Taiga: Berlins begehrtester Friseur

Wenn Haare zur Kunst werden

Die angesagte Kunst- und Undergroundszene besucht ein und denselben Friseur: Taiga Sato. Der Japaner trifft nicht nur den Puls des Haarzeitgeists, sondern sprengt konventionelle Grenzen, indem er Haare in Kunstwerke verwandelt. Wir haben ihn in seinem Salon in Berlin getroffen. 

Text: Mia Mödlhammer, Fotos: Taiga Sato

Artistic portrait of a model styled as ‘Medusa,’ featuring vibrant green hair extensions integrated into a structured wire framework. The model wears a sleek black blazer and striking avant-garde makeup with black swirling eyeliner. Styled and directed by Taiga Sato for Infringe Magazine.

„Haare sind Aura.“

Mia Mödlhammer: Erinnerst Du Dich an Dein frühestes Erlebnis, das mit Haaren zu tun hatte?

Taiga Sato: Die erste Erinnerung ist vermutlich, Haare zu berühren. Ich liebte es schon als Kind, lange Haare zu streicheln, zu fühlen oder zu flechten.

Schon in der Antike waren Haare eng mit sozialen und kulturellen Zuschreibungen verknüpft. Ob Afro, Locs, Braids (Zöpfe) oder Cornrows (Flechtfrisuren), Bubikopf, Beehive (Bienenkorbfrisur) oder Taper (Übergangsfrisur) – Haare erzählen Geschichten. Was sagen sie über uns aus? Warum wollen Menschen ihre Identität durch Frisuren ausdrücken? 

Das frage ich mich auch immer. Haare sind nicht nur Teil der Mode – Mode ist ebenso Teil der Haare. Die Frisur spiegelt die Aura einer Person wider: ihre Silhouette, ihre Farben. Deshalb sollten Friseurinnen und Friseure die Menschen erst einmal kennenlernen, die sie stylen. Alles sollte schlussendlich stimmig sein, auch in Bezug auf Augen- und Hautfarbe. Am Ende sollte es eine Balance ergeben. Haare sind die Aura einer Person – sie wachsen auch aus unserem Inneren heraus. 

„Streicheln, fühlen, flechten“

Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen nach Friseurbesuchen eher unzufrieden sind?

Ja, das sehe ich genauso. Viele kommen zu mir, um einen schlechten Haarschnitt oder eine unpassende Haarfarbe korrigieren zu lassen. Ich liebe die Atmosphäre in einem Haarsalon – den Geruch, die Geräusche und das Berühren von Haaren (lacht). Ich kann mich auch noch an meinen ersten Besuch in einem Haarsalon erinnern. Mit ungefähr fünfzehn Jahren. Das war ein Schlüsselmoment für mich. Die Haarschnitte, die den Kundinnen und Kunden dort verpasst wurden, waren allesamt schrecklich! Ich war mit meinem eigenen Haarschnitt immer so unzufrieden, dass ich das starke Bedürfnis spürte, es lieber selbst zu machen.

Was war die erste Frisur, die Du gestaltet hast?

Manchmal schneide ich mir die Haare sogar selbst, aber mittlerweile habe ich Kolleginnen, denen ich vertraue. Meinen ersten Haarschnitt verpasste ich mutig jemandem in der Oberschule. Das war ein Männerhaarschnitt. In der Schule besaß niemand Geld, und alle wussten, dass ich Friseur werden wollte, also kamen sie zu mir. Meine Eltern hatten ein großes Haus auf dem Land in der Nähe von Tokio mit einem freien Zimmer. Daraus machte ich mein eigenes kleines Friseurstudio. Das war gut besucht.

„Mach, was Du willst! Beste Ansage!“

Du sprengst mit Deinen Frisuren konventionelle Grenzen! Passiert das von selbst?

