Sind Social Media tot?

FAKE NEWS, Propaganda und massenhaft sinnentleerter MÜLL – wir haben die Schnauze voll von SOCIAL MEDIA! Aber geht’s ohne? REGULIEREN, BOYKOTTIEREN, ABSCHAFFEN? Wir haben Buchautorin NUNU KALLER, die Internetpioniere von STATION ROSE, die österreichische Wikimedia-Chefin CLAUDIA GARÁD, Kabarettist CHRISTOPH FRITZ und Schauspielerin ELENA WOLFF gefragt.

Text: Antje Salvi, Rahel Schneider, Assistenz: Lena Kreuzeder

„Wie bitte regulieren?“

Sind Social Media tot? Kurze Antwort: Leider nein. Oder besser: Einige sind leider nicht tot, sondern lebendiger denn je. 

 

Die ursprüngliche Idee von Social Media finde ich ja fantastisch – Vernetzung, die Welt kleiner machen, sich gegenseitig neu finden und Sichtbarkeit für sonst weniger Sichtbare. Allerdings sehen das nicht alle so demokratisch, vor allem die Milliardäre, die hinter Social Media stehen und ihr Geld damit machen – da liegt der Hund begraben. 

 

Der weltweite Rechtsruck und die zunehmende, immer schnellere Radikalisierung Einzelner ist sicherlich auch kausal mit Social Media und ihren Mechanismen verbunden. Das macht mir offengestanden ziemlich große Angst, denn: Wie soll man das denn bitte regulieren? Wir haben den Point of no Return erreicht – ein Leben ohne Social Media ist für die meisten nicht mehr denkbar, weil sie eine unverzichtbare Form der Kommunikation, aber auch des Marketings geworden sind. 

 

Plus: Social Media haben uns verblödet und g'scheiter gemacht gleichzeitig. Man lernt vieles, was man so nicht so schnell erfahren hätte, aber eben: schnell. Unsere Konzentrationsfähigkeit liegt inzwischen unter der von Goldfischen. Ergo: Tot sind sie nicht, die Social Media. Leider. Reguliert gehören sie aber ganz gewaltig. 

„Massagepflicht für alle“

Wenn ein Flaschengeist um die Ecke käme und mir zwei Wünsche erfüllen würde, wäre mein erster das plötzliche Verschwinden von Social Media und der zweite eine allgemeine Massagepflicht (jeder Mensch muss pro Woche mindestens einen anderen Menschen massieren und mindestens einmal massiert werden; dabei kann man direkt miteinander reden und sich gegenseitig Katzenvideos zeigen). Ich glaube, damit wäre schon viel gewonnen und gelöst.

 

Ich verstehe nicht, warum Staaten, in denen Rechtspopulisten (noch) nicht an der Macht sind, Social Media-Konzerne nicht stärker regulieren. Rechtspopulisten sind die einzigen politischen Akteure, die von Algorithmen profitieren, die Streit und Hass belohnen und Sachlichkeit bestrafen. Die Radikalisierung von Musk und Zuckerberg und das explizite Erlauben von Hass und Abschaffen von Faktenchecks zeigen doch deutlich, dass dem mehr entgegengesetzt werden muss. 

 

Und dann ist da noch die Sache mit der Psyche. Eine Stunde auf Social Media ist oft mehr als bloß eine vergeudete: der Vergleich mit perfekten digitalen Ichs, süchtig machende Algorithmen, Doomscrolling …

 

Dabei sind die Plattformen ein toller Weg sich zu vernetzen, Gleichgesinnte kennenzulernen und mit befreundeten Menschen in Kontakt zu bleiben. Kunstschaffende können abseits klassischer Medien niederschwellig Publikum erreichen. Auch ich habe durch Social Media viel neues Publikum gewinnen können. Ich weiß nicht, ob ein Boykott eine Lösung ist – oder ob dadurch Social Media noch mehr kippen.

 

Da ein Flaschengeist selten um die Ecke kommt, wünsche ich mir stärkere Reglementierung, mehr Medienbildung an den Schulen, das Comeback des Newsletters, und dass man öfter einmal zugibt, etwas nicht zu wissen. 

„Ein White-Male-Drama“

Social Media tot? Steht nicht zur Debatte – leider.

 

Die sozialen Medien existieren nun mal, wir haben sie ab Mitte der Neunziger maßgeblich mitgeformt. Sie wurden, wie vieles im Kapitalismus, (uns) gestohlen und in der Folge verflacht. Dass diese Social Media nun nur drei Typen gehören – Zuckerberg, Musk und Bezos, zusammen mit Trump, ist ein White-Male-Drama. Die Politik ist ohnmächtig, mir als Frau hat sowieso niemand zugehört. Hier ist nun der Salat. Die hochgelobte NFT-Blockchain hat auch nur bedingt gegriffen.

 

„Es gibt keinen Plan B“ – das STATION ROSE-Motto 2025. Daher heißt es: weiterkämpfen!

 

Digital Art Rules.

 

Die digitale Welt ist nicht aufzuhalten, AI ist dabei nicht der Main Player, sondern nur ein Partikelchen. Wir gestalten nächste virtuelle Lebensformen. Natur und Menschlichkeit müssen auch Platz bekommen, in einer audio-visuellen Immersivität, die wir Künstler und Künstlerinnen schaffen.

