Sind Social Media tot?
Text: Antje Salvi, Rahel Schneider, Assistenz: Lena Kreuzeder
Text: Antje Salvi, Rahel Schneider, Assistenz: Lena Kreuzeder
Sind Social Media tot? Kurze Antwort: Leider nein. Oder besser: Einige sind leider nicht tot, sondern lebendiger denn je.
Die ursprüngliche Idee von Social Media finde ich ja fantastisch – Vernetzung, die Welt kleiner machen, sich gegenseitig neu finden und Sichtbarkeit für sonst weniger Sichtbare. Allerdings sehen das nicht alle so demokratisch, vor allem die Milliardäre, die hinter Social Media stehen und ihr Geld damit machen – da liegt der Hund begraben.
Der weltweite Rechtsruck und die zunehmende, immer schnellere Radikalisierung Einzelner ist sicherlich auch kausal mit Social Media und ihren Mechanismen verbunden. Das macht mir offengestanden ziemlich große Angst, denn: Wie soll man das denn bitte regulieren? Wir haben den Point of no Return erreicht – ein Leben ohne Social Media ist für die meisten nicht mehr denkbar, weil sie eine unverzichtbare Form der Kommunikation, aber auch des Marketings geworden sind.
Plus: Social Media haben uns verblödet und g'scheiter gemacht gleichzeitig. Man lernt vieles, was man so nicht so schnell erfahren hätte, aber eben: schnell. Unsere Konzentrationsfähigkeit liegt inzwischen unter der von Goldfischen. Ergo: Tot sind sie nicht, die Social Media. Leider. Reguliert gehören sie aber ganz gewaltig.
Nunu Kaller ist Journalistin, Autorin und Nachhaltigkeitsexpertin. 2013 erschien ihr erstes Buch beim deutschen Verlag Kiepenheuer & Witsch mit dem Titel „Ich kauf nix.“ 2018 folgte „Fuck Beauty!“ über den Schönheitswahn bei Frauen. Im März 2021 erschien „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum.“ Die studierte Publizistin und zertifizierte CSR-Managerin war Pressesprecherin bei NGOs wie Vier Pfoten und Global 2000. Von 2014 bis 2019 arbeitete Kaller für Greenpeace Österreich als KonsumentInnensprecherin.
Foto: © Golden Hour Pictures
Wenn ein Flaschengeist um die Ecke käme und mir zwei Wünsche erfüllen würde, wäre mein erster das plötzliche Verschwinden von Social Media und der zweite eine allgemeine Massagepflicht (jeder Mensch muss pro Woche mindestens einen anderen Menschen massieren und mindestens einmal massiert werden; dabei kann man direkt miteinander reden und sich gegenseitig Katzenvideos zeigen). Ich glaube, damit wäre schon viel gewonnen und gelöst.
Ich verstehe nicht, warum Staaten, in denen Rechtspopulisten (noch) nicht an der Macht sind, Social Media-Konzerne nicht stärker regulieren. Rechtspopulisten sind die einzigen politischen Akteure, die von Algorithmen profitieren, die Streit und Hass belohnen und Sachlichkeit bestrafen. Die Radikalisierung von Musk und Zuckerberg und das explizite Erlauben von Hass und Abschaffen von Faktenchecks zeigen doch deutlich, dass dem mehr entgegengesetzt werden muss.
Und dann ist da noch die Sache mit der Psyche. Eine Stunde auf Social Media ist oft mehr als bloß eine vergeudete: der Vergleich mit perfekten digitalen Ichs, süchtig machende Algorithmen, Doomscrolling …
Dabei sind die Plattformen ein toller Weg sich zu vernetzen, Gleichgesinnte kennenzulernen und mit befreundeten Menschen in Kontakt zu bleiben. Kunstschaffende können abseits klassischer Medien niederschwellig Publikum erreichen. Auch ich habe durch Social Media viel neues Publikum gewinnen können. Ich weiß nicht, ob ein Boykott eine Lösung ist – oder ob dadurch Social Media noch mehr kippen.
Da ein Flaschengeist selten um die Ecke kommt, wünsche ich mir stärkere Reglementierung, mehr Medienbildung an den Schulen, das Comeback des Newsletters, und dass man öfter einmal zugibt, etwas nicht zu wissen.
