„Stark auf Qualität unterwegs“

Lo Breier prägte als Art-Direktor das Grafikdesign einer ganzen Generation. Er gestaltete unter anderem die legendären Zeitgeist-Magazine Wiener und Tempo und das Falco-Album Junge Roemer. Ende Juni ist er im Alter von nur 72 Jahren verstorben. Vor seinem Tod führten wir mit ihm noch ein Interview – über seine Kindheit in Wien, die Party des Lebens, die wilden Achtziger und über all die Nerds, die er so schätzte. 

Text: Antje Salvi, Fotos: Günter Parth, Fotoassistenz: Felix Lang, Pascal Schrattenecker

„Das wird doch nicht alles gewesen sein?!“

Antje Salvi: Das Magazin „Wiener“ war legendär, eines der ersten Zeitgeist-Magazine im deutschsprachigen Raum, das Du von 1980 bis 1985 als junger Art-Direktor maßgeblich mitgeprägt hast. Es war der Beginn Deiner internationalen Karriere. Hast Du gute Erinnerungen daran?

Lo Breier: Ich bin schon ein bisschen deprimiert, dass das so lange her ist. Das ist ein Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Der „Wiener“ ist schon 45 Jahre alt. Ich muss sagen, die aktuellen Herausgeber, der Franz J. Sauer und der Gregor Josel, pflegen den Titel ja rührend. Wir alle waren Anfang der Achtziger so Mitte bis Ende zwanzig, blutjung sozusagen. Der Job als Art-Direktor beim „Wiener“ war ja schon meine zweite Karriere, vorher hatte ich Werbung gemacht.

Das C/O Vienna Magazine gäbe es nicht ohne den „Wiener“, dessen Anfänge ja immer ein Vorbild für uns waren. Immerhin haben wir auch das Wort „Wien“ in unserem Titel, wenn auch auf Englisch! Erzähle, wie damals alles angefangen hat?

Ich arbeitete nach dem Abschluss der Meisterklasse an der „Graphischen“ als Freelancer für Agenturen, als Designer und Grafikdesigner. Das waren so kleine Kunden. Ich dachte mir: „Boah, das kann ja nicht wahr sein!“ Das war alles sehr spießig. Ich fragte mich, was ich im Leben noch machen kann? Das wird doch nicht alles gewesen sein?! Bis auf die Werbeagentur GGK, die war dann interessant für mich. Da gab es den Kreativdirektor Gert Winkler, den Geschäftsführer Patrick Schierholz und eben Hans Schmid, der 1980 das Magazin „Wiener“ neu gründete und mich dort als Art-Direktor hinzuholte.

Du bist gebürtiger Wiener?

Ich bin im 6. Bezirk aufgewachsen. Ich war schon sehr privilegiert, muss ich sagen. Meine Eltern waren nicht reich, aber die Wohnung war mitten in der Stadt in der Rahlgasse, nicht weit vom Kunsthistorischen Museum entfernt. Meine Mutter war Designerin und hat mich, als ich klein war, oft in die Akademie der bildenden Künste ums Eck mitgenommen, da gab es einen Metall- und Zeichenkurs für Kinder. Der Vorgarten der Akademie war mein Kinderspielplatz. 

„Legendär verwirrt“

Deine Mutter war Designerin? Das war für die Sechziger ziemlich ungewöhnlich. Es war damals noch gang und gäbe, dass eine Frau ihren Mann fragen musste, ob sie arbeiten darf?

Das war bei meiner Mutter schon auch noch so. Sie wollte eigentlich Krankenschwester werden, aber meine Großmutter hatte ihr davon dringend abgeraten. Sie meinte: „Auf keinen Fall. Du bist immer so verwirrt. Als Krankenschwester wirst sicher die Spritzen verwechseln und für Todesfälle verantwortlich sein. Ich schreib Dich lieber in der ,Graphischen‘ ein.“

Aha, von Deiner Mutter hast Du das. Du giltst ja als legendär verwirrt!

Ja, sicher. Ich bin stolz darauf. Es ergeben sich durch die Verwirrtheit viel mehr Möglichkeiten und man kommt über Zufälle oft auf Sachen drauf, auf die man sonst nicht draufgekommen wäre. 

Das hat was!

Ich besuchte ja die Volksschule Gumpendorferstraße / Ecke Rahlgasse. Da bekamen wir die Aufgabe, auf einer Stadtkarte schriftlich zu vermerken, welche Sehenswürdigkeiten die Ringstraße säumen. Wie so oft hatte ich aber nicht gut zugehört und dachte mir: „Oh, das wird aber anstrengend. Jetzt muss ich den Ring ablaufen und alles abzeichnen.“ Aber ich hab’s durchgezogen: Ich bin wirklich losmarschiert, einmal rund um die Ringstraße – und hab unterwegs alles skizziert, was ich gesehen hab. Um Mitternacht bin ich völlig erschöpft nach Hause zurückgekehrt. Am nächsten Tag in der Schule war ich ziemlich müde, aber ich hatte es geschafft – wenn auch knapp (lacht). Die Klasse hat sich natürlich totgelacht.