„Eher das Ende einer frühen Phase“

Social Media sind nicht tot. Es ist auch nicht das Ende einer natürlichen Ära, sondern wahrscheinlich eher das Ende einer frühen Phase, in der die meisten überhaupt erstmals das Internet, mittels Social Media, erfahren haben. 

 

Meine erste Erfahrung mit Social Media war schon Mitte der Neunziger durch die Mitwirkung an Howard Rheingolds „Electric Minds“, wo man (acht Jahre vor Facebook) verbal sowie mit Bild und Ton global kommunizieren konnte. Dass Social Media jetzt so sind wie sie sind, nachdem der Mainstream einmarschiert war, war daher für mich schon 1997 voraussehbar. Das passiert mit allen Bewegungen.

 

Es ist für uns beruflich notwendig, auch heute in den Social Media präsent zu sein, aber das eben nur mit Zeitplan.

„Verbot für unter 16 für gewisse Plattformen“

Ich habe – wie die meisten – ein ambivalentes Verhältnis zu Social Media. Einerseits haben Plattformen wie Instagram und TikTok Schönheitsbilder und Narrative diversifiziert und können gerade für queere Menschen extrem sinn- und wertvoll sein, wenn es darum geht, die eigene Identität zu begreifen, sich repräsentiert zu sehen, Communities zu finden und positive Lebensmodelle kennenzulernen.

 

Andererseits beängstigt es mich, wie leicht wir durch Algorithmen und das Verbreiten von Falschmeldungen zu manipulieren sind. Ich habe so gut wie nie Andersdenkende in meinem Feed. Alles, was ich sehe, fühlt sich wahr an. Außerdem stiften Social Media dazu an, sich permanent zu vergleichen – eine Praxis, die auch in den Alltag übergeht und uns zunehmend krank und unglücklich macht. 

 

Soziale Medien komplett abzuschaffen halte ich aber für den falschen Weg. Sie sind zu sehr Teil unserer Gesellschaft und des Zeitgeists geworden, als dass wir sie einfach wegdenken können. Außerdem löst jegliche Form von Zensur einen Dominoeffekt aus. Wir müssen uns weiter vernetzen und mobilisieren können. Ein Lösungsansatz wäre, von Anfang an – schon in der Schule – einen sensibleren und vorsichtigeren Umgang mit Social Media zu lehren. Ich befürworte auch ein Verbot für gewisse Plattformen für Menschen unter 16 Jahren. Die Inhalte, die wir posten, bleiben für immer im Netz. Wir können unser Handeln und unsere Wirkung als Kinder und Teenager oft noch nicht adäquat einschätzen und fallen leicht Menschen zum Opfer, die das ausbeuten. Das kann sich auf das restliche Leben extrem negativ auswirken. Und: Fotos und Videos von Babies oder Kleinkindern (insbesondere, wenn deren Gesichter zu erkennen sind) online zu stellen, sollte illegal sein oder zumindest stark reguliert werden. Diese Menschen können dem nicht zustimmen und sich nicht schützen. Eltern setzen ihre Kinder großen Gefahren aus. Es ist absurd, dass eine erwachsene Frau ihre Nippel nicht zeigen darf, während Nacktfotos von Kleinkindern kein Problem sind.


Ich denke, zusätzlich sind wir alle selbst in der Verantwortung, psychische Hygiene zu betreiben. Zu überprüfen, welche Inhalte einem gut tun und ob man sich überhaupt dem ständigen Informationsüberschuss aussetzen möchte. Und aktiv Nachforschungen betreiben, um abzuklären, ob das, was der Algorithmus einem vorgibt, wirklich die ganze Wahrheit ist. Es gibt einen Grund, warum die Execs und Thought-Leader vieler Internet-Konzerne selbst einen Bogen um ihre eigenen Produkte machen und lieber lesen oder meditieren.

„Es gibt gute Nachrichten.“

Die Ära der großen, zentralisierten Social Media-Plattformen geht zu Ende. Die Probleme mit Social Media, hinter denen Milliardäre, große Konzerne oder autoritäre Staaten stecken, sind nicht erst durch die problematischen Verstrickungen mit der aktuellen Trump-Regierung offensichtlich. 

 

Die gute Nachricht: Wie die Zukunft aussieht, haben wir alle selbst in der Hand. Mit Mastodon und in gewisser Hinsicht BlueSky gibt es bereits Dienste, die einen neuen, demokratischeren Zugang versprechen, und diese werden immer populärer. Statt Überwachungskapitalismus stehen hier Dezentralisierung, Transparenz, Datenschutz und offene Protokolle im Mittelpunkt. Die Wikipedia hat gezeigt, wie resilient und unabhängig Online-Plattformen sein können, die sich diesen Werten verschreiben und gibt somit Grund zur Zuversicht. 

 

Meine Utopie: Eine Welt, in der alle öffentlich finanzierten Organisationen – von der Bücherei bis zum Bundesministerium – den Menschen eine Kommunikationsplattform bieten, für die sie nicht mit ihrer Privatsphäre und ihren persönlichen Daten bezahlen. Öffentliche Gelder müssen in eine digitale öffentlich-rechtliche Infrastruktur investiert werden, um diesen Wandel zu fördern und zu fordern!