Ich bin ein „Overthinker“, ich denke alles bis ins Detail durch. Natürlich gibt es viele Frisuren, die schon existieren und die ich nicht erfunden habe. Aber ich versuche, Styles aus verschiedenen Perspektiven zu denken. Wenn man an Haare denkt, denkt man zuerst an das, das bereits vorhanden ist. Ich frage mich dann: Was kann man hinzufügen? Wie kann man eine Frisur größer machen? Vielleicht nicht mal unbedingt mit Haaren, sondern: Was kann man sonst noch hinzufügen? Von diesen Gedanken ausgehend entstehen die meisten meiner Ideen. 

Deine Frisuren scheinen von Underground und Punk beeinflusst zu sein. Ist das so?

Ich glaube, jeder Friseur durchlebt früher oder später eine Punk-Ära. Ich mag Punk- und Metal-Musik. Diese Genres bieten unzählige kreative Möglichkeiten. Wenn man an „verrückte“ Frisuren denkt, kommen einem oft diese radikalen Bewegungen in den Sinn. Gleichzeitig kann ich auch mit Basic-Schnitten viel machen. Auch daraus lassen sich große Formen kreieren. 

„Ich bin ein Overthinker“

Formen wie Sterne scheinen ein immer wieder auftretendes Merkmal bei Dir zu sein. Warum?

Ich nehme Inspirationen von überall. Ich liebe Mode. Manchmal verwende ich die Textur oder das Material von Kleidung als Inspiration. Wenn ich im Salon bin, werde ich auch oft sehr spontan inspiriert – von den Kundinnen, ihrem Vibe oder ihren Farben. Natürlich teilen sie mir ihre Idee für ihre Frisur zuerst mit, und ich versuche dann, dem etwas hinzuzufügen, um gemeinsam etwas zu kreieren.

Vielleicht ist der Unterschied zwischen Frisuren und Mode auch, dass Haare Teil unseres Körpers sind?

Ja, genau. Haare als Aura zu betrachten, ist ohnehin ein sehr spiritueller Ansatz.

„Aura. Emotion. Leben."

Wie beeinflussen kulturelle Unterschiede zwischen Asien und Europa Dein Styling?

In meiner Familie hat sich niemand wirklich für Mode interessiert. Alle tragen schlichte Frisuren und sind sehr konservativ. Ich war auch der Erste, der weiter weggezogen ist. Früher war der Unterschied zwischen Asien und Europa riesig. Doch mit dem Revival der 80er- und 90er-Jahre habe ich einen Wandel in den asiatischen Schönheitsidealen bemerkt. Seither ähneln sich die beiden Kulturen etwas mehr, vielleicht durch das Internet und Social Media. Während Mode in Japan kommerziell darauf ausgerichtet ist, süß auszusehen, strebt man in Europa eher nach einem sexy Look – sowohl bei Haaren als auch bei Mode.

Lieber Tokio oder Berlin?

Berlin! Ich habe das Gefühl, dass in Tokio besonders starke Charaktere leben. Das hatte ich bisher an keinem anderen Ort auf der Welt so wahrgenommen – bis ich nach Berlin kam. Die Stadt hat mich inspiriert, das Lebensgefühl kommt mir hier vertraut vor. Für mich ist es überaus wichtig, interessante Menschen um mich zu haben. Außerdem unterstützt man sich in Berlin gegenseitig, ähnlich wie in Tokio.

Was bedeuten Haare für Dich in drei Wörtern?

Aura. Emotion. Leben.

Danke für das Gespräch.

Taiga Sato wurde am 7. November 1998 in Gunma, einem kleinen Ort nahe Tokio, Japan, geboren. Dort wuchs er mit seinen Eltern und einer sechs Jahre älteren Schwester auf. Direkt nach der Schule zog er im April 2019 nach Berlin, um seine zweijährige Ausbildung im japanischen Friseursalon ticro in Berlin-Mitte zu absolvieren. 2025 gründete er seinen eigenen Salon Orb+ (Dienstag bis Samstag, 11:00 bis 20:00 Uhr, Termin via DM telefonisch unter +030 51738258). Nebenbei etabliert er sich künstlerisch mit Arbeiten für Editorials und Haar-Skulpturen für Ausstellungen.

(DP)

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