Das KinderKunstLabor in St. Pölten ist das erste Haus seiner Art, ein Ausstellungsort für internationale zeitgenössische Kunst für ein junges Publikum. Wir unterhielten uns mit der künstlerischen Leiterin MONA JAS darüber, warum Kinder KEINE HANDYS dort wollen und man ihnen Kunst nicht erklären muss.
Wie sieht ein Kunstraum aus, wenn Kinder Mitreden dürfen? Vielleicht denkt man an Glitzer, Hüpfburgen und Bällebad, doch tatsächlich sieht er ganz anders aus.
Rahel Schneider: Wenn Sie ein Kind fragt, was Kunst bedeutet – was antworten Sie?
Mona Jas: Bisher habe ich die Frage immer umgedreht. Ich frage die Kinder, was Kunst für sie bedeutet – und dabei kommen die schönsten Antworten heraus: „Kunst kann sich jeden Tag verändern. Kunst kann man anschauen und sich etwas dabei denken, ohne dass jemand sagt, das ist falsch.“ Ich fühle mich nicht wohl dabei, Kindern vorzugeben, was Kunst ist. Lieber höre ich ihnen zu.
Was ist der Unterschied zwischen einem klassischen Kindermuseum und dem KinderKunstLabor?
In einem klassischen Kindermuseum steht oft die Wissensvermittlung im Vordergrund. Wer zu uns kommt und erwartet, etwa zu erfahren, warum Sauerstoff in der Luft ist, wird enttäuscht sein. Bei uns geht es um etwas anderes: Wir schaffen einen Ausstellungsraum, der professionell für hochwertige zeitgenössische Kunst ausgestattet ist – mit allem, was dazugehört: passendem Licht, konstanter Temperatur und großzügiger Raumhöhe. Unser Anspruch ist es, international renommierte Kunst so zu präsentieren, dass viele unterschiedliche Menschen einen Zugang dazu finden können.
Das KinderKunstLabor des Wiener Architekturbüros Schenker Salvi Weber war ursprünglich ein Projekt im Rahmen der Bewerbung St. Pöltens zur Kulturhauptstadt Europas. Schon bei der architektonischen Planung war ein Kinderbeirat involviert. Entstanden ist ein viergeschossiger Holz-Beton-Bau – lichtdurchflutet, mit viel Holz und fließenden Räumen. Kinder sind an der Auswahl der Künstlerinnen beteiligt und gestalten die Ausstellungen aktiv mit. 2024 wurde das Projekt mit dem Bauherr:innenpreis ausgezeichnet.
Berühren und Tollen ausdrücklich erlaubt! Ein besonders beliebtes Kunstwerk im Haus: Das Spinnennetz der renommierten japanischen Textilkünstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam (85) erstreckt sich über den Außenbereich des zweiten und dritten Stockwerks. Das farbenfrohe Nylongeflecht hat die Künstlerin übrigens selbst gehäkelt.
Vieles, was heute für Kinder gemacht wird, ist laut, grell und überdreht. Biene Maja oder Nils Holgersson – Kindersendungen meiner eigenen Kindheit – waren deutlich ruhiger geschnitten, mit echten Dialogen und einer zurückhaltenderen Farbgestaltung. Heute bekommen Kinder sehr früh Smartphones und werden mit medialen Inhalten regelrecht überflutet. Hier im Haus ist es genau umgekehrt: Alles ist reduziert, klar und zurückgenommen. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden?
Unser Gebäude soll ein Ort der Entschleunigung sein – und diese Haltung spiegelt auch meine persönliche Einstellung wider. Ich habe selbst drei Kinder großgezogen und habe vier jüngere Geschwister, bin also keine „Cat Lady“, auch wenn ich Katzen liebe (lacht). Gerade in meiner Heimat, dem urbanen Berliner Umfeld, habe ich erlebt, wie wichtig es für Kinder ist, einen Raum zu haben, in dem sie wirklich zur Ruhe kommen können – ohne Konsumdruck und ohne ständige Beobachtung durch Erwachsene.
Wie reagieren die Kinder auf dieses Konzept?
