvater nur gut zureden, z. B. sich zu stellen, aber ich darf mein Wissen aus der Beichte nie verwenden. Sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, unter dem strengen Siegel der Verschwiegenheit. 

Wer geht beichten?

Es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen sagen: „Herr Pfarrer, ich war das letzte Mal vor 40 Jahren beichten.” Da kommen dann die vielen groben Dinge, die im Leben schiefgelaufen sind. Ein früherer Security zum Beispiel. Er war im Dienst sehr oft gewalttätig, hat den Leuten den Kiefer gebrochen und damals alles supercool gefunden. Die Armen seien eh betrunken gewesen und es habe nie jemand Anzeige erstattet. 40 Jahre später wird ihm seine Brutalität erst so richtig bewusst. Es tut ihm zutiefst leid, aber er kann es nicht mehr gutmachen. Das ist die eine Art von Mensch. Die anderen wiederum kommen häufiger beichten. Deren Gewissen ist dann schon „viel feiner“ geworden. 

Kann das Gewissen auch „zu fein“ werden?

Ja, wenn Leute zwanghaft wegen jeder Kleinigkeit kommen, schickt man sie natürlich weg. Solchen sagt man sogar: Ich verbiete dir, beichten zu gehen, weil dies alles keine Sünden sind.

„Gott hätte auch Hitler vergeben.“

Geben Sie auch Ratschläge?

Einen kleinen Rat erlaube ich mir immer, ob die Leute das überhaupt wollen, bezweifle ich allerdings. Bei meiner eigenen Beichte kann ich auf kluge Ratschläge zugegebenermaßen auch zuweilen verzichten.

Werden alle Sünden vergeben?

Die Sünden sind so verschieden wie die Menschen selbst, und Gott vergibt wirklich jede Sünde. Er hätte auch Hitler vergeben, hätte er Gott um Vergebung gebeten. Die Schwere der Schuld ist nie ein Hindernis für die Vergebung, es zählt die Aufrichtigkeit der Reue. Man muss sich die Frage stellen, ob man bereit ist, sich seiner Verantwortung zu stellen.

„Der Ort der Reinigung“

Was ist mit den Sünden, die nicht gebeichtet werden?

Die verdrängte Schuld ist sicher das große Thema des Fegefeuers. Das ist dann der Ort der Reinigung. Manchmal merkt man auch, dass Menschen Sünden verniedlichen oder nicht die volle Wahrheit über die Lippen bringen. Man würde ja annehmen, dass alle bei der Beichte ehrlich sind, aber es gibt so viele Gründe, es nicht zu sein.

Was wären die Gründe, bei einer Beichte nicht ehrlich zu sein?

Scham. Als Pfarrer schaut man der beichtenden Person auch nie in die Augen, einfach um es nicht noch schwerer zu machen.

Gibt es deshalb auch die Trennwand im Beichtstuhl?

Ja, weil es eh schon so unangenehm ist, einem anderen seine Schuld zu beichten. 

Früher war die Wand vielleicht auch aus anderen Gründen da, damit einem strengen Priester nicht die Hand ausrutscht (lacht). Nein, das war ein Scherz! 


Was hat es mit dem Hinknien auf sich?

Auf den Knien zu sitzen, macht schon Sinn. Ich bitte ja um Vergebung und diese Körpergeste symbolisiert die inständige Bitte und meine Demut.

„Mit dem Tod fängt es überhaupt erst richtig an!“

Haben Sie schon einmal die Beichte einer Sterbenden abgenommen, und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Selbstverständlich, es ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Priesters, die Sterbenden zu begleiten und ihnen zu helfen, reinen Tisch zu machen. Wir werden alle ganz sicher sterben, aber ich bin der festen Überzeugung, unser Leben ist kein Milchpackerl, das ein Ablaufdatum hat und dann weggeschmissen wird. Es ist eine Aufgabe. Und wie schön ist es, alten Menschen zu begegnen, die diese Aufgabe gemeistert haben. Der Tod kann überhaupt nicht das Ende sein. Bei uns fängt es dann erst so richtig an!

