Die Roboter-Revoluzzerin

Poetische Technologie

Hollywood liebt KILLERROBOTER, die sich an den Menschen rächen. Aber was, wenn sie die Guten sind? Die argentinische Künstlerin PAULA GAETANO ADI denkt diesen Plot weiter – und mixt Hightech mit INDIGENER MYTHOLOGIE. Wir sprachen mit ihr über ihren GUANAKO-ROBOTER, den sie auf eine abenteuerliche Reise über die Anden schickte und der nun auf der ARS ELECTRONICA in Linz zu sehen ist.

Text: Eva Holzinger

Die Roboter-Revoluzzerin

„Wiederverzauberung der Technologie“

Eva Holzinger: Ist die Technologie Freund oder Feind? Panik? Ja oder nein?

Paula Gaetano Adi: Für mich ist Technologie eine Art Vorwand, um über eine Vielzahl von Ideen nachzudenken, sogar um Theorien zu entwickeln. Technologie ist niemals ein Ding an sich – sie existiert immer in Beziehung zu etwas anderem. Wir erschaffen sie, und im Gegenzug schafft sie die Bedingungen, unter denen wir leben. Deshalb reicht es nicht aus, Robotik oder KI nur durch die Brille des Silicon Valley zu betrachten. Wir können und müssen uns auch Maschinen außerhalb der Logik des Kapitalismus und Patriarchats vorstellen und nach Modellen suchen, die über die von diesen Systemen auferlegten hinausgehen. Andernfalls – ja – könnte es tatsächlich Grund zur Panik geben. Maschinen müssen nicht nur der Kontrolle, Optimierung oder Ausbeutung dienen; sie können auch Geschichten erzählen, zur Heilung unseres Planeten beitragen und kulturelle Begegnungsstätten eröffnen.

Du arbeitest als Künstlerin an der Schnittstelle von Kunst und Technologie? War das schon immer Dein Plan?

Ganz und gar nicht. Weder Kunst noch Technik waren in meiner Kindheit auf meinem Radar. Ich bin in San Juan aufgewachsen, einer kleinen Provinz in Argentinien, ohne Zugang zu Museen, kulturellen Zentren oder Technologie. Damals gab es bei uns einen einzigen Fernsehsender – und der lief nur von zwölf Uhr mittags bis sieben Uhr abends. Dieser eine Kanal war mein Fenster zur Welt. Er hat mich so fasziniert, dass ich unbedingt Journalistin werden wollte und es auch mein erstes Studienfach wurde. An der Universität rückte Technologie plötzlich in den Mittelpunkt. Es war Anfang der 2000er Jahre, das Internet war auf dem Vormarsch und veränderte die Medienlandschaft. Ich lernte Programmieren, Schneiden und Videoproduktion und begann parallel dazu, mit Code und Videokunst zu experimentieren – stark inspiriert von der damals aufkommenden Welle des Cyberfeminismus.

„Natürlicher versus technischer Körper“

Die Frage nach künstlicher Intelligenz wirft immer auch die Frage nach der Moral auf.

Genau – und deshalb ist Robotik sowohl als Thema als auch als Diskurs so faszinierend. Menschen haben Roboter gebaut, um uns zu dienen, um nützlich zu sein, und in diesem Sinne sind sie zu Maschinen der Ausbeutung und Vernichtung geworden. Das ist nicht nur Stoff für Literatur oder Filme – es ist eine reale Situation. Um über Ethik in der KI zu sprechen, müssen wir Roboter wieder in diesen historischen Kontext stellen. Wenn wir Regeln schaffen, die Maschinen versklaven, riskieren wir, Systeme zu entwickeln, die uns im Gegenzug versklaven.

„Was ist ein freier Roboter?“

Du hast einen Roboter namens „Guanaquerx“ die Anden überqueren lassen. Warum?

Guanaquerx ist eine Antwort auf die Frage: Was ist ein freier Roboter? Die Idee war, die Emanzipationsgeschichte meines Landes mit einer technologischen Utopie zu verknüpfen. Die Reise von Guanaquerx ist eine bewusste Wiederaufnahme einer der eindrucksvollsten – und zugleich oft übersehenen – Befreiungsgeschichten Lateinamerikas: der Andenüberquerung im Jahr 1817 unter der Führung von General José de San Martín. Diese Expedition war ein kollektiver Akt des Widerstands und der Selbstbestimmung von 5.200 Menschen und von über 10.000 Tieren. Rund die Hälfte der Armee bestand aus afrikanischen Sklaven, denen ihre Freiheit im Gegenzug für ihre Teilnahme versprochen wurde. Der Rest setzte sich aus indigenen Völkern, Mestizen, ortskundigen Guides, Maultreibern und chilenischen Exilanten zusammen, die das raue Gelände und die gefährlichen Pässe der Anden kannten. 207 Jahre später folgten wir mit Guanaquerx derselben historischen Route über den Paso de los Patos, eine der höchsten und abgelegensten Passagen zwischen Argentinien und Chile, die heute fast ausschließlich von lokalen Ziegenhirten und Maultiertreibern genutzt wird.