Bei der Planung des Hauses haben wir in die umliegenden Schulen eingebunden und gefragt, was sich die Schülerinnen und Schüler für das KinderKunstLabor wünschen würden. Die Antworten waren spannend: Zum Beispiel sollte es gut riechen – am liebsten nach Wald. Am Ende haben wir uns für einen Duft entschieden, der an einen Wasserfall erinnert.
Was war noch ihr Wunsch?
Außerdem sagten Zweitklässler, dass sie wollen, dass es im Haus gewaltfrei zugeht: kein Schubsen, kein Schlagen, kein Hauen, kein Schimpfen. Und sie meinten auch, sie wollen keine Handys hier haben. Ob sie ihre eigenen oder die der Erwachsenen meinten, weiß ich nicht genau, aber ich vermute, es sind eher die Handys der Erwachsenen. Ich glaube, Kinder wissen ganz genau, was ihnen gut tut. Meine Meinung ist: Vertraue den Kindern, vertraue der Kunst! Diese beiden Sätze stehen für mich über allem.
Die aktuelle Ausstellung heißt „Papier, Stein, Schere“ (läuft noch bis 31. August) – also anders als das bekannte Spiel „Schere, Stein, Papier“. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
„Schere, Stein, Papier“ ist ein großartiges Spiel, das ich total liebe. Alle kennen es, alle können mitmachen – und man braucht kein Equipment, nicht mal eine gemeinsame Sprache. Spannend finde ich, dass Stein als stärkstes Element gilt, aber im Spiel ausgerechnet vom Papier geschlagen wird. Deshalb haben wir „Papier“ vorangestellt. Für mich steht es ein bisschen symbolisch für die Kunst: Was auf den ersten Blick fragil wirkt, kann stark sein. Macht ist relativ.
„Was auf den ersten Blick fragil wirkt, kann stark sein.“
„Dywan/Carpet“ (1997-2000) der polnischen Künstlerin Katarzyna Józefowicz (*1959)
„Die ausgeschnittenen Köpfe aus Zeitschriften sind ein Lieblingswerk der Kinder. Mit Lupen und Taschenlampen entdecken sie ständig neue Gesichter – da ist Harry Potter, da hinten Shakira. Das Plexiglas ist schon ganz zerkratzt, weil sie so oft draufhängen.“
Im KinderKunstlabor werden vielfältige Medien gezeigt: von Videokunst und Fotografie über Malerei, Bildhauerei, Installationen, Soundart, Performance bis zu begleitenden wissenschaftlichen Arbeiten. Das Haus zeigt rund drei Ausstellungen jährlich. Dazu gibt es immer ein thematisch passendes Workshop- und Projektangebot, ausgerichtet für Kinder bis 12 Jahre. Ältere Menschen sind jederzeit willkommen.
In den offenen Laborräumen des KinderKunstLabors warten verschiedene Materialien darauf, entdeckt zu werden – ganz ohne Anleitung: „Ein gehörloses Kind mit Autismus war an unserer Legowand – und ist einfach nicht mehr weggegangen. Und ein anderer Junge, elf Jahre alt, hat sich hier völlig versunken eine eigene Bühnenpuppe gebaut. Seine Eltern saßen einfach da und haben ihn machen lassen. Ich dachte nur: ein Wahnsinn!“
Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Kunst?
Meine Eltern hatten eine Kopie des berühmten Vermeer-Bildes "Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster" aus dem 17. Jahrhunderts bei sich zu hause hängen. Niemand hat mir etwas dazu erklärt, trotzdem stand ich oft davor und betrachtete es. Noch heute erinnere ich mich an jedes Detail. Als Kind habe ich mir eine ganze Welt um das Bild herum ausgedacht: Was könnte in diesem Brief stehen? Wo befindet sich dieser Raum? Das Gemälde hat meine Fantasie unglaublich gefüttert und in mir etwas entstehen lassen, das über den Alltag hinausging. Etwas, das ganz mir gehörte.
Hat Sie jemand in Ihrer Kindheit ermutigt, kreativ zu sein? Oder mussten Sie sich diesen Raum selbst schaffen?
