Der Bestatter

„Spürt man eh nimmer.“

Erich Traxler arbeitete bis vor kurzem im Bestattungsmuseum des Wiener Zentralfriedhofs, davor war er Sargträger und später Arrangeur in der Aufbahrungshalle. Obwohl sein Spezialgebiet der Tod ist, ist er ein Mensch mit Sinn für die schönen Seiten des Lebens und mit Humor. Ein Gespräch über Selfie-Särge, Verwesung und die Frage, wer wir sind, wenn wir tot sind.

„Asche zu Asche“

Antje Mayer-Salvi: Herr Traxler, zu Ihnen ins Museum kommen sogar Hortkinder. Welche Fragen haben die jüngsten Besucherinnen zum Tod?

Erich Traxler: Am Anfang war es schwierig, Kindern etwas über Bestattungen zu erzählen. Sie fragten mich: „Wie ist das, wenn man tot ist?“ und: „Liegt man im Sarg weich drinnen?“. Es wäre furchtbar zu sagen: „Joa, was pfeifst Theater, ob weich oder hart, ist doch wurscht. Spürt man eh nimmer.“ 

Was antworten Sie stattdessen?

Ich erzähl ihnen: „Es gibt eine Einbettung, darauf liegt die Oma weich und schläft ganz ruhig.“ Die Kinder sind dann selig. Es bringt nix, wenn ich sag’: „Siehst du die Wolke? Dort sitzt die Oma drauf. Und dann schaut’s aufi und siagt an Vogel.“ Mit dem fangen die meisten Kinder nix an.

Die Merchandise-Abteilung ihres Museums ist sehr erfindungsreich und hat den Humor trotz des ernsten Themas offensichtlich nicht verloren. Zu erstehen gibt es unter anderem ein Turnleiberl mit der Aufschrift „Ich turne bis zur Urne“, eine limited Lego-Edition eines „Selfie Sargs“, einen Lego-Krematoriumsofen und Masken mit der Aufschrift „Corona leugnen sichert Arbeitsplätze. Bestattungen Wien.“

Das sind alles Ideen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, unsere Vorgesetzten verstehen schon Schmäh, aber es gibt auch Grenzen. Der Aschenbecherentwurf mit der Aufschrift „Asche zu Asche. Bestattungen Wien“ wurde uns nicht genehmigt. 

Eigentlich sind nicht Sie pietätlos, sondern der Tod! Ist der Tod eine Verschwendung?

Man verflucht ihn, weil er uns liebe Menschen nimmt, aber eine Verschwendung ist er nicht, sondern eher ein Regulator. Dass wir alle mit 400 Lebensjahren noch herumrennen, ist ein furchtbares Szenario. Vor dem Hintergrund der Pandemie, das sag’ i jetzt a bissl philosophisch, ist der Tod auch eine Mahnung an uns Menschen. Er ist der Einzige, der alle will. Aber niemand will ihn.

Weil Sie jetzt Corona angesprochen haben: Hat es im vergangenen Jahr mehr Beerdigungen gegeben?

Ja natürlich, geht gar nicht anders.

„Darf i nimma mehr kuscheln?“

Als Arrangeur mussten Sie die sogenannte Totenkontrolle machen, was ist das?

Des is ganz einfach. Man macht den Sarg auf und fragt: „San Sie der Herr Hans Mayer, ja danke.“ Na, Spaß beiseite. Im Sarg befindet sich mindestens ein Leichen-Begleitschein, meistens noch Hand- und Fußpässe, das sind kleine Zettel ums Handgelenk oder Fußgelenk. Wenn der Name mit der Versiegelnummer des Sarges übereinstimmt, dann weiß man, der oder die Richtige liegt drinnen. 

Ist es schon einmal passiert, dass Name und Versiegelnummer nicht übereingestimmt haben?

Ja, auf meinem Auftrag stand „Hans“ und auf dem Handpass im Sarg stand „Peter“. Da habe ich sofort die Leichenhalle geschlossen und mich mit dem Betriebsdienst in Verbindung gesetzt. Es war dann aber eh die richtige Leiche, er hieß Hans-Peter.

Kann es sein, dass die falsche Person begraben wird?