Christoph Fritz begann 2016 mit Kabarettauftritten in Wien, 2018 feierte sein Debütprogramm „Das Jüngste Gesicht“ Premiere, das im selben Jahr mit dem Förderpreis des Österreichischen Kabarettpreises und 2020 mit dem Förderpreis des Deutschen Kleinkunstpreises ausgezeichnet wurde. Er trat in mehreren TV-Shows in Österreich und Deutschland auf und wirkte 2022 in der Kinokomödie „Der Onkel – The Hawk“ mit. 2022 brachte er sein zweites Kabarettprogramm „Zärtlichkeit“ auf die Bühne und arbeitete an einem Gruselkabarett mit dem Titel „GHÖST“, das 2024 den Programmpreis des Österreichischen Kabarettpreises erhielt.
Foto: © Roland Ferrigato
Elisa Rose
Social Media tot? Steht nicht zur Debatte – leider.
Die sozialen Medien existieren nun mal, wir haben sie ab Mitte der Neunziger maßgeblich mitgeformt. Sie wurden, wie vieles im Kapitalismus, (uns) gestohlen und in der Folge verflacht. Dass diese Social Media nun nur drei Typen gehören – Zuckerberg, Musk und Bezos, zusammen mit Trump, ist ein White-Male-Drama. Die Politik ist ohnmächtig, mir als Frau hat sowieso niemand zugehört. Hier ist nun der Salat. Die hochgelobte NFT-Blockchain hat auch nur bedingt gegriffen.
„Es gibt keinen Plan B“ – das STATION ROSE-Motto 2025. Daher heißt es: weiterkämpfen!
Digital Art Rules.
Die digitale Welt ist nicht aufzuhalten, AI ist dabei nicht der Main Player, sondern nur ein Partikelchen. Wir gestalten nächste virtuelle Lebensformen. Natur und Menschlichkeit müssen auch Platz bekommen, in einer audio-visuellen Immersivität, die wir Künstler und Künstlerinnen schaffen.
Gary Danner
Social Media sind nicht tot. Es ist auch nicht das Ende einer natürlichen Ära, sondern wahrscheinlich eher das Ende einer frühen Phase, in der die meisten überhaupt erstmals das Internet, mittels Social Media, erfahren haben.
Meine erste Erfahrung mit Social Media war schon Mitte der Neunziger durch die Mitwirkung an Howard Rheingolds „Electric Minds“, wo man (acht Jahre vor Facebook) verbal sowie mit Bild und Ton global kommunizieren konnte. Dass Social Media jetzt so sind wie sie sind, nachdem der Mainstream einmarschiert war, war daher für mich schon 1997 voraussehbar. Das passiert mit allen Bewegungen.
Es ist für uns beruflich notwendig, auch heute in den Social Media präsent zu sein, aber das eben nur mit Zeitplan.
STATION ROSE (STR) ist ein audiovisuelles Künstlerduo und zählt zu den Pionieren der digitalen Kunst. 1988 gründeten die Medienkünstlerin Elisa Rose und der Musiker und Medienkünstler Gary Danner STR als öffentliches Multimedialabor in Wien. Ihr Werk umfasst digitale Kunst, Performance, Videokunst, Netzkunst und elektronische Musik.
Am 21. März wird das Duo im Rahmen der SPARK Art Fair Vienna die Entwicklung seiner digitalen Kunst und Musik der letzten 37 Jahre präsentieren – begleitet von performativen audiovisuellen Live-Momenten. Der Performance-Vortrag beginnt um 17:30 Uhr in der MARX HALLE Wien.
Foto: © Stefan Joham
Ich habe – wie die meisten – ein ambivalentes Verhältnis zu Social Media. Einerseits haben Plattformen wie Instagram und TikTok Schönheitsbilder und Narrative diversifiziert und können gerade für queere Menschen extrem sinn- und wertvoll sein, wenn es darum geht, die eigene Identität zu begreifen, sich repräsentiert zu sehen, Communities zu finden und positive Lebensmodelle kennenzulernen.
Andererseits beängstigt es mich, wie leicht wir durch Algorithmen und das Verbreiten von Falschmeldungen zu manipulieren sind. Ich habe so gut wie nie Andersdenkende in meinem Feed. Alles, was ich sehe, fühlt sich wahr an. Außerdem stiften Social Media dazu an, sich permanent zu vergleichen – eine Praxis, die auch in den Alltag übergeht und uns zunehmend krank und unglücklich macht.
