Der Fotograf des Monats: Simon Lehner

Ein Bild für die Begräbniskarte

Der österreichische Jung-Fotograf Simon Lehner ist uns seit Langem verbunden. In der ersten Ausgabe des C/O VIENNA Printmagazins – THE PRIVATE ISSUE publizierten wir seine berührende und intime, aber auch unglaublich humorvolle Dokumentation KOAL. Sie zeigt das Leben seines Großvaters Karl im ländlichen Oberösterreich. Wir baten Simon, für diesen Beitrag ein paar Zeilen über ihn zu schreiben. Prädikat: „lesenswert“!

Die Räder meines Tret-Gokarts klappern laut über den losen Kanaldeckel im Garten meiner Großeltern, den ich als Randstein benutze. Ich biege in die mit Kreide aufgemalte Boxengasse. Dort wartet mein Opa bereits auf den imaginären Reifenwechsel. „Und weida geht’s!“, ruft er mir nach, als ich wieder wegfahre.

„Und weida geht’s!“

Zwölf Jahre später biege ich in dieselbe „Boxengasse“ mit einer neuen Reifenmischung. Diesmal klappern aber nicht die Räder, sondern der Motor meines ersten richtigen Autos. Während wir im Garten auf dem rauen Asphalt hocken und die Reifen meines Auto wechseln, fragt er mich mit einem leichten Schmunzeln in der Stimme: „Weißt du, was ich nicht versteh’? Dir wird wirklich nicht langweilig dabei, wenn du Fotos von mir machst, oder? Ich mach’ ja immer und immer wieder des Gleiche, oder ned?“ 

„Na, na, überhaupt ned. I weiß zwar noch ned, wie des Projekt aufhör’n könnt, aber i hab ja eh nu viel Zeit.“ 

„Zu viel Zeit würd i ma nimmer lassen mit dem Ende von deinem Projekt“, sagt er lachend und fragt mich weiter aus. „Was passiert mit all den Bildern, die du von mir machst, wenn i ned mehr da bin?“ 

„Vielleicht werd i ein Buch machen, über unsere Beziehung und die Veränderungen, die die Zeit für die Familie bringt.“ 

Seit fünf Jahren versuche ich, durch meine Bilder ein gutes Ende zu schaffen, mich an jedem Zeitfetzen festzuhalten, um mich selbst auf das, was kommen wird, vorzubereiten. Er hat sich schon auf alles vorbereitet. Er besuchte den Ort, an dem er eingeäschert werden wird. Sein Testament ist verfasst, das Haus unter den Töchtern aufgeteilt. Das Einzige, was fehlt, ist ein aktuelles Bild für seine Begräbniskarte.

„Hey, wenn du das nächste Mal kommst, müssen wir ein neues Bild für meine Beerdigung machen. Ich ziehe mir wieder den Anzug an, und dann machen wir noch eines, in Ordnung? Eines, das mich in meinem jetzigen Zustand zeigt. Weißt du, die Leute sollen mich ja erkennen, so wie ich jetzt bin, wenn sie auf die Karte schauen.“
Der mittlerweile in Wien lebende Künstler Simon Lehner studierte zuerst an der Kunstuniversität Linz und seit 2015 Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien an der Universität für angewandte Kunst Wien. Mit der oberösterreichischen Heimat beschäftigt er sich in seinem Fotobuch „Jaga“, das 2017 im Verlag Fotohof edition erschien. 2018 gewann er mit seiner Serie "How far is a lightyear?" den "Paris-Photo Carte Blanche Award" und wurde in Medien, wie The British Journal of Photography, die Zeit oder L'umoi Vogue publiziert.
 
Fotograf und Archivar zugleich: Für sein seit 2013 laufendes Projekt „Koal“ integriert Simon Lehner auch alte Fotografien, VHS- und Super-8-Aufnahmen aus den jungen Jahren des Großvaters. Für den Künstler stellt das Projekt eine Konversation mit der Zeit, dem Altern, der Verlustangst sowie ein neues Kapitel im Familienarchiv dar. 

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