Der Fotograf Guenter Parth

Von Wien nach Monte Carlo und zurück

Der österreichische Fotograf Guenter Parth ist mit den legendären Printmagazinen der achtziger und neunziger Jahre groß geworden: „Tempo“, „Männer Vogue“, „Wiener“, „i-D Magazine“, „Elle Italia“. Er hatte Celebrities wie José Carreras, Billy Wilder oder Quentin Tarantino vor der Linse. Der gebürtige Vorarlberger war jung, gefragt, die Szene feierte wild, arbeitete kreativ, Geld spielte keine Rolle. Dann kam das Internet, die digitale Fotografie, und irgendwann verloren auch die Magazine ihren Glamour. Parth fotografierte einfach digital weiter. In seinem Wiener Atelier hütet er seine schönsten Vintage-Prints. Vermisst er die Dunkelkammer? „Nein, mein Glück ist, dass ich immer ein gutes Foto machen kann.“

„Wir waren einfach größenwahnsinnig.“

Als Du als junger Mann in den Achtzigern von Vorarlberg nach Wien für die Meisterklasse für Fotografie an der Grafischen übersiedelt bist, traf Dich da der Kulturschock?

Guenter Parth: Absolut. Wien war Ostblock damals, drum herum alles zu, die Stadt braun und grau. Aber da waren ein paar Dutzend Leute, die sich in den Beisln „Blue Box“, „Ring“, „Europa“ herumtrieben, die waren cool und arbeiteten schon international. Sie machten einen richtig guten Job – und die interessierten mich. Da waren die Fotografen Elfie Semotan und Gerhard Heller, der Vorarlberger Alex Wiederin, später Kreativdirektor von „AnOther Magazine“, „Vogue Hommes International“ und so weiter. Und dann waren da natürlich noch Gert Winkler, Gründer vom „Wiener“, die Stylistin Sabina Schreder, der Art-Direktor Walter Schönauer, die Musiker Martin Forster und Kruder & Dorfmeister, der Kreativdirektor Marco de Felice, der Verleger Alex Geringer oder der in Wien geborene Lo Breier, unter anderem Mitgründer des damaligen Kultmagazins „Tempo“, um nur einige von ihnen zu nennen.

Oh ja, das Magazin „Tempo“ – das Nonplusultra damals. Wir schnitten die Seiten aus und rahmten sie, weil sie so schön aussahen, das waren Kunstwerke. Der „Wiener“ war für uns damals noch herrlich provokant ...

Ja, das war eine neue Welt für uns – und es war auf internationalem Topniveau! Dann gab es da noch Christian Satek, Kreativdirektor, der die legendären Kampagnen für Palmers und Römerquelle gestaltete, und natürlich Margit J. Mayer, Fashion Editor beim „Wiener“, spätere Chefredakteurin von „Architectural Digest“, der deutschen „Vogue“ und „Harper’s Bazaar“. Sie mochte meine Arbeit, und wir beide beschlossen: „Komm, lass uns was anreißen!“ Wir waren einfach größenwahnsinnig und haben dann eine Story über niemand Geringeres als Gert Voss gemacht, den „Riesenmann“ am Burgtheater, schon damals eine Legende. Es wurde ein richtig schönes Porträt mit einem super Text und super Fotos, die ich mit der Großformat-Kamera aufgenommen hatte.

Man hat Magazingeschichten vorproduziert und dann erst alle Verlage abgeklappert?

Abklappern, genau, das ging nur persönlich, wie sonst? Es gab ja kein Internet, keine E-Mails, kein Social Media. Beda Achermann, Schweizer Art-Direktor der „Männer Vogue“, gefiel unser Voss-Artikel – und wenig später saß ich schon im Flugzeug nach München.

Da warst Du gerade einmal 24 Jahre alt!