Man kann sich im Spital bei der Abholung irren oder beim Zustellen der Leiche das falsche Etikett anbringen. Bei der Sargkontrolle muss ich außerdem beurteilen, ob der Leichnam besichtigt werden kann. Der Wunsch ist bei den Hinterbliebenen immer wieder da. Aber wenn es äußerliche Veränderungen, wie etwa Leichenflecken gibt, starke Geruchsbelästigungen oder dergleichen, muss ich der Familie im Zweifelsfall abraten, wenn sie fragt: „Dürfen wir noch mal reinschauen?“ Manchmal wird auch im Vorhinein schon von der Gerichtsmedizin festgelegt, dass eine Leiche nicht mehr beschaubar ist, dann wird der Sarg verschraubt und verkittet.

„Der Fuß in Reihe 31, der Rest in Reihe 35.“

Ist der Ritus eine Leiche aufzubahren katholisch?

Ganz im Gegenteil, mir fällt keine Kultur ein, die das nicht macht. Man braucht das wohl um Abschied nehmen zu können. Auch Gaben in den Sarg zu legen ist ein menschliches Bedürfnis, früher bei den Alten Ägyptern und heute noch in Wien. Für die Hinterbliebenen von Personen, die sich der Anatomie verschrieben haben, gibt es keinen Abschied und kein Grab, nur eine Anatomiesammelstelle, damit tun sich viele Angehörige schwer.

Was passiert mit den Körperteilen, die in der Anatomie seziert wurden?

Wenn die Doktoranden zehn rechte Füße untersucht haben, werden sie danach zum Zentralfriedhof gebracht, in einer Kiste gesammelt und verbrannt. Eine Woche später kommen dann die linken Füße, manchmal auch nur der Kopf oder der Rumpf.

Ist der Hans noch der Hans, wenn sein Herz in einem Grab liegt und sein Fuß in einem anderen?

Naja, er ist ja immer der Hans. Es ist ja wurscht, was fehlt. Es liegt halt der Fuß in Reihe 31, der Rest in Reihe 35. Um das jetzt ein bissl simpel zu benennen: Er ist halt durcheinander. 

Ihr Beruf ist schon sehr herausfordernd! Wie kommen Sie dazu?

Es muss einem liegen. Ich habe eine Installateurlehre abgeschlossen. Da hatte man viel mit schlechten Gerüchen zu tun. Im Nachhinein betrachtet ist der Leichengeruch oft erträglicher gewesen. Nach meiner Ausbildung war ich unter anderem Damenstrumpfhosen-Vertreter, habe am Fußballplatz Bier und Chips verkauft, bin Fiaker gefahren und war Maronibrater. Dann habe ich bei den Bestattungen Wien als Sargträger begonnen, immerhin besser als der Job des Totengräbers. Das ist eine Knochenarbeit.

„Des ist ned lustig!“

Wieso das?

Die meisten Gräber werden immer noch mit der Hand gegraben, weil der Bagger unter anderem nicht durch die Grabreihen passt, langsam ist und nicht die vorgeschriebenen 2,70 Meter runterkommt. Wenn sich jemand eine Verlegung wünscht, muss man die Kisten wieder ausgraben und steht in der „Batz“, das ist die Flüssigkeit, die entsteht, wenn ein Mensch sich zersetzt. Des is ned lustig! 

Wann gerieten Sie an Ihre Grenzen?

Es gab Tage, da habe ich um halb acht in den ersten Sarg reingeschaut und hätte am liebsten das Essen von gestern entleert. Vor allem, wenn was mit einem Kind ist, geht das nicht spurlos an mir vorüber. Neunzig Prozent der Kindersärge sind von der Gerichtsmedizin verschlossen, aber bei einem kleinen Teil ist laut Gesetz eine Sargkontrolle durchzuführen. Einmal hatte ich aus Deutschland einen Überführungssarg, mir war mulmig, ich wusste nicht, was mich erwartet. Meine tollen Kollegen haben gesagt: „Komm, mach’ ma des gemeinsam, des schaff’ ma schon!“ Wir sind in die Kühlhalle runtergegangen und haben gemeinsam den Deckel geöffnet.

Was ist der Mensch, wenn er tot daliegt: nur noch Materie oder noch Mensch?