Das ist sehr lustig!

Dadurch kenne ich jetzt die Ringstraße sehr genau, was doch toll ist!

Als Du Kind warst, war Wien nicht die Stadt von heute. Wie war es damals?

Sehr grau. Wo heute das Museumsquartier ist, also ums Eck von unserer Wohnung, stand der sogenannte Messepalast, das war eigentlich mehr eine Gstettn, die Location war völlig desolat. Da gab es aber die legendäre Jochen Rindt Show. Als Kind habe ich es dort geliebt! Der Formel-1-Fahrer stellte dort Rennwagen aus. Das Publikum stürmte die Ausstellungen, heute unvorstellbar, doch damals waren solche Veranstaltungen in Wien eine Seltenheit. Da war sonst nix. 

Dein Vater war gebürtiger Holländer, deswegen auch Dein Name Lodewijk „Lo“ Breier. Was machte er beruflich?

Er hatte Kunst studiert und machte Erfindungen. Gott sei Dank hatte meine Mutter geerbt. Die Erfindungen meines Vaters waren alle furchtbar interessant, aber Geld hat er damit keines verdient. 

Deine Eltern förderten Deine Kreativität?

Ja, sehr sogar. Und ich habe eine zwei Jahre jüngere Schwester, die ich bereits als Sechsjähriger als meine Sekretärin für alle Aufgaben eingesetzt habe. 

Das sind Deine niederländischen Gene! Die Holländer und Holländerinnen können gut delegieren.

Als meine Schwester 16 Jahre alt wurde, hat sie das Arbeitsverhältnis allerdings gekündigt. Aber es war nicht nur ein Nehmen, sondern auch ein Geben, ich habe ihr dafür Puppenkleider genäht.

„Natürlich im Parkverbot“

Hast Du als Kind viel gezeichnet?

Stundenlang und mit meinem Erfinder-Vater viel gebastelt. Mir war lange nicht klar, was ich studieren wollte. Architektur war mal eine Idee, aber da meine Eltern beide schon auf der „Graphischen“ waren, lag es nahe, auf dieselbe Schule zu gehen. Ich habe dort letztendlich mit der Meisterklasse für Kommunikationsdesign abgeschlossen. Nicht sehr originell.

Ich habe dort unterrichtet und wir haben zwei C/O-Vienna-Magazine-Ausgaben mit der Meisterklasse für Kommunikationsdesign produziert. Wie toll, dass Du und Deine Eltern diese Schule besucht haben. Hat die Familie Breier dort eine Ehrentafel?

Wenn mich dort nur jemand kennen würde! Es war auch mehr eine Schule fürs Leben als alles andere. Wir stellten viel Blödsinn an. Mein Freund Thomas hatte ein Faible für alte Autos, im Speziellen für die Automarke Jaguar.

Nicht unbedingt ein günstiges Hobby!

Er hatte sich einen gebrauchten Jaguar gekauft und ich musste das Benzin zahlen (lacht). Wir haben dann immer für 20 Schilling getankt, wenn wir das Geld überhaupt auftreiben konnten. Wir kamen jedenfalls oft zu spät in die Schule und parkten dann immer direkt vor der Schule, natürlich im Parkverbot. Wenn wir dann ausstiegen, – in unseren schweren Mänteln, ich trug den von meinem Opa, rief der Direktor aus dem Fenster: „Ah, die beiden Gutsherren sind auch schon da!“

Kannst Du Dich noch an Deine ersten grafischen Arbeiten erinnern?

In meiner Naivität habe ich Jimi-Hendrix-Poster im Siebdruck produziert und versucht, sie in Clubs und in Kaffeehäusern zu verkaufen. Da habe ich gelernt, wie schwer es ist, seine eigene Kunst an den Kunden zu bringen. Eine Schulfreundin, die ich verehrt habe, hat mir kürzlich ein Poster, das ich ihr geschenkt hatte, zurückgegeben. Sie wusste nicht, wo sie es hintun soll, wegschmeißen wollte sie es aber auch nicht. Ich habe es jetzt bei mir zu Hause aufgehängt. 

„Es war einfach haptischer.“

Heute unvorstellbar, aber Ihr habt als Grafikerinnen noch ohne Computer gearbeitet?