Ganz genau. Von da an bin ich gefühlte zwei, drei Jahre regelmäßig dorthin geflogen. Ich habe mir damals schon oft gedacht: Welches Glück habe ich doch! Ich wohnte gewöhnlich bei Art-Direktor Beda. Am Abend kochten wir, danach soffen wir gemeinsam – und am nächsten Tag machten wir unser Ding. Die „Männer Vogue“ war damals top: Sie arbeiteten mit Fotografen wie Herb Ritts, Peter Lindbergh, Helmut Newton, Mario Testino oder Bruce Weber zusammen. Es war für mich eine Befreiung vom grauen Österreich, und ich erfuhr gleichzeitig internationale Wertschätzung. Wien wurde „zum Teil der Welt“ – und die kam endlich nach Österreich! Man stelle sich vor: Es gab sogar eine Doppelnummer zwischen dem britischen Magazin „The Face“ und dem Wiener „Kult!“.

„Ich bin eigentlich zur Strafe Fotograf geworden.“

Den Starfotografen Helmut Newton hast Du kennengelernt?

Ich habe ihn sogar fotografiert. Da waren wir in Monte Carlo für eine Kampagne von Olympus. Newton rauschte ins Hotelzimmer: „Wer von Euch ist für die Werbekampagne zuständig?“ Die jeweiligen Kreativen zeigten auf. Er daraufhin: „Brauchen wir nicht. Wo ist der Fotograf?“ Das war ich. „Guenter, jetzt fahren wir eine Location suchen!“ Da bin ich mit ihm also durch Monte Carlo gedüst. Ich meinte, dass die Hafenmauer ganz gut aussieht, er wollte das erst aber nicht hören: „Ich kenne da eine noch bessere Location, eine Tiefgarage, oder warte – da oben gibt es einen wunderbaren Platz – nein, warte, den zeige ich dir nicht – da fotografiere ich selbst!“ So waren also der große Meister und der kleine Guenter auf Tour. Schlussendlich schossen wir die Fotos an der Hafenmauer (lacht). Ich fotografierte ihn bei der Arbeit.

Der „kleine Guenter“ hatte aber vorher schon einen Meister. Du hast das Fotografiehandwerk von der Pieke auf in Vorarlberg gelernt?

Ich bin mit 16 Jahren Fotograf und Fotokaufmann geworden. Ich wollte nicht mehr zur Schule gehen. Mein Vater suchte den Job für mich aus. Als Fotograf hatte man immerhin soziales Prestige, wenn, ... ja, wenn man es konnte (lacht). Ich fing bei „Foto Winsauer“ in Dornbirn an. Winsauer war damals ein großes Unternehmen mit Großlabor, Geschäften und Fotostudios.

Wie sah so eine Fotografen- und Fotokaufmann-Lehre damals aus?

Tiefe siebziger Jahre: Ich startete meine Lehre im Geschäft: weißer Arbeitskittel, lange Haare, aber immer höflich. Ich war den Chefs mit meiner Haarpracht suspekt. Ich hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Filme entgegenzunehmen und den Kunden ihre Fotosackerl wieder auszuhändigen. „Bitte schön, danke schön, ja, gerne, machen wir.“ Das war ungeheuer langweilig.

„Wir fotografierten jeden Tag von morgens bis abends Skischuhe, Schokolade, Bettwäsche.“

Hast Du Dir die Fotos nicht mal angesehen?

Doch, leider. Eines Tages kommt Frau Wohlgenannt, eine 80-jährige Frau herein: „Fotos für Wohlgenannt, bitte“. Wie jeden Tag blättere ich mich durch A, B, C ... WWWohlgenannt“, nehme die Fotos heraus. Das erste Bild zeigte einen riesigen Geschenkskorb mit einer großen Wurst darauf. Die Salami war im Vordergrund scharf zu sehen, dahinter sah man mit Gelbstich das total grantige Gesicht der Jubilarin. Da bekam ich einen Lachkrampf – das war sehr schlecht. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, und schon gingen die Vorhänge der Chefs auf. Frau Wohlgenannt höre ich noch heute schimpfen: „Auslachen brauche ich mich nicht lassen, dazu muss ich nicht zum Winsauer kommen!“ In strengstem Vorarlbergerisch natürlich.

Das ist lustig. Wie haben die Chefs reagiert?