Wir sind fünf Geschwister und machen aber alle ziemlich unterschiedliche Sachen – meine eine Schwester ist Tiefbauingenieurin, die andere Kamerafrau, mein Bruder ist Steuerberater, und meine dritte Schwester unterrichtet Mathe. Kürzlich fragte mich jemand: „Sie waren bestimmt das schwarze Schaf in der Familie, oder?“ Das war aber zum Glück gar nicht so. Ich fing mit elf Jahren an, Gedichte und kleine Geschichten auf einer alten Schreibmaschine zu schreiben. Ich glaube, das kam durchs Lesen. Und das wiederum hatte ich sicher von meiner Mutter. Bei uns zu Hause lagen immer viele Bücher herum, auch solche, die eigentlich nicht für Kinder gedacht waren. Ich erinnere mich, wie ich mit 13 Jahren William S. Burroughs las – und dachte: „Wow, was es alles gibt!“ Ich glaube, dies alles hat in mir viel ausgelöst – dieses Gefühl, in Büchern andere Welten zu entdecken. Darüber kam das Schreiben und dann irgendwann die Kunst.
Apropos „Schwarzes Schaf“, viele Kinder, die sich für Kunst interessieren, stoßen in ihrem Umfeld erst einmal auf wenig Verständnis – besonders, wenn ihre Familien damit wenig Berührung haben. Wie erleben Sie das? Wie reagieren Familien aus St. Pölten und Umgebung, die vielleicht zum ersten Mal mit zeitgenössischer Kunst in Kontakt kommen?
Man merkt schon einen Unterschied zu Wien, von dort kommen viele Besucherinnen und Besucher mit einem stärkeren Vorverständnis für zeitgenössische Kunst – das hängt sicher mit dem kulturellen Angebot dort zusammen. In St. Pölten ist das Interesse aber groß, gerade bei meiner Generation und durchaus auch bei vielen jungen Familien. Ich sehe oft Mütter, die sich sehr ruhig und aufmerksam mit ihren Kindern auf die Kunst einlassen – das finde ich sehr berührend.
Ich denke, viele haben heutzutage geradezu panische Angst vor Langweile ...
... an den Wochenenden verspüre ich durchaus einen gewissen Druck bei den Eltern. Sie wollen ihren Kindern unbedingt etwas bieten, fühlen sich aber unsicher, weil sie denken, sie müssten die Kunst erst selbst verstehen, um sie weitergeben zu können. Ein Vater sagte einmal zu mir: „Bitte entwickelt doch Formate, die uns Eltern einen Wissensvorsprung verschaffen.“ Das kann ich gut nachvollziehen. Deshalb arbeiten wir daran, Angebote zu schaffen, die Eltern ihren eigenen Zugang zur Kunst ermöglichen, sie entlasten und gleichzeitig den Kindern Raum für ihre eigene Erfahrung geben.
Die Bibliothek des KinderKunstLabors wächst mit jeder Ausstellung. Ein Raum zur Entschleunigung und Verweilen. Die Kinderbücher erzählen von verschiedenen Identitäten und eröffnen Perspektiven jenseits der gewohnten Bahnen. „Wir entscheiden uns gezielt für Bücher, die nicht jeder zu Hause hat“, so Mona Jas.
In der Bibliothek könnte man sich wirklich stundenlang verlieren ...
Gestern war hier ein Betriebsausflug einer Volksschule. Da haben sich wirklich alle – von den Lehrenden bis zum Hausmeister – begeistert auf die Bücher gestürzt. Da dachte ich mir: Solange Erwachsene so viel Liebe für Kinderbücher aufbringen, kann die Welt gar nicht so schlecht sein. Best Agers, also ältere Personen, lesen an den Wochenenden bei uns unentgeltlich vor.
Vorlesen hat auch mich in meiner Kindheit geprägt. Bis ich ungefähr zwölf Jahre als war, haben meine Eltern mir jeden Abend vorgelesen.
Das habe ich mit meinen Kindern auch so gemacht. Diese Stunden waren immer die innigsten, gerade nach einem langen Arbeitstag.
Was ist Ihr Lieblingsort im Haus?