Das war einfacher und greifbarer als heute. Es gab Lithoanstalten, man hat Fahnen geklebt, Schriften mit Hand kopiert und angesagt, welche Schrift man wollte. Wir hatten den Vorteil, dass wir das Typografiewerkzeug „Linotype“ zur Erstellung eigener Fonts verwenden konnten. Andere hatten das nicht. Der Grafiker und Typograf Neville Brody hatte zum Beispiel für die Headlines „Letraset“ verwendet, Bögen mit vorgedruckten Buchstaben in verschiedenen Größen, die man auf das Papier durchrubbelte. Deswegen kam er auf diese Schriften mit unterschiedlichen Buchstaben. Das „Letraset“ ging ihm aus, die Buchstaben waren oft nicht mehr vorhanden, da hat er einfach eine andere Schrift genommen. 

Das wirkte auf alle wie ein Fehler?

Ja, ich, Trottel, habe das am Anfang nicht begriffen, wie man aus diesem Mangel eine gute Sache machen kann. 

Wie kann man sich die Produktion damals vorstellen?

Auf vorgedruckten A3-Bögen mit dem Raster hat man beispielsweise für die Fotos Rechtecke gezeichnet, dazu das kopierte Bild vom Fotografen gegeben und darunter waren die Prozente angeschrieben, wie groß und welchen Ausschnitt man haben will. Du konntest unglaublich rasch Seiten fertigstellen. Es war einfach haptischer. Wenn Du mir als Journalistin einen Text geschickt hast, habe ich ausgemessen, wie viele Buchstaben das sind, wie lange das ungefähr wird und dann haben die das im Satzstudio über Nacht gesetzt. Wir haben beim „Wiener“ als eine der ersten mit einem Filmsatzstudio zusammengearbeitet. Wir waren immer sehr stark auf Qualität unterwegs.

„Tobsuchtanfall“

Wie viele Seiten zählte damals das Magazin „Wiener“?

Ich schätze, es waren 80 Seiten. 

Nur 80 Seiten?!

Das war immer das Riesenthema für unseren Verleger und Gründer Hans Schmid, der der österreichische Partner der internationalen Schweizer Werbeagentur GGK war und mich zum „Wiener“ holte. Er hat das Magazin 1980 neu gegründet, nachdem es ein Jahr davor nach nur vier Ausgaben pleite gegangen war. Gert Winkler, Michael Satke und Günther Lebisch scheiterten an der Finanzierung. Mehr als 80 Seiten durften es also von Schmid aus keinesfalls werden, damit es halt leistbar blieb.

1982 wurde zuerst Michael Hopp und dann Markus Peichl zum Chefredakteur bestellt. Letzterer war dafür bekannt, immer mehr Seiten und immer mehr Auflage als geplant drucken zu lassen?

Markus hat immer noch einen Grund gefunden, dass wir doch mehr Seiten machen und noch eine höhere Auflage drucken. Am Anfang waren es acht Seiten mehr, dann 16, dann 32, erst 10.000 Auflage, dann 50.000, dann 100.000 und so weiter. Dadurch haben wir aber immer mehr verkauft, bis das Expansionsmodell nicht mehr funktioniert und der Schmid einen Tobsuchtsanfall bekommen hat. Am Abend ist er dann in die Redaktion in die Wipplingerstraße gekommen und hat uns klargemacht: „So geht das nicht!“ Ich war ein Vertrauter für ihn, weil ich ja auch in seiner Werbeagentur gearbeitet hatte. Er hat mir gesagt: „Lo, mit dieser wahnsinnigen Redaktion mache ich nicht so weiter, Du musst sie im Griff haben!“ Aber ich war ja nur der Art-Direktor und nicht der Chefredakteur. 

Wollte Hans Schmid den „Wiener“ einstellen?

In der Redaktion war ein Riesentumult. Gleichzeitig warteten unten im Auto meine neue Freundin und ihre Mutter – ich sollte ihre Mutter an diesem Abend zum ersten Mal beim Abendessen kennenlernen. Ich hatte die beiden um acht Uhr verlassen, „nur kurz“, dachte ich – und kam erst um zehn wieder runter. Zwei Stunden lang hatten wir in der Redaktion heftig diskutiert, bis wir endlich einen Kompromiss fanden. Ich war zufrieden und glücklich. Meine Freundin und ihre Mutter saßen immer noch im Auto. Ich stieg ein – bereit fürs gemeinsame Abendessen. Die wollten aber nimma mit mir gehen. 

Und mit der Freundin war es dann auch aus?

Ja, aber der „Wiener“ war gerettet!

„U4, so a Bledsinn, was soll das sein?“

Hast Du damals ein regelmäßiges Gehalt erhalten?

Nein, ich habe fast nichts verdient, hatte sogar Schulden, aber das war wurscht. Die anderen haben schon ein bisserl Geld gekriegt, sonst wäre das nicht gegangen.

Was machte, glaubst Du, die Sexiness des „Wiener“ damals aus?

Na ja, das ist ganz einfach. Das hatte ja eine Vorgeschichte und fing schon in der „Graphischen“ an. Meine Freunde, Freundinnen und ich waren halt viel in Wien unterwegs, kannten die Galerien, Galeristinnen und Galeristen, Künstlerinnen und Künstler. Wir sind nicht zu Hause gesessen und haben Joints geraucht, wir schlugen uns im Wiener Untergrund und in den Kneipen der Stadt die Nächte um die Ohren. Die Wiener Kunstszene, das Partyleben und alles rundherum war für uns hochinteressant. Wir waren oft in der Galerie nächst St. Stephan, in dessen Umfeld sich das Who's who der Künstlerszene der Zeit bewegte. Gertie Fröhlich, auch Grafikerin und Malerin, kannte ich beispielsweise schon von klein auf, die Fotografin Elfie Semotan seit ich sechzehn war. Sie wohnte im gleichen Haus wie die Familie Kloss. Dessen Sohn Niki, der Werber, Fotograf und Künstler geworden ist, war ein Schulfreund von mir. Der hat übrigens mein Rennrad verloren. 

Das heißt, wenn man ein Magazin macht, muss man „viel rum“ sein?

Auskennen muss man sich! Da gab es beispielsweise den Club U4. Den hatte Ossi Schellmann, den ich auch gut kannte, 1980 eröffnet. Er wollte damals die U-Mode-Show machen mit Helmut Lang und Elfriede Jelinek in der Jury. Unser Verleger meinte nur: „U4, so a Bledsinn, was soll das sein?“ Wir haben gesagt: „Das ist wichtig!“. „Na gut, wenn es wichtig ist, dann bringen wir das.“

Der Verleger hatte inhaltlich etwas zu sagen?

Der hat eher immer genervt, das darf man eigentlich nicht so laut sagen, aber es war halt so.

„Wien war furchtbar verstaubt und dunkel.“

Hattet Ihr damals beim „Wiener“ eine Blattlinie?

Wir hatten Vorbilder in New York: das „The Interview Magazine“ und das „New Yorker Magazine“. Celebrities hatten wir in Wien ja nicht, kaum welche, bis heute eigentlich nicht, dadurch sahen wir uns eher als Stadtmagazin, aber mit einer internationalen Ausrichtung.

Regional international, so wie Wien ist: klein, aber auf eine gewisse Art und Weise dann doch auch grindig glamourös?

Ja, so würde ich es ausdrücken. Gert Winkler pushte mich sehr. Der war an die zehn Jahre älter als ich, er trug Schlaghosen und Hawaiihemden. Ich dachte mir: Was will mir dieser alte Mann sagen? Ich fand ihn albern, bis ich erkannte, der hat ein Wissen, das ist phänomenal. Er war ein Kinoexperte und konnte Filme bis in jedes Detail nacherzählen. Und er war ein begeisterter Aktionismus-Fan. Die Wiener Kunstszene war seine Welt. Er entdeckte die Fotografin Elfie Semotan. Er kannte sich total aus. Er war ein Nerd. Dazu hat er noch geboxt.

War Gert Winkler ein Vorbild für Dich?

Ja, er hat mich gelehrt, groß und international zu denken. Wien war damals furchtbar verstaubt und dunkel. Es gab da das Café Hawelka mit dieser Künstlertruppe um André Heller, die dort Hof hielten, wogegen ich nicht intellektuell anstinken konnte. Ich hatte den Vorteil, dass ich mit der Tochter vom „Zwanziger Haus„“-Direktor Alfred Schmeller befreundet war und mir dadurch ein gewisser Respekt entgegengebracht wurde. Man musste sich Wien hart erarbeiten. 

„Ich war eher so der Zuschauer und Zuhörer.“

Hast Du als Art-Direktor beim „Wiener“ auch selbst Geschichten eingebracht?

Es gab immer Leute, die besser schreiben und Musik machen konnten als ich. Ich war eher so der Zuschauer und Zuhörer. Wir haben die Beiträge mit den Redakteuren und Redakteurinnen aber natürlich gemeinsam entwickelt. Der „Wiener“ war eine Ansammlung von ziemlich vielen kreativen, verrückten Köpfen. Ein Magazin ist ein Gesamtkunstwerk. Ich finde bis heute den Austausch zwischen den Disziplinen wichtig, Kunst, Wissenschaft, Architektur, die Diskussion zu suchen und miteinander zu sprechen. Das können die Social Media und das Internet nicht ersetzen. 

War das Geheimnis vom „Wiener“, dass Ihr immer wieder Kreative eingeladen habt?

Künstler wie Franz West oder Peter Kogler oder Kiki Kogelnik haben für uns Illustrationen gemacht oder ganze Strecken gestaltet. Viele Kreative waren da dabei. Einen Freund von mir, den Designer Matteo Thun, habe ich Skier für den „Wiener“ designen lassen, um zu zeigen, was in diesem Bereich möglich wäre. Der Artikel daneben war nur leider ein ganz böser Verriss über Thun. Ich hatte den Text leider vorher nicht durchgelesen. Solche absurden Situationen hat man eben beim „Wiener“ aushalten müssen (lacht).

Viele Kreative kamen bei Euch in der Redaktion spontan vorbei?

Ja, West kam eines Tages zu uns in die Redaktion und fragte, ob wir ihm nicht seine Servietten abkaufen wollten. Da seien alle Unterschriften der Künstlerinnen und Künstler drauf, die gestern bei einer Vernissage ausgestellt hätten, erzählte er uns. Okay, ich habe sie ihm dann abgekauft. Ich habe sie nicht mehr und wir haben die Geschichte auch leider nicht gebracht. Die Servietten wären heute wahrscheinlich sogar was wert. Das war ein Freundeskreis damals, der so eine Mischung aus peinlich und interessant war: Arme und Reiche, Berühmte und Versager, sie waren Teil dieser seltsamen Subkultur von Wien.

„Ich war sehr schüchtern, Falco war auch sehr schüchtern.“

Marianne Kohn, die Ikone des Wiener Nachtlebens, gehörte auch zu Eurem illustren Kreis?

Marianne hat uns sozusagen organisiert und uns regelmäßig am Nachmittag angerufen: „Heast, Burschen, Ihr müsst dort und dort hingehen!“ Ins Metropol, ins Kino, zum Konzert der Band Drahdiwaberl ...

... das war eine anarchistische Punk-Rock-Band, bei der auch Falco mitspielte. Apropos: Du hast 1984 das Cover von Falcos zweiten Album „Junge Roemer“ designt. Wie kam es dazu?

„Junge Roemer“ für Falco mit Michael Beran gemeinsam: Es war alles sehr schlicht. Ich habe die weißen Buchstaben auf die schwarzen Felder gesetzt, damit man die Schrift auf Falcos weißen Hemd lesen konnte. Das war jetzt alles nicht so sensationell. Wir kannten Falco von einem Interview im „Wiener“. „Junge Roemer“ sollte den Erfolg seines ersten erfolgreichen Albums „Einzelhaft“ weiterbauen, hat aber lang nicht so gut verkauft, weil vielleicht die kühle und reservierte Ästhetik des Covers nicht massentauglich war. Das war uns aber wurscht, das war ein gutes neues Image für ihn. Der Falco hat uns das auch nie vergessen, hat gesehen, wir sind gut. Wir haben immer wieder was für ihn gemacht. 

Hat Falco beim Coverdesign mitgeredet?

Wir haben Falco für das Cover zweimal fotografieren müssen. Das was jetzt drauf ist, hat Rudi Molacek geschossen. Die ersten Porträts waren von Gerhard Heller, die waren Falco zu düster. Heller war übrigens eine ganz wichtige Person für mich, ein grandioser Fotograf, mit dem man sehr gut zusammenarbeiten konnte und der übrigens immer bestens gekleidet war, vom Kopf bis zu den Schuhbändern, er wusste alles über Mode. 

Wie war Falco so?

Ich war sehr schüchtern, Falco ebenfalls, er hat das nur überspielt. Aber er war halt auch extrem unterwegs. Ich bin mit ihm bis drei Uhr morgens um die Häuser gezogen, aber dann nach Hause gegangen. Falco hat bis mittags am nächsten Tag weitergefeiert. Das hätte ich mir weder finanziell noch arbeitsmäßig leisten können.

Es gab sehr viele nerdige extreme Menschen damals in Wien!

Genau! Ihre Energie habe ich für mich und meine Kreativität abgesaugt!

„Dann haben wir eben auch gelogen.“

Weißt Du noch, welche Auflage Ihr beim „Wiener“ hattet?

Das mit der Auflage war ein ewiges Spiel. Es gab ja noch Fellners Magazin „Basta“, das so eine Art Konkurrenz zu uns war. Die haben bezüglich ihrer Auflage extrem gelogen. Wir hatten die Zahlen vom Vertrieb Morawa und wussten, wie viel sie wirklich verkauften, sehr viel weniger als angegeben. Dann haben wir eben auch gelogen. Wir hatten vielleicht eine Auflage von 70.000 und stattdessen 120.000 angegeben oder so. 

Wollten Euch die Fellner-Brüder nicht auch mal abwerben?

Die Fellner-Brüder wollten Markus und mich sozusagen abkaufen. Wir hatten uns mit ihnen im 1. Bezirk in einem Restaurant getroffen. Markus hatte die freche Idee, das Gespräch heimlich mit einem Tonband aufzunehmen. Wir haben das dann in unserem Editorial des „Wieners“ öffentlich gemacht, dass die Fellners uns abwerben wollen und wir natürlich das Angebot stolz abgelehnt hatten. Daraufhin haben die Fellners in ihrem „Basta“-Editorial entgegnet, dass sie das nie getan hätten. Daraufhin gab es einen Rechtsstreit. Nachdem ihnen das Tonband vorgespielt wurde, haben sie ganz schnell eingelenkt und den Abwerbeversuch zugegeben. Die waren logischerweise super sauer auf uns (lacht). Zehn Jahre später, als die Fellners das „News“ gründeten, haben sich mich nichtsdestotrotz als Art-Direktor angefragt.

Ihr hattet mit dem Lifestyle-Magazin „Basta“, dessen erste Ausgabe 1983 erschien, einen harten Konkurrenzkampf?

Die „Basta“-Leute haben überall in Wien Aufsteller platziert und alles wild zuplakatiert. Das haben wir dann auch gemacht. Dann wurden so Pappdinger um Verkehrssäulen mannshoch angebracht, da haben wir gleich nachgezogen. Die Aufsteller wurden immer höher und immer größer. Bis Helmut Zilk, Bürgermeister von Wien, gesagt hat: „Burschen, so geht's net weiter. Wir müssen uns zsammensetzn!“ Dann haben wir uns mit ihm eben zusammengesetzt, da waren, soweit ich mich erinnere, neben mir, die Fellners, Gert Winkler, Hans Schmid und Markus Peichl mit dabei. Wir haben uns dann geeinigt und mit ihm ausgemacht, wir dürfen maximal so groß wie Zilk werden (lacht). 

„Des is a guade Idee, Herr Breier, des machma!“

Das war eine klare Sache!

Der Zilk hat dann noch zu mir gesagt: „Ich gratuliere, Ihr macht ein tolles Heft und das ist für Wien gut. Haben Sie noch eine Frage oder Wunsch an mich?“ Ich meinte: „Ich fände es gut, wenn es um die Ringstraße einen Fahrradweg gäbe", weil ich damals schon so gerne mit dem Radl gefahren bin. Dazu Zilk: „Des is a guade Idee, Herr Breier, des machma!“ Und so kam es dann auch. 

Du kennst die Ringstraße seit Deiner Volksschulzeit eben auch gut! Gibt es eine „Wiener“-Ausgabe, an die Du Dich gern erinnerst?

Eine Ausgabe, die ich besonders schätze, war die über den Aktionismus. Das war eine Sonderausgabe, die sich der Gert Winkler geleistet hat, weil er diese Kunstrichtung so geliebt hat. Das Cover mit dem großen „A“ hat der Michi Beran gemacht, das fand ich ganz toll, also dieses Revolutionäre und Andersartige. Wir haben ja mit den Covers immer Auflage machen wollen. Das war für mich eher anstrengend. Es ging immer um Sex und bissi Peinliches, fand ich. Aber diese Aktionismus-Ausgabe fand ich sinnvoll. Wir hätten öfters mal was über andere Themen machen sollen.

Konntet Ihr beim „Wiener" viel experimentieren?

Wir haben alles ausprobiert. Wir konnten ja machen, was wir wollten. Wir hatten nur eher wenig Platz für Gestaltung, weil die Redakteure immer alles so vollgeschrieben haben. Die Texte waren heilig. Das war ganz anders als heute, wo dem Bild so viel Raum eingeräumt wird. 

Die Redakteurinnen mussten sich nicht an eine Textlänge halten?

Da gab es die skurrilsten Sachen: Helge Timmerberg, ein bekannter Autor aus Hamburg, der sich in Wien verliebt hat und hier immer noch lebt, hatte für uns eine Indienreportage produziert und eine Fotografin mitgenommen, die aber eigentlich seine Freundin war. Er kam mit einem unglaublich langen Text zurück und total unbrauchbaren Fotos – vor allem Kühe von hinten. Die Rückflugtickets hatte er in Indien verkauft, um vom Erlös dort leben zu können, die totale Hippie-Attitüde. Wir mussten ihnen also das zweite Mal den Rückflug zahlen, damit sie heimkamen. Also alles sehr teuer, der Text musste rein!

Wie hast Du das Problem gelöst?

Ich habe den Text auf acht Doppelseiten ganz klein gesetzt und in der Mitte jeweils ein Foto in Briefmarkengröße mit einer Kuh von hinten platziert. Der Helge ist mir um den Hals gefallen: „Lo, Du hast mir die Geschichte, mein Leben, Du hast mir alles gerettet!“

„Aber wurscht!“

War es leicht, grafisch aufzufallen?

Schau, das war damals relativ einfach. Es gab ja kaum gute Sachen in Wien. Kreative wie André Heller haben sich eigene Magazine gestaltet und gegönnt, nicht regelmäßig, aber wenn sie Lust drauf hatten, die waren optisch interessanter als das, was auf dem Markt war. Auch Walter Pichler, der ein großes Vorbild für mich war, hat für den Residenz Verlag Bücher gestaltet. Die waren gut. Was neu war? Wir Art-Direktoren haben die Fotografinnen und Fotografen damals gebrieft, das war bis dato nicht üblich gewesen, man nahm, was kam. Eine Ausnahme war Willy Fleckhaus mit seinem legendären Magazin „Twen“, der gab den Fotografen und Fotografinnen schon damals Vorgaben mit auf den Weg. Er ist ein großes Vorbild für mich.

1985 hat Dich Markus Peichl für das Zeitgeist-Magazin „Tempo“ nach Deutschland geholt. Er war als Chefredakteur beim „Wiener“ rausgeflogen. Ein neuer Meilenstein in Deinem Leben! Ein neuer Schritt im Magazinbereich: Dieser Look, die Kombination aus Grafik und Fotos, der Sprachstil der Texte, das war damals sehr beeindruckend.

Markus wurde beim „Wiener“ rausgeworfen, weil er ohne Absprache mit der Geschäftsführung ständig die Seitenzahl und den Umfang erhöht hatte. Mir konnte man als Art-Direktor natürlich auch eine Teilschuld geben. Als mich Markus gefragt hat, ob ich mit ihm nach Hamburg zu „Tempo" kommen möchte, habe ich sofort „Ja" gesagt, weil ich dort nicht nur endlich gutes Geld verdienen, sondern weiter mit ihm arbeiten konnte. Es war eine Art kongeniale Zusammenarbeiten mit Markus, die diese erfolgreiche Symbiose zwischen Text und Bild bei „Wiener“ und „Tempo“ hervorgebracht hat. Markus war ein Perfektionist. Er hatte überall seine Hände drin, in der Redaktion und auch in der Gestaltung, was ich schätzte, aber mich manchmal auch nervte. Aber wurscht, die Zusammenarbeit hat mir insgesamt gut gefallen. 

Was war das Erfolgsrezept des Magazins „Tempo“?

Vorbilder waren „The Face“, das französische „Actuel" oder das „i-D“. Es war diese Mischung auf Pop- und Hochkultur. Wir waren schon daran interessiert, zu den besten Magazinen der Welt gezählt zu werden. Es war auch ein Budget da. Markus hat versucht, Top-Redakteure zu bekommen und ich die besten Fotografen von Helmut Newton über Günter Parth und Elfie Semotan bis Wolfgang Tillmans, den ich sozusagen entdeckt habe. Autoren waren Leute wie Christian Kracht, Maxim Biller, Moritz von Uslar oder der Schweizer Tom Kummer, der ja viele Interviews – wie wir später erfuhren – erfunden hatte, immerhin genial erfunden. Die später erfolgreichen Art-Direktoren Alex Wiederin und Walter Schönauer haben bei mir angefangen, ich habe gute Leute immer gerne gefördert.

Die Redaktionen und die Magazinwelt war sehr männerdominiert damals?

Das tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Das geht einfach nicht. Es gab gute Autorinnen und Fotografinnen, aber es war für die schon hart. Das war die Zeit damals, aber ich finde das aus heutiger Sicht blöd. Das war ein Fehler. Es gibt eben nicht nur die guten Geschichten.

„Das war ein Fehler."

Wie war die Zusammenarbeit mit dem legendären Grafikdesigner Neville Brody?

Er war nicht ständig bei „Tempo“, aber wir haben oft gemeinsam für das Magazin gearbeitet. Aber er überstrahlt natürlich alles, deswegen denkt man, der war dort dauernd. 

Was hast Du von Brody gelernt?

Wahnsinnig viel, ganz viel. Wir hatten etwa ein Jahr vor der Wende, 1988 auf 1989, eine Doppel-Jubiläums-Ausgabe für das „Tempo“ produziert. Das Heft bestand aus zwei Teilen: Neville Brody hat den 90er-Jahre-Teil designt und ich habe den 80er-Jahre-Teil gestaltet, was ja scheiße langweilig war, weil das konnte ich ja schon. Brodys Layout war super straight, klar, toll, wirklich toll. Er hatte mit dem Heft eine extrem andere Ästhetik definiert. Sein Teil ist anfangs gar nicht so gut angekommen, aber er war seiner Zeit um Jahre voraus, sein Design war bahnbrechend. 