Ich bekam eine Verwarnung, aber leider ist mir so etwas immer wieder passiert. Ich bin dann zum strengen Lehrmeister Lausmann ins Fotostudio „strafversetzt“ worden (lacht) und habe bei der Still-Life-Fotografie assistiert. Es hat mich zunächst genervt, aber es war schlussendlich eine Spitzenausbildung. Ich habe dort die Technik von A bis Z gelernt. Der Chef konnte sich vor Jobs kaum retten. Wir fotografierten jeden Tag von morgens bis abends Skischuhe, Schokolade, Bettwäsche. Da gibt es ja massenhaft Firmen in Vorarlberg – teils Weltmarktführer. Alles wurde mit der Großformat-Kamera fotografiert. Sie hatten dort die teuersten und besten Objektive, die es damals gab. Alleine der Objektiv-Kasten wird mit Sicherheit eineinhalb Millionen Schilling gekostet haben.

Mode wurde nicht fotografiert ...

... doch, neben unserem Studio lag das Modefotostudio. Dort sind die internationalen Fotografen mit dem Porsche vorgefahren, das Gekicher der Models, den ganzen Tag Remmidemmi. Auf mich, als 17-Jährigen, hat das schon eine gewisse Faszination ausgeübt.

Hast Du jemals angefragt, ob Du einmal mitmachen darfst?

Da hatte ich keine Chance!

„Meistens ist das erste Foto das beste.“

Konntest Du in Deiner Freizeit selbst experimentieren und fotografieren?

In der Rankweiler Umgebung gab es ein paar Kiesgruben, in denen sich ganz absurde Schotterhaufen türmten: Das war ganz mein Metier. Meine Schwester und meine Künstlerfreunde habe ich auch öfters fotografiert, das waren meine ersten Porträts. Ich habe damals schon gespürt, dass meine Bilder bei jenen Leuten gut ankommen, die mir wichtig sind. Das hatte eine Kraft.

Deine Porträtfotografie ist herausragend. Verrate uns Dein Geheimnis!

Als ich damals für Magazine fotografierte, hatte ich meistens kaum Zeit, Konzepte zu entwickeln. Sie haben mir nicht selten erst am Set gesagt, wer überhaupt kommt, wen es zu fotografieren gilt: dieser Opernsänger, jener Schauspieler etc.
Studio und Licht hatte ich mit meinen Assistenten immer schon vorbereitet, dann wurde gearbeitet.
Heute verhält es sich ähnlich: Ich führe kein Gespräch im Vorfeld – das ist auch gar nicht nötig – es läuft bei mir auf einer ganz anderen Ebene ab.
Wenn am Set einmal gar nichts weitergeht, gilt bei mir: „Im Zweifelsfall ästhetisch!“ Es ist nicht möglich, jedes Mal ein Jahrhundertporträt zu produzieren!

Und wenn mehr in der Luft ist?

Meistens kommt mehr, man findet sich – auf einmal entwickelt sich das Gemeinsame, und irgendwann spüren dann beide „That’s it – das war’s!“

„Für Quentin Tarantino hatte ich zehn Minuten.“

Redest Du viel am Set?

Nur das Nötigste. Ich lasse mich selbst so ungern fotografieren, ich weiß, wie unangenehm das ist. Das ist etwas Furchtbares, da hält dir jemand so ein Ding ins Gesicht ...

... das ist fast wie Penetration ...

... genau. Es gibt viele Prominente und Models, die die Kamera lieben. Sie gehen da voll auf. Ich aber verlange vom Porträtierten erst einmal gar nichts. Vielleicht ist das ja das Geheimnis – dazu mein Handwerk. Meistens ist das erste Foto ohnehin das Beste!

Du hattest schon viele berühmte Menschen vor der Linse. Jeff Koons zum Beispiel ...

... oder Quentin Tarantino. Er war gerade auf Promo-Tour in München, und ich hatte den Auftrag, ihn für das Magazin „Tempo“ zu fotografieren –in ziemlich genau zehn Minuten. Quentin Tarantino war damals total verkühlt und ich ebenso. Wir wussten aber beide, wir müssen abliefern. Er sagte zu mir: „Ich bin völlig am Sand, lass uns schnell machen.“ Ich meinte: „Da hinten ist ein Ziegeleck, stell Dich dorthin!“ Und klick, das erste Foto war es dann auch schon. Beide glücklich – in zehn Minuten erledigt.

Hast Du nicht auch Porträts vom legendären Regisseur Billy Wilder geschossen ?

Das war eine Ehre. Ihm konnte man stundenlang zuhören, er hatte Humor. Bei der Verabschiedung hat er damals zu mir gesagt: „Guenter, auf Wiedersehen, ich bleibe sitzen, ich bin nämlich zu alt ... und zu reich.“

Du hast mir mal erzählt, dass es Dich langweilt, Models zu fotografieren.

Nein, das langweilt mich ganz und gar nicht. Was mich ärgert, sind unprofessionelle Modelagenturen. Ende der 80er- und 90er-Jahre sind oft junge Models aus Osteuropa nach Wien bestellt worden. Topmodels kamen ja kaum nach Österreich. Die Mädchen aus dem Osten hatten meist überhaupt kein Geld und mussten dann auch noch unbezahlt zum Casting nach Wien kommen. Sie wurden wie Ware behandelt. Die Situation hat sich zum Glück mittlerweile um einiges gebessert.

Früher hat der Fotograf wenigstens noch viel verdient, aber das ist ja auch nicht mehr so?

Dafür verdient der Bildbearbeiter jetzt viel (lacht).

Haben auch andere in Deiner Familie eine künstlerische Begabung?

Die Familie mütterlicherseits war sehr musikalisch. Meine Mutter war auch eine gute Zeichnerin. Meine Familie hatte schon Style. Mein Vater trug maßgeschneidertes Tuch, entwarf mit einem Architekten ein architektonisch topmodernes Haus mit Hubschrauberlandeplatz, sprach als Steirer nur Hochdeutsch und fuhr zu guten Zeiten immer mit feschen Autos herum.

„,Drahdiwaberl‘ und ,Wiener‘, da brauchte es nicht mehr viel, bis ich die Koffer für Wien gepackt hatte.“

Was war der erste Augenblick, in dem Du mit Kunst in Berührung gekommen bist?

Im wahrsten Sinne des Wortes das „Drahdiwaberl“-Konzert in Dornbirn (lacht). Ich war damals, glaube ich, 16 Jahre alt: Bei dieser Bühnenshow habe ich nur so geschaut. So etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich war total gebannt ob dieser Performances. Die haben sich in Essensresten geräkelt, Politiker karikiert, à la Wiener Aktionismus mit allen Tabus, die man so kannte, gebrochen, angeblich wurde manchmal auf der Bühne auch echt gevögelt. 

Eine Freundin hat mir dann später aus Wien die erste Ausgabe des Magazins „Wiener“ mitgebracht. Die war damals noch auf Klopapier-Druck, aber da habe ich mir gedacht: „Genau das möchte ich machen!“. „Drahdiwaberl“ und „Wiener“, da brauchte es nicht mehr viel, bis ich die Koffer für Wien gepackt hatte.

Wie hast Du den Umschwung von analog zu digital verkraftet?

Mein Glück ist, dass ich ein gutes Foto machen kann, egal ob digital oder analog. Der Fotografenberuf hatte früher ein größeres Prestige als heute. Wenn du heute als Beruf Fotograf angibst, glauben einige Leute, du bist ein Vollidiot. Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Ich liebe meinen Beruf, ich mache alles mit großer Leidenschaft. Vor allem mag ich es, mit guten Leuten an guten Projekten zusammenzuarbeiten.

„Es gibt so ein Bedürfnis nach analog, weil das romantisch und retro wirkt.“

Du fotografierst wahrscheinlich analog und digital?

Hauptsächlich digital und schon noch ab und zu analog.

Während die jungen Fotografinnen zurzeit viel analog fotografieren ...

... die fotografieren analog auf Filmmaterial, das dann eingescannt und somit digitalisiert wird. Eine Antwort auf die inflationäre Fotoflut, ein Bedürfnis nach Ernsthaftigkeit und Handwerk.

