Der Schmuggel-Jäger

Die unausgesprochene Lüge

Wenn wir uns alle Schmugglerinnen als Mäuse vorstellen, dann ist er der Kater, der sie unerbittlich jagt: Gerhard Marosi. Mit mehr als 40 Jahren Berufserfahrung ist er der unumstrittene Experte für Produktpiraterie, Artenschutz, Medikamentenschmuggel bei der österreichischen Zollverwaltung im Finanzministerium. Wie Papageieneier aus Jamaika einen Pflegenotstand im Wiener Tierpark Schönbrunn verursachten, und wie eine Wurstsemmel eine Seuche auslösen konnte, das verrät Marosi im Gespräch. 

„Man fängt eine Maus nicht zweimal mit demselben Speck.“

Markus Leb, Martina Piniel: Sie beschäftigen sich seit 1981 mit dem Thema Schmuggel in allen Varianten. In den Vitrinen in Ihrem Büro lagern Tigertrophäen, Stachelschweinstacheln und eine in Alkohol eingelegte Kobra. Was fasziniert Sie an dem Thema?

Gerhard Marosi: Ich bin quasi damit aufgewachsen, mein Vater hat schon beim Zoll gearbeitet, mich hat das immer fasziniert. Begonnen habe ich beim Zollamt Wien, am Flughafen und in Nickelsdorf, damals an der ungarischen Grenze. Dann bin ich 1985 ins Finanzministerium gekommen und habe mich auf Verbote und Beschränkungen spezialisiert. Zum Beispiel Verstöße gegen den Artenschutz oder Produktpiraterie. Das Spannende an meinem Beruf ist, dass er sich ständig wandelt, da immer wieder neue Schmuggelmethoden erdacht werden.

Was hat sich über die Jahre verändert?

Jede Regelung, die neu geschaffen wird, führt dazu, dass es Leute gibt, die sich nicht daran halten. Die größte Veränderung hat aber sicher das Internet gebracht. Jede und jeder kann alles überall bestellen. Das hat dazu geführt, dass sich viele illegale Aktivitäten auf den Postweg verlagert haben. Jede Sendung aus Drittstaaten muss durch die Zollabfertigung, aber wegen der großen Menge der Pakete können wir da nur noch sogenannte Risiko-Sendungen kontrollieren. Der Versender weiß vielleicht sogar, dass das nicht legal ist, aber er sitzt in China oder sonst wo weit weg und hat sein Geld gemacht und alles andere ist ihm egal.

Woran erkennen Sie risikohafte Sendungen?

Die Sendungen werden elektronisch angemeldet. Wir bekommen Informationen aus unterschiedlichen Stellen. Das können eigene Feststellungen oder Informationen anderer Zollstellen sein. Wenn es dann Auffälligkeiten gibt, wird die Sendung ausgewählt und genauer kontrolliert. Zusätzlich gibt es Stichprobenkontrollen ohne ein bestimmtes Risiko. Wir haben auch Zugang zu Informationen der Airlines. Da kann man vorfiltern, also Sendungen, die noch im Flugzeug sind und bei denen es vorab schon Auffälligkeiten gibt, ins Visier nehmen.  

Inwiefern könnte man Schmugglerinnen vielleicht sogar als kreative Köpfe bezeichnen?

Schmuggler sind kreativ, natürlich. Im Prinzip ist das Ganze ein Katz-und-Maus-Spiel. Und wie sagt man so schön: „Man fängt eine Maus nicht zweimal mit demselben Speck.“ So ist es bei uns auch. Die Schmuggler versuchen immer wieder, den Zoll mit neuen Tricks auszutricksen, und wir versuchen draufzukommen, wie sie uns gerade austricksen.

„56 Papageieneier aus Jamaika“

Als Artenschützer sind seltene und bedrohte Tiere ja Ihr Steckenpferd. Erzählen Sie uns bitte von Ihrer Arbeit!

Wir hatten einen Fall, da wurden aus Jamaika 56 Papageieneier geschmuggelt. Wenn es um Bruteier geht, ist die gängige Schmuggelmethode, dass man die Eier am Körper transportiert, um sie warm zu halten. Die Schmuggler nähen sich dafür Unterhemden mit kleinen Taschen, da stecken sie die Eier rein und wärmen sie am Körper. Der Schmuggler aus Jamaika hatte die Brut-Eier aber in ausgehöhlten Kokosnüssen und in Bonbonniere-Schachteln versteckt. Sie waren im eingecheckten Gepäck im Frachtraum. Dass die Bruteier die lange Reise ohne Wärme überstanden haben, hat selbst die Veterinäre gewundert. Nach dem Fund sind die Papageieneier in den Tierpark Schönbrunn gebracht worden und dort sind tatsächlich alle 56 Papageien geschlüpft. Für Schönbrunn war das ein immenser Aufwand, denn es mussten zusätzliche Pfleger eingestellt werden, um die 56 kleine Mäuler zu stopfen.