Soziale Medien komplett abzuschaffen halte ich aber für den falschen Weg. Sie sind zu sehr Teil unserer Gesellschaft und des Zeitgeists geworden, als dass wir sie einfach wegdenken können. Außerdem löst jegliche Form von Zensur einen Dominoeffekt aus. Wir müssen uns weiter vernetzen und mobilisieren können. Ein Lösungsansatz wäre, von Anfang an – schon in der Schule – einen sensibleren und vorsichtigeren Umgang mit Social Media zu lehren. Ich befürworte auch ein Verbot für gewisse Plattformen für Menschen unter 16 Jahren. Die Inhalte, die wir posten, bleiben für immer im Netz. Wir können unser Handeln und unsere Wirkung als Kinder und Teenager oft noch nicht adäquat einschätzen und fallen leicht Menschen zum Opfer, die das ausbeuten. Das kann sich auf das restliche Leben extrem negativ auswirken. Und: Fotos und Videos von Babies oder Kleinkindern (insbesondere, wenn deren Gesichter zu erkennen sind) online zu stellen, sollte illegal sein oder zumindest stark reguliert werden. Diese Menschen können dem nicht zustimmen und sich nicht schützen. Eltern setzen ihre Kinder großen Gefahren aus. Es ist absurd, dass eine erwachsene Frau ihre Nippel nicht zeigen darf, während Nacktfotos von Kleinkindern kein Problem sind.
Ich denke, zusätzlich sind wir alle selbst in der Verantwortung, psychische Hygiene zu betreiben. Zu überprüfen, welche Inhalte einem gut tun und ob man sich überhaupt dem ständigen Informationsüberschuss aussetzen möchte. Und aktiv Nachforschungen betreiben, um abzuklären, ob das, was der Algorithmus einem vorgibt, wirklich die ganze Wahrheit ist. Es gibt einen Grund, warum die Execs und Thought-Leader vieler Internet-Konzerne selbst einen Bogen um ihre eigenen Produkte machen und lieber lesen oder meditieren.
Elena Wolff (she/they) ist Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Kabarettistin. Die in Berlin geborene und in Österreich aufgewachsene Künstlerin studierte Schauspiel in Linz und seit 2022 Regie an der Filmakademie Wien. Ihr Debütfilm „PARA:DIES“ feierte 2022 Premiere beim Max Ophüls Preis. Ihr queerfeministischer Spielfilm „ASCHE“ wurde 2024 zum Filmfestival Diagonale eingeladen und für die ‚Beste Bildgestaltung Spielfilm‘ ausgezeichnet (DOP: Nora Einwaller).
Foto: © Leah Hochedlinger
Die Ära der großen, zentralisierten Social Media-Plattformen geht zu Ende. Die Probleme mit Social Media, hinter denen Milliardäre, große Konzerne oder autoritäre Staaten stecken, sind nicht erst durch die problematischen Verstrickungen mit der aktuellen Trump-Regierung offensichtlich.
Die gute Nachricht: Wie die Zukunft aussieht, haben wir alle selbst in der Hand. Mit Mastodon und in gewisser Hinsicht BlueSky gibt es bereits Dienste, die einen neuen, demokratischeren Zugang versprechen, und diese werden immer populärer. Statt Überwachungskapitalismus stehen hier Dezentralisierung, Transparenz, Datenschutz und offene Protokolle im Mittelpunkt. Die Wikipedia hat gezeigt, wie resilient und unabhängig Online-Plattformen sein können, die sich diesen Werten verschreiben und gibt somit Grund zur Zuversicht.
Meine Utopie: Eine Welt, in der alle öffentlich finanzierten Organisationen – von der Bücherei bis zum Bundesministerium – den Menschen eine Kommunikationsplattform bieten, für die sie nicht mit ihrer Privatsphäre und ihren persönlichen Daten bezahlen. Öffentliche Gelder müssen in eine digitale öffentlich-rechtliche Infrastruktur investiert werden, um diesen Wandel zu fördern und zu fordern!
Claudia Garád ist Geschäftsführerin von Wikimedia Österreich und Präsidentin von Wikimedia Europe. Der Verein unterstützt die Ehrenamtlichen der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekte und setzt sich für Chancengleichheit beim Zugang zu Wissen und mehr Gemeinwohl beim Umgang mit Daten ein.
Foto: © Sebastiaan ter Burg from Utrecht, The Netherlands, Faces of the Commons 2019 (47787788192), Ausgeschnitten, CC BY 2.0