Vermisst Du die Dunkelkammer?

Ich möchte als Fotograf nicht dauernd am Computer sitzen, sondern Prints in die Hände nehmen, sie flexibel zusammenstellen und mal über Nacht liegen lassen können. Am Bildschirm kann ich ein Bild lange nicht so gut beurteilen. Wenn ich Geschichten fotografiere, lasse ich sie im Anschluss meistens printen. Ich habe keine Lust auf diese ständigen Anpassungen und raufgedrehte Farben.

Bei vielen Kampagnen sind die Layouts mittlerweile schon so konkret vorgegeben, dass du oft nur noch als Ersatzteilfotograf agierst. Da hast du dann einen Sonnenuntergang und einen Sonnenaufgang auf einem Bild – das ist eine Art „neuer primitiver Surrealismus“!

„Ich mache keine zweite Wahl und nicht hunderte Fotos, ich mache so wenig so gut wie möglich.“

Fotografierst Du also doch lieber analog?

Wenn alles gut funktioniert natürlich schon. Das Digitale lässt mich leider manchmal etwas laxer werden. Beim Stillleben ist es irrelevant, da ich hier ja vorher schon kreativ sein kann, indem ich das Motiv arrangiere. Analog zu fotografieren ist eine hochkonzentrierte Sache: Du hast, je nachdem, ein/zwei Filme, ca. 20 Aufnahmen, dann ist es in der Regel erledigt. Heute drückt man hunderte Male auf den Auslöser und sitzt dann da und sortiert und editiert stundenlang am Bildschirm.

Bringst Du es übers Herz, digitale zweite Wahl von Dir zu löschen?

Ich treffe keine zweite Wahl und mache auch nicht hunderte Fotos. Im Gegenteil: Ich mache so wenig so gut wie möglich. Ich habe schon einmal eine sechsseitige Geschichte für das Magazin „Glamour Italia“ produziert und dafür sechsmal abgedrückt. Da hatte ich nur noch eine Packung Film, das musste einfach passen.

Und Prints?

Prints schmeiße ich nie weg. Das sind ja mittlerweile alles Vintage-Prints, von großem Wert, Schätze, die ich hier in meinem Atelier bunkere. Wenn ich früher ein Porträt gemacht habe, hieß das, dass ich bis zu 30 Prints davon in der Dunkelkammer anfertigte: abschwächen, tonen, nachbelichten, dies und das, weiß der Teufel was. Ich habe tagelang in der Dunkelkammer gestanden.

Deine Prints besitzen schon historisch-dokumentarischen Wert!

Nun ja, als ich 30 Jahre alt war, kam einmal jemand zu mir und wollte ein Fotobuch mit meinen Arbeiten machen. Ich wollte aber einfach nur arbeiten und nicht meine alten Aufnahmen zusammenstellen. Das Buch habe ich nie gemacht.         

Aber Du hast ein Buch für Dolce & Gabbana fotografiert!

Das war ein unglaublich großes und langwieriges Projekt, das ich gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Alexander Wiederin, Gründer und Kreativdirektor des Buero New York, im Jahr 2008 realisiert habe. Wir haben über zwei Jahre hinweg konzeptionell daran gearbeitet und dabei insgesamt drei Monate netto fotografiert. So ein Auftrag wäre heute gar nicht mehr denkbar – genauso wenig wie die unglaubliche Handarbeit für diese exklusiven Kleider, die heutzutage wahrscheinlich unbezahlbar wären.

Warum tragen Puppen die Dolce-&-Gabbana-Kleider?

Wir konnten ja nicht monatelang ein Topmodel engagieren. Da hatten wir die Idee mit den Puppen. Damals wurde schon so viel in der Modewelt retuschiert, dass man sich bei den Models im Nachhinein oft nicht mehr sicher war, ob das eine Puppe oder ein Mensch war. Wir kehrten die Sache um. Diese Puppen sehen Menschen so täuschend ähnlich, selbst von der Hautstruktur her, dass das ein spannendes Vexierspiel werden würde, wie wir fanden.

Mit diesen Puppen seid Ihr dann um die Welt gereist?

Wir fingen erst einmal klein im Dolce-&-Gabbana-Archiv an, rund 50 km vor Mailand. Die Designer hatten ihre alten Entwürfe um viel Geld zum Teil zurückgekauft, um ihre Unternehmensgeschichte dokumentieren zu können. Manches Einzelstück ist mittlerweile richtig viel wert. Wir durften mit den Unikaten aus den Archivräumlichkeiten nicht raus. Die einzigen örtlichen Ausnahmen waren einerseits die Terrasse, andererseits das Studio, in dem wir auch noch fotografieren durften. Der gesamte Ort war wie ein Hochsicherheitstrakt abgesichert mit Stahlschiebetor, Wachturm und Securities. Domenico Dolce haben die Ergebnisse unserer Arbeit aber dann so gefallen, dass er uns erlaubt hat, die Stücke mitzunehmen und andere Settings und Locations zu finden. Auch aktuelle Kollektionen kamen hinzu.

Wo bekam man so täuschend echt aussehende Puppen her?

Die Puppen wurden extra für uns in San Diego bei „Real Dolls“ produziert. Wir hatten drei Puppen mit sechs separaten abnehmbaren Gesichtern, die in New York von den besten Make-up-Leuten geschminkt worden waren und mit Klettverschluss auf den Schädeldecken der Puppen angebracht werden konnten. Wir konnten jeweils aus acht oder neun verschiedenen farbigen Glas-Augenpaaren auswählen. Bei den Puppen musste man dann jeden einzelnen Finger, jedes Gelenk, ja selbst die Augen so hinbiegen und formen, dass es echt aussah. Die Augen schielten dann immer mit diesem leichten Silberblick, das hat aber auch seinen Reiz.

Das muss eine Tortur gewesen sein, die Puppen anzuziehen ...

Es war nicht leicht. Erstens glichen die Puppen ja von ihrer Größe und dem Gewicht her echten Models. Es war also kein „Leichtes“, sie einmal schnell hochzuheben, um sie anzukleiden. Dazu kam, dass die „Haut“ der Puppen aus Silikon war. Ihre Beschaffenheit war ziemlich klebrig, aber es fühlte sich wirklich an wie ein echter Körper. Das war lässig. Leider hattest du dauernd Fussel drauf. Außerdem wurde die „Haut“ mit der Zeit ziemlich speckig. So mussten wir die Puppen zwischendurch immer wieder mit Alkohol reinigen, das hießt, dass wir den gesamten Körper damit einrieben und im Anschluss wieder mit Talkum einpuderten. Der Puder zog quasi in die „Poren“ ein, und dann ähnelte die Beschaffenheit wieder der menschlichen Haut.

Zum Schluss noch ein paar schnelle Fragen. Bitte kurz antworten! Was ist schwer zu fotografieren?

Ich würde es eher umkehren: Es gibt nichts, was leicht zu fotografieren wäre.

Was bereitet Dir Freude?

Meine wunderbaren Kinder. Gute Musik, gutes Essen, gute Freunde.

Was treibt Dich, wenn Du fotografierst?

Es muss mich am Laufen halten, mir einen Kick geben, da muss was für mich rüberkommen, und das kann viel sein …

Was geht überhaupt nicht für Dich?

Die Arbeit mit angepassten Leuten, die sich nichts zu entscheiden trauen, sondern nur Angst um ihren Job, aber generell von Kunst und einem guten Bild keine Ahnung haben.

Wovor hast Du am meisten Angst, wenn Du fotografierst?

Für mich ist das Fotografieren nach wie vor keine Routine. Bei jedem Porträt, bei jedem Projekt, bin ich immer noch nervös. Jedes Mal, wenn ich an mir zweifle, muss ich mich selbst daran erinnern, dass dieser Zustand der Erregung bei mir auch in der Vergangenheit immer wieder zu einem guten Foto dazugehört hat ... (lacht).

Was kannst Du noch – außer fotografieren?

Baumhäuser bauen.

Auch nicht schlecht. Ich danke Dir für dieses Gespräch.

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