Wow, es grenzt ja fast an ein Wunder, dass alle Vögel überlebt haben! Das scheint allerdings nicht der Regelfall zu sein. Wie hoch würden Sie die Lebenserwartung eines geschmuggelten Lebewesens einschätzen?

Wenn sie losgeschickt werden, leben sie alle noch. Wenn sie ankommen, leider meistens nicht mehr.

Vögel oder auch Reptilien sind Tierarten mit besonderen Bedürfnissen. Wie gehen Schmugglerinnen hier vor?

Sie schmuggeln die Tiere in einem gewöhnlichen Reisekoffer. Für den Transport werden die Vögel in Klopapierrollen gesteckt und in den Koffer geschlichtet. Die Reptilien werden meist in Socken gepackt, sodass sie sich nicht bewegen können. Wir hatten vor ein paar Jahren einen solchen Fall. Ungefähr die Hälfte der Vögel ist während des Transports eingegangen. Die lebendigen Vögel wurden nach Schönbrunn gebracht, sie hatten jedoch alle die Vogelgrippe und mussten getötet werden.

„Es geht uns einiges durch die Lappen.“

C/O Vienna Magazine_Der Schmuggel-Jäger_12

Das klingt barbarisch und herzlos. Die Tiere werden praktisch zum Gegenstand gemacht. Wie kann man diesen Tierquälerinnen das Handwerk legen?

Beim Zoll haben wir Hunde, die speziell für den Bereich Artenschutz abgerichtet sind. Theoretisch kann man einen Hund auf alles trainieren. Die Artenschutzhunde beim Flughafen Wien sind hauptsächlich auf Reptilien und Vögel spezialisiert und erriechen diese mit ihrer guten Nase in den Gepäckstücken. Andere Diensthunde schlagen auf Suchtgift oder auf Bargeld an. Jedes Tier hat sozusagen einen Spezialbereich bei uns.

Können sich die Hunde auch irren, wie hoch schätzen Sie ihre Fehlerquote ein?

Wenn wir das wüssten, würden wir die, derer wir nicht habhaft werden, auch noch erwischen. Nachdem wir nicht alles kontrollieren können, geht uns mit Sicherheit einiges durch die Lappen. Wir entdecken ständig neue Schmuggelmethoden. Die professionellen Schmuggler agieren teilweise wie richtige Unternehmen, sie analysieren die Situation, wägen die Risiken ab, planen alles minutiös und sind sehr forsch. Vor einiger Zeit wurde in Bulgarien zum Beispiel ein Lkw entdeckt, der mit gefälschten Markenschuhen vollbeladen war. Die Kollegen beschlagnahmten die Ware und brachten sie in ein Zolllager. In der drauffolgenden Nacht wurde dann tatsächlich versucht, dort einzubrechen und die Ladung wieder zurückzuholen. 

Das ist schon ziemlich dreist!

Ziemlich frech, da könnte mehr dahinterstehen, dachten sich die Kollegen. Sie sahen sich dann die Sendung noch einmal genauer an und entdeckten, dass die gefälschten Markenschuhe eine sogenannte Tarnladung waren, in den Dingern befand sich Suchtgift. Den Einbrechern ging es um die Drogen, die Schuhe waren ihnen völlig egal. 

„Mit Schmuggeln kann man ziemlich viel verdienen.“

Über welche Routen wird am meisten geschmuggelt?

Es kommt darauf an, welche Flugverbindungen es in das jeweilige Land gibt. Die Profi-Schmuggler wissen natürlich auch, dass wir einen Flug, der direkt aus Südamerika kommt, vielleicht eher mit Rauschgift in Verbindung bringen. Deshalb nehmen die Schmuggler Umwege in Kauf. Sie verschicken die Waren von Südamerika in ein Land, wo die Zollkontrollen eventuell weniger streng sind. Von dort gelangen sie dann zu uns, die wahre Herkunft wird so verschleiert. 

Was glauben Sie, was treibt Schmugglerinnen dazu, so ein hohes Risiko einzugehen?

Ganz einfach das Geld. Mit Schmuggeln kann man ziemlich viel verdienen.

Was passiert mit der Schmuggelware, nachdem sie konfisziert wurde?

Das kommt darauf an, was es ist. Illegale Medikamente oder Produktfälschungen werden eingezogen und im Regelfall vernichtet. Im Bereich Artenschutz schauen wir, dass wir die Tiere in professionelle Hände, also in den Zoo oder ein Museum, geben. Schmuggelware kommt zum Teil in unsere Asservatenkammern oder wird zu Schulungszwecken verwendet.

Was passiert mit den Lebensmitteln, die Sie konfiszieren?