Wie darf man sich Eure Überquerung vorstellen?

Es waren sieben Tage, 58 Maultiere und Pferde sowie 30 Menschen nötig, um Guanaquerx – eine 1,60 Meter große Maschine – über die Anden zu transportieren. Die unerlässlichen Baqueanos und Arrieros, Ingenieurinnen, Videografinnen, ein Koch, ein Arzt – die den Roboter trugen und Tag und Nacht versorgten. Unterwegs wurden Reparaturen, Kalibrierungen und Code‑Anpassungen mitten am Berg durchgeführt, oft unter harten Bedingungen. Das eigentliche Projekt-Team ist aber noch viel größer. Es bestand aus 100 weiteren Menschen, darunter die Ingenieurinnen und Robotikerinnen; die Einheimischen, die die Expedition geplant und die Packsättel gebaut hatten; Teenager, die für die Wetterstation zuständig waren; Textilweberinnen, Bambushandwerkerinnen, Historikerinnen, Näherinnen, Webprogrammiererinnen – und meine Familie in San Juan, die das Ganze am Laufen hielt. Es bedurfte sozusagen einer eigenen „Armee“. 

„Freiheit ist kollektiv.“

Warum wurde der Roboter getragen?

Guanaquerx steht nicht für Autonomie im Robotik-Sinn, sondern für gegenseitige Abhängigkeit im Sinne der Kosmotechnik. Diese bezeichnet die Vorstellung, dass Technik niemals neutral oder universell, sondern immer in einen bestimmten kulturellen, ethischen und kosmologischen Kontext eingebettet ist. Technik ist Ausdruck eines Weltverhältnisses. Der Roboter steht in diesem Fall für Fürsorge, für geteiltes Wissen, gemeinsame Erfahrungen. Und er zeigt uns, dass Freiheit nie individuell sein kann. Sie ist immer kollektiv. 

Ein Roboter auf einem Maultier hat etwas sehr Humoristisches ...

... ja, tatsächlich. Die Ingenieurinnen, die beim Bau des Roboters mitgeholfen haben, hielten das für einen Scherz, weil es nicht ihrer Vorstellung einer voll funktionsfähigen Maschine entsprach. Aber warum nicht? Ich sehe meine Rolle als Künstlerin oft genau in diesem Bereich – Fragen zu stellen und die Erwartungen ins Wanken zu bringen, ist eine der Hauptaufgaben der Kunst. Warum sollte ein Roboter nicht getragen werden, wenn er die Anden nicht aus eigener Kraft überqueren kann – genau wie wir? Für mich ist das nicht nur humorvoll, sondern absurd, und ich habe mich immer auf Absurdität als mächtiges Werkzeug verlassen: um Erwartungen zu durchbrechen, zum Nachdenken anzuregen und ein breiteres Publikum zu erreichen. Ein Projekt kann sehr ernst sein und gleichzeitig absurd, lustig und zum Nachdenken anregen.

„Warum nicht?“

Wie hast Du Dich auf das Projekt vorbereitet?

Ein Jahr vor Projektstart bin ich zurück in meine Heimat gezogen und habe nur eines gemacht: mit Menschen geredet. Ich wollte mich aus einer anderen Perspektive heraus mit meiner Heimat vernetzen. Mehr als drei Viertel unseres Teams kommt aus Argentinien. Von Beginn an war klar: Wir wollten den Roboter nicht von außerhalb herbringen, sondern eine Maschine bauen, die dort entstanden und damit verwurzelt ist. Gleichzeitig sollte es kein rein lokales Projekt bleiben. Mir war wichtig, dass Guanaquerx ein Hybrid wird – ein Wesen, das sich zwischen verschiedenen Welten bewegt, eine Art Mestize.

Mestize bezieht sich auf den von Dir geprägten Begriff „Mestizo-Robotik".

Mestizo Robotics war ein Projekt, das ich vor Guanaquerx entwickelt habe. Der Begriff leitet sich von „mestizaje“ ab – einem Konzept, das im spanischen Kolonialkastsystem entstand und Menschen mit gemischter indigener und europäischer Abstammung bezeichnete. Obwohl „mestizaje“ historisch mit rassistischen Hierarchien verbunden ist, wurde es in Lateinamerika als Zeichen kultureller Hybridität und Widerstandskraft neu interpretiert. Auf die Technologie angewendet, bezieht es sich auf hybride Praktiken, die aus kulturellen, historischen und materiellen Vermischungen entstehen. Mestizo Robotics hinterfragt die Vorstellung, dass Technologie nur „Hightech“ oder westliche Modernität bedeutet. Stattdessen verbindet es indigenes Wissen und Handwerk mit moderner Technik, Kosmologien und Mythologien und schlägt Roboter vor, die mehrere Welten in sich tragen – wie Guanaquerx.

„Ein poetischer Akt“

Der Name „Guanaquerx“ erinnert an das Tier Guanako, so eine Art Lama?

Guanakos sind eine wildlebende Art innerhalb der Familie der Kamele, die nur in den hohen Anden lebt. Unser Guanaquerx sieht ihnen ähnlich – das ist natürlich kein Zufall. In der lokalen Mythologie gibt es ein Guanako, das besonders verehrt wird – das Yastay –, das als Wächter der Anden gilt. In diesem Sinne beschreibe ich Guanaquerx oft als die technologische Reinkarnation des Yastay, nicht aller Guanakos im Allgemeinen. Die Idee entstand bei einer Test-Überquerung der Anden, die zehn Tage gedauert hatte. Ich glaube, es war wirklich wichtig, dass der Roboter dem Guanako nachempfunden ist. In Argentinien kennen alle dieses Tier. Das Aussehen des Roboters hat uns miteinander verbunden, eine Empathie zu ihm erzeugt und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sogar mit Stolz erfüllt, weil sie sich mit dem Roboter so identifizieren konnten.

„Wächter der Anden"

Am Ziel Eurer Pilgerreise, im chilenisch-argentinischen Grenzgebiet auf rund 4.500 Metern Höhe, wurden die „Pluriversalen Gesetze der Robotik“ enthüllt und verkündet. Was hat es damit auf sich?

Der russische Autor Isaac Asimov hat in den 1950er-Jahren drei berühmte Robotergesetze formuliert – alle drehten sich um den Schutz des Menschen. Aber warum nur den Menschen? In einer Welt voller Maschinen, Tiere und Ökosysteme brauchen wir eine Ethik des Zusammenlebens, die sich auf die gesamte Erde bezieht. Ich habe Asimovs Gesetze leicht verändert – und sie bedeuten plötzlich etwas ganz anderes. Erstes Gesetz: „Ein Roboter darf weder der Erde noch einem ihrer Wesen schaden – noch zulassen, dass ein Mensch ihnen schadet.“ Zweites Gesetz: „Ein Roboter darf keine Befehle befolgen, die dem ersten Gesetz widersprechen.“ Drittes Gesetz: „Ein Roboter muss seine Existenz schützen, solange dies nicht dem ersten oder zweiten Gesetz widerspricht.“

„Ethik des Zusammenlebens"

Glaubst Du, dass wir Menschen bereit sind, Technologie und Roboter als echte Kameradinnen und Begleiterinnen zu akzeptieren?

Ich glaube nicht. Unsere vorherrschenden Technologiemodelle sind nach wie vor äußerst problematisch, und heute leben wir inmitten von Krieg, Völkermord, Umweltungerechtigkeit und wachsenden Ungleichheiten – kaum eine Grundlage, auf der man sich Gerechtigkeit oder Gemeinschaft vorstellen kann. Guanaquerx sollte niemals Probleme im herkömmlichen Sinne „lösen”; es wurde geschaffen, um diesem System zu trotzen. Es weist stattdessen auf die Möglichkeit von Technologien hin, die auf Fürsorge, gegenseitiger Abhängigkeit und kollektiver Freiheit basieren – Werte, die noch weit von der Art und Weise entfernt sind, wie wir unsere Maschinen normalerweise entwerfen oder uns vorstellen.

„Keine Kolonialmaschine, sondern ein Gemeinschaftswesen"

Wie genau widersetzt er sich?

Nicht, indem er nützlich ist, sondern indem er eine neue technische Vorstellungskraft eröffnet. Indem er getragen werden muss. Indem er keine Kolonialmaschine ist, sondern ein Gemeinschaftswesen. Stellt man sich einen Roboter in den Anden vor, denkt man vermutlich erst an eine Maschine, die aus Kanada oder China kommt, um vor Ort Gold oder andere Metalle zu schürfen. Das ist es, wofür Roboter entwickelt wurden: um Ausbeutung und Kapitalismus zu dienen. Dieser Denkweise entzieht sich Guanaquerx. Er ist ein politischer Körper, der Geschichten trägt und erzählt. Er ist ein poetischer Akt. 

Vielen Dank für das Gespräch!