Das ist jetzt Philosophie. Meine persönliche Meinung ist, irgendwas gibt es danach. Ich glaube, dass das Leben auf der Erde eine Zwischenstation ist und dass jeder hier eine Aufgabe zu erfüllen hat. Als Profi muss man aber seine persönliche Meinung ausschalten. Ich kenne die toten Personen nicht. Ich bekomm nur das Leid der Hinterbliebenen mit. Also tue ich mich schon mal leichter …

Sie haben einen gesunden Abstand zur Sache …

Ja, da liegt im Grunde a Pinkel Fleisch, das ich nicht gekannt habe, und infolgedessen steht's mir, find ich ganz ehrlich, nicht zu, zu beurteilen, ob der jetzt besser oder schlechter geht, sie viel zu früh oder zu spät von uns gegangen ist.

„Das Leben ist nur eine Zwischenstation.“

Im Leichenkeller sind Sie wahrscheinlich oft alleine mit den Toten. Fürchten Sie sich da nicht?

Ich hab mich dran gewöhnt, aber es ist auch spooky, gar keine Frage. Wenn ich um sechs Uhr in der Früh im Dunkeln am Friedhof bin, nur die Grablaternen sehe und es so leise ist, dass Du einen Maikäfer hörst, der übers Blattl krabbelt, habe ich automatisch sämtliche Horrorfilme im Kopf.

Haben Sie auch lustige Dinge erlebt?

Eine ältere Dame wollte ihrem verstorbenen Mann noch gern ein Bussi geben. Ich habe den Sargdeckel gehalten und dachte mir „Na, heast, das gibt’s ja ned, der wird immer schwerer.“ Ich sagte „Gnädige Frau, reinlegen dürfen Sie sich ned!“ Sie antwortete „Ah, darf i nimma mehr kuscheln?“ Und ich meinte „Na, bitte kommen’s raus! Wir kommen in des Teufels Küche!“ 

Das ja rührend! Sie können sich gut in Angehörige einfühlen?

Natürlich, aber bei den Beratungsresistenten tue ich mir schwer. Einmal hatte ich einem Angehörigen abgeraten, den Sarg zu öffnen, er meinte aber: „Ich bin vom Roten Kreuz und habe schon alles gesehen, machen Sie auf.“ Die Trauergemeinde musste fluchtartig den Raum verlassen, so arg war der Verwesungsgeruch. Einer Mutter riet ich mal: „Sie tun sich keinen Gefallen damit, ihr Kind zu sehen“, denn bei den Jüngsten geht der Verwesungsprozess schnell voran. Sie bestand trotzdem darauf, also habe ich den Deckel geöffnet und die Frau ist umgefallen. „Das ist nicht mein Kind. Das ist nicht mein Kind!“, schrie sie. Da haben wir ihr Wasser gebracht, sie hing’setzt und mit sehr viel Einfühlungsvermögen beruhigt. Bringt auch nix, wenn ich hingeh’ und sag: „Hab’s Ihnen glei g’sagt!“

„Einer muss es ja machen.“

Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihren Job?

Meine Tante darf ich nicht berühren, die behauptet: „Wennst mich angreifst, rennt’s mir kalt übern Rücken.“ So halb im Spaß, halb ernst. Aber die meisten sind wertschätzend und sagen: „Einer muss das ja machen.“

Gibt es auch „fröhliche“ Begräbnisse?

Eine Witwe sagte mal zu mir: „Wundern Sie sich ned, mein Mann hat sich immer gewünscht, dass wir bei seinem Begräbnis singen, lachen und tanzen sollen.“ Da sind dann drei Musiker gekommen, einer mit einem Banjo, einer mit einem Saxofon und einer hat in die Orgeltasten gehauen, als gäbe es kein Morgen. Vier Ecken weiter hat man die Musik noch gehört und die Leute, die vorbeigingen, haben geschunkelt. 

Das klingt nach einem guten Arbeitstag. Wir würden Sie gerne selbst beerdigt werden?

Ich möchte, dass meine Asche über dem Meer verstreut wird.

Danke für das Gespräch!

bestattungsmuseum.at
Der berühmte Wiener Zentralfriedhof wurde 1874 eröffnet und zählt mit rund 330.000 Grabstellen zu den größten Friedhofsanlagen Europas. Im dazugehörigen Bestattungsmuseum werden mehr als 250 Originalobjekte ausgestellt, darunter Nachhaltiges wie der wiederverwendbare Sparsarg, den Kaiser Joseph II. 1784 eingeführt hatte.

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