Der Ausstellungsraum und die Bibliothek! Als ich neulich mit dem slowakischen Künstler Robert Gabris (*1986) durchs Haus gegangen bin, sagte er: „Was muss das für Kinder bedeuten, zu spüren, dass dieses Gebäude und die Dinge hier nur für sie gemacht sind?“ Das hat mich sehr berührt. Am 19. September 2025 eröffnet im KinderKunstLabor eine ganz besondere Ausstellung, an der er beteiligt ist. Schattenfänger ist eine multimediale Rauminstallation, die mit Filmprojektionen, großen Zeichenflächen und Plexiglasobjekten dazu einlädt, den Garten bei Nacht als kollaboratives Ökosystem zu erforschen.
Im grünen Altonaa-Park rund um das Gebäude stehen keine Rutschen oder Schaukeln, sondern Skulpturen von bekannten Künstlerinnen, die in Workshops gemeinsam mit Kindern entstanden sind – etwa von Christine und Irene Hohenbüchler, Regina Möller oder dem österreichischen Designduo mischer'traxler.
Die „JA“-Skulptur der Wiener Künstlerin, Choreografin und Kuratorin Andrea Maurer ist das Ergebnis eines Workshops mit Volksschulkindern. Gemeinsam schnitten sie mit Skalpellen Zeitungsausschnitte aus und erforschten, wie sich Sätze verändern lassen, wenn man die Worte neu anordnet.
„Obwohl einige Sorge hatten, dass sich die Kinder verletzen könnten, ist bisher nichts passiert. Andrea hat sich konsequent geweigert, das Material für Kinder anzupassen, weil sie fest daran glaubt, dass sie das schaffen.“
Die Ruhe hier im Haus ist spürbar und sehr angenehm!
Ja, oder? Playgrounds für Kinder sind ja oft irgendwo im Keller ohne Fenster. Ich komme manchmal in so eine Kinderinstitution – ich sag jetzt nicht welche – und zack: Tür auf, boom-boom-boom, alles blinkt, alles laut. Ich denk mir: Hallo? Städte sind doch ohnehin schon so stressig für Kinder! Eltern hetzen mit dem Auto durch die Stadt und dann landen sie auch noch in so einem Raum?
In diesem Haus erlebt man das genaue Gegenteil: Licht, Luft ...
… Ruhe, Grün. Es gibt ganz kleine Kinder, die stellen sich hier einfach an die Glaswand und schauen raus – minutenlang. Diese Verbindung nach draußen, die Offenheit, das ist kein weißer Kasten, hier kann man atmen.
Was können Erwachsene von Kindern lernen?
Das Sehen. Und das Hören. Das Wahrnehmen. Kinder haben so ein Feingefühl für Dinge, die wir Erwachsene übersehen, weil wir in unserem Alltagstrott festhängen, alles filtern, alles schon einordnen. Sie zeigen uns Perspektiven, auf die wir alleine gar nicht mehr kommen würden.
Danke für das Gespräch!
Das KinderKunstLabor in St. Pölten öffnete im Juni 2024 seine Türen als neuer Begegnungsort für internationale zeitgenössische Kunst mit dem Fokus auf Kinder und junge Besucherinnen bis 12 Jahre. Das Haus wurde vom Architekturbüro Schenker Salvi Weber gestaltet.
MONA JAS ist Künstlerin, Kuratorin und Wissenschaftlerin sowie seit 2021 künstlerische Leiterin des KinderKunstLabors für zeitgenössische Kunst. Sie lehrt seit 2015 als Honorarprofessorin für Kunstvermittlung und kulturelle Bildung an der Weißensee Kunsthochschule Berlin und forscht an der Schnittstelle von zeitgenössischer Kunst, Kuratieren und Vermittlung. Zu ihren bisherigen Stationen zählen die Mitgliedschaft in der faculty der documenta 14 (2017) und die Leitung der Vermittlung der 10. Berlin Biennale (2018). Bis 2021 leitete sie zudem das Forschungsprojekt „Künstlerische Interventionen in der kulturellen Bildung“ an der Universität Hildesheim