Was war Dein liebstes Projekt, das Du in Deinem Leben realisiert hast?

Das kann ich Dir sagen: die documenta X mit Catherine David als Kuratorin 1997. Wie soll ich sagen, ich war in sie verliebt. Sie war so klar im Denken und auch so liebevoll in allen Details. Das Rot, das sie für das Logo haben wollte, war das von ihrem Kleid. Es hat dafür sogar Stoffmuster gegeben. Sie war toll, ich war schwer in sie verliebt, nur habe ich es ihr nie gestanden. 

Warum war das „D“ im Logo mit einem „X“ durchgestrichen?

Catherine David hat die documenta erstmal in Frage gestellt und „X“ steht natürlich für das lateinische Zehn und „D“ auch für Deutschland. Das Logo war umstritten. 

Kannst Du rückblickend sagen, was Du an Deinem Beruf geliebt hast?

Die Herausforderungen! Diese Momente, wenn Du erkennst, was die Menschen sagen wollen, das aufzunehmen und dem Raum zu geben. Dieses Erleben von dem, was man im Inneren sieht und es zurückzuspielen. Ich hätte Angst gehabt, als Musiker auf der Bühne zu stehen, aber über die Bühne da drin (er zeigt auf seine Stirn, Anm. der Red.), die fand ich faszinierend.

... dass Du also dieser Magier sein konntest, der es in eine Form zaubert?

Wenn es Magie war, war es gut, wenn nicht, dann war es auch okay. 

Lodewijk (Lo) Breier wurde 1953 in Wien geboren, wo er Ende Juni 2025 verstarb. Er schloss die „Graphische“ in Wien mit der Meisterklasse ab, arbeitete anschließend für Designbüros und Werbeagenturen, unter anderem für die GGK in Österreich. Er war in deren Auftrag ab 1980 für die Art-Direktion des legendären Magazins Wiener zuständig und prägte mit Chefredakteur Markus Peichl kongenial den grafischen und inhaltlichen Auftritt des Heftes. Für Falco gestaltete Breier 1984 gemeinsam mit Michael Beran das Album „Junge Roemer“. Peichl holte Breier 1985 nach Hamburg, wo er das Zeitgeist-Magazin Tempo mit ihm gemeinsam gestaltete. Später gründete Breier die Designagentur Büros X u. a. mit Andreas Miedaner und Alex Wiederin. Er war unter anderem verantwortlich für das Corporate Design des deutschen TV-Senders ARD und arbeitete für Marken wie Porsche, Helmut Lang, Joop, Studio Babelsberg oder Prada. Ab 2007 wechselte er zu Axel Springer, übernahm die Art-Direktion der Bild am Sonntag und war auch Mitglied der Chefredaktion. 2020 ehrte ihn der ADC Deutschland mit dem Preis für sein Lebenswerk.

Der Fiaker

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Christoph Saal (Universaal)

Die Wiener Fiaker sind einerseits traditionell und romantisch, andererseits umstritten – Kulturerbe oder Abschaffung? Wir treffen Marco Pollandt vom Betrieb Fiaker Paul & Riding Dinner in den Pferdestallungen der Pferde und sprechen mit ihm bei einer Spritzfahrt durch den 1. Wiener Bezirk über die Kritik am Beruf, seine große Liebe zu Pferden und den Stallmeister von Queen Elizabeth II. 

Die Nailkünstlerin

Text: Elisa Promitzer

MANIKÜRTE HÄNDE galten einst als Symbol von Status und Müßiggang. Doch schwarze Frauen machten sie zum Zeichen von EMANZIPATION und WIDERSTAND gegen Sexismus und Rassismus. Wir trafen die Nageldesignerin CAMILLA INGE VOLBERT in ihrem Berliner Studio zum Gespräch und staunten über die verrücktesten Designs.

„Ich fange Zeit ein“

Text: Rahel Schneider, Fotos: Zeitfang

Nur wenige wissen, wer hinter dem Künstlernamen ZEITFANG steckt, doch hinter den Kulissen vernetzt der Fotograf die deutschsprachige zeitgenössische Musikszene wie kaum ein anderer. Vor seiner Linse stehen Stars wie die Band Tokio Hotel, die Sängerin Paula Hartmann oder der Komiker Otto Waalkes. Viele seiner Aufnahmen entstehen ganz nebenbei – bei einem gemeinsamen Kaffee oder im Trubel eines Musikfestivals.