Warum braucht es eigentlich den Priester als Medium, den Mann zwischen mir als reuigem Beichtenden und Jesus?

Die Schuld muss einfach von jemandem gesehen und festgestellt werden. Der Priester empfängt mein Geständnis und schenkt stellvertretend Vergebung. Dann erst bin ich bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich dieses ganze Prozedere mit mir selbst ausmache, ist das aus Sicht der katholischen Kirche sehr unehrlich und feig. Die Beichte ist voller Barmherzigkeit und will sicherstellen, dass man es sich nicht zu leicht macht.

„Gott ist kein Mann.“ – „Eigentlich watscheneinfach“

Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist – wieso nur Männer?

Gott ist kein Mann, genauso wenig wie der Heilige Geist. Aber Jesus war ein Mann und der Priester soll ihn hier auf Erden vertreten. Das ist der einzige Grund, warum nur Männer Priester sein können. Eigentlich watscheneinfach.

Was ist mit der Frau?

Na ja, ganz so frauenfreundlich ist die Kirche nicht, könnte man nun den Verdacht haben. Aber es ist eigentlich so: Was die Kirche bedauert, ist, wenn die Frau sich erniedrigt und glaubt, sie muss eine Kopie des Mannes werden. Die Frau hat ihren eigenen Genius und ein ganzheitliches Gespür für den Menschen. Die größte Heilige ist Maria. Sie ist der einzige vollkommene Mensch in der Bibel. Jesus ist der Sohn Gottes, den kann man damit nicht vergleichen.

Aber wer vergibt die Sünden? Jesus oder Sie als Priester?

Nur Jesus kann die Sünden vergeben. Aber er bedient sich, wie bei den anderen Sakramenten in der Kirche, eines irdischen Zeichens. Im Falle der Beichte ist es der Priester. Dafür ist die Kirche doch da! Ich empfange ja auch nicht die Hostie, um satt zu werden, sondern um rituell den Leib Christi zu empfangen. Den bekomme ich ja nicht bei der Bäckerei-Kette Anker!

„Dieses System ist so saublöd.“

Es gibt viele konventionelle Gründe, Mitglied der Kirche zu bleiben. Eine traditionelle, kirchliche Trauung oder das Besänftigen der Großeltern durch das Taufen des Enkelkinds. Ist das nicht unehrlich?

Ausreden kann man es den Leuten ja eh nicht. Wenn ich als Priester wage, zu sagen: „Sind Sie sich sicher, dass Sie das machen wollen?“ Dann kann ich mir was anhören – sofort eine Beschwerde beim Bischof. Gerade bei Religion ist Zwang völlig fehl am Platz. Und ich glaube, ein großer Fehler ist das Kirchenbeitragssystem. Dass man eine Art Mitgliedschaft zahlen muss. Dieses System ist so saublöd.

Kann man beichten, auch wenn man nicht katholisch ist?

Um Himmels willen, ja, natürlich, jeder Mensch kann zu uns beichten kommen.

Eine Frage würde uns zum Abschluss noch brennend interessieren: Wann haben Sie das letzte Mal gelogen?

Das ist eine interessante Frage, und ich komme zu folgendem Entschluss: Ich will keine Antwort darauf geben. Wie Sie nun wissen, findet die Beichte unter vier Augen statt, benötigt viel Vertrauen und findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ihre Frage berührt mir zu sehr das Geheimnis des Menschen, sodass ich Ihnen die Frage nicht beantworten möchte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Florian Calice (*1968) ist Pfarrer in der Kirchengemeinde St. Rochus im 3. Wiener Bezirk und geistlicher Leiter der Laienbewegung „Legion Mariens“ in Österreich. Er wurde mit 28 Jahren zum Priester geweiht.
Beichtzeiten in der Kirche St. Rochus, 1030 Wien.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation von C/O Vienna Magazine mit der Meisterschule der Graphischen Wien und wird außerdem in der C/O Vienna Printausgabe Nr. 6 im Juni 2023 erscheinen. 

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