Wir ziehen sehr viele Lebensmittel ein. Fleisch aus Drittländern darf wegen des Seuchenrisikos nicht in die EU eingeführt werden. Deshalb muss es leider vernichtet werden. Wenn eine Tierseuche in einer Region ausbrechen sollte, wird jene sofort abgesperrt, um zu erreichen, dass tierische Produkte oder lebende Tiere dortbleiben. Das ist sehr gut kontrolliert. Der Reiseverkehr ist leider schwer kontrollierbar. Eine Tierseuche kann tatsächlich mit einer Wurstsemmel eingeschleppt werden. 

Was wenn doch eine Tierseuche ausbricht?

Exporte von tierischen Produkten würden sofort verboten werden. Aber das würde enorme wirtschaftliche Schäden bedeuten, außerdem müssten viele betroffene Tiere getötet werden. Deshalb hat die EU für den Reiseverkehr die Vorschriften immer wieder verschärft und mittlerweile ist es so, dass Fleisch und Milchprodukte aus Drittstaaten gar nicht mehr eingeführt werden dürfen.

„Herzmedikament aus Ziegelsteinstaub“

Welche Fälle berühren Sie nach all den Jahren beim Zoll am meisten?

Wenn es um die Gesundheit geht. Wir ziehen sehr viele illegale und gefälschte Medikamente aus dem Verkehr. Zum Großteil Potenzmittel und Lifestyle-Produkte, etwa Diätpillen oder Haarwuchsmittel. Wir entdecken aber auch oft gefälschte Psychopharmaka oder Krebsmedikamente. „Was für eine Tragödie!“, denke ich mir oft: Jemand hat Krebs und bestellt sich unseriöse, meist unwirksame und dazu noch gesundheitsgefährdende Krebsmittel im Internet. Die Konsumenten wissen leider nicht, wie diese Fake-Arzneimittel hergestellt werden. Wir haben Tabletten beschlagnahmt, die im Betonmischer gemixt wurden. Man kann sich ausmalen, wie die Wirkstoffe dosiert sind, sofern überhaupt welche enthalten sind. Man hat auch schon Rattenkot in Medikamenten gefunden. 

Was sind denn da die extremsten Fälle in jüngerer Vergangenheit?

In Russland wurde etwa ein Herzmedikament beschlagnahmt, das aus gemahlenen Ziegelsteinen bestand. Dieser Staub wurde gemeinsam mit Straßenmarkierungsfarbe in Tablettenform gepresst, um die originale gelbe Farbe zu erhalten, das Ganze war dann noch mit Möbelpolitur lackiert. 

Kreativ, aber wirklich kriminell!

Wir hatten auch viel mit dem Entwurmungsmittel Ivermectin zu tun, das ja während der Corona-Zeit wegen der Aussage eines österreichischen Politikers zu einem beliebten wie wirkungslosen Anti-Corona-Mittel mutierte. Es wird eigentlich für innere und äußere Parasiten bei Tieren eingesetzt. In Österreich hat der Hype sehr stark eingeschlagen. 

„Der Super-GAU!“

Begonnen hat das ja mit Donald Trump, dem damaligen US-Präsidenten ...

... genau, der hatte vorher öffentlich verkündet, dass er Ivermectin gegen seine Corona-Erkrankung genommen und es ihn geheilt habe. Solche Ankündigungen sind für uns der Super-GAU. Es gab schon einmal eine ähnliche Äußerung eines asiatischen Politikers. Er litt an Krebs und behauptete, dass Nashornpulver ihn geheilt habe. Daraufhin ist die im asiatischen Raum ohnehin schon hohe Nachfrage nochmals in die Höhe geschossen. Nashornpulver ist im asiatischen Bereich ein beliebtes Potenzmittel.

Wie hoch ist denn der Anteil der „professionellen“ Schmugglerinnen im Vergleich zu denen, die unwissentlich schmuggeln?

Wir haben nicht jeden Tag einen riesengroßen Schmuggelfall mit professionellen Schmugglern. Postsendungen mit illegalen oder gefälschten Medikamenten kommen täglich. Wenn wir jedoch einen Profi erwischen, sind die beschlagnahmten Mengen wesentlich größer und die Fälle gravierender. Über solche Fälle wird dann regelmäßig in den Medien berichtet. 

Danke für das Gespräch!

Gerhard Marosi ist Zollexperte, arbeitet im Bundesministerium für Finanzen in Wien und ist auf Artenschutz und Produktpiraterie spezialisiert. Er ist seit 40 Jahren beim Zoll, wo auch schon sein Vater arbeitete.  
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation von C/O Vienna Magazine mit der MEISTERSCHULE DER GRAPHISCHEN WIEN und wird außerdem in der C/O VIENNA PRINTAUSGABE NR. 6 im Juni 2023 erscheinen. 

Empfehlungen: