Die Koi

Superpower-Schulterpolster

Einzigartige Outfits, ausgefallene Musikvideos und Songs im Stil der 80er: Sängerin Ankathie Koi zählt nicht umsonst zu den Paradiesvögeln der heimischen Musikszene. Wir haben mit ihr ein Gespräch über PORNOSSCHULTERPOLSTER und das STERBEN geführt.

„Wir sollten alle mehr Sex haben.“

Im vergangenen Jahr ist Dein Album „Prominent Libido“ erschienen. Auf dem Cover liegst Du, bedeckt mit goldener Glitzerfarbe, auf einem Haufen nackter Menschen und lächelst verschmitzt. Der Titel des Albums liest sich wie eine Kampfansage an die Tabuisierung weiblicher Sexualität – wieso ist Sex, wie Du einmal gesagt hast, für Dich die „Ursache aller Freude“?

Sexualität ist für uns viel wichtiger, als uns bewusst ist, sie wird in unserer Kultur zu sehr tabuisiert. Kindern wird noch immer beigebracht, dass man darüber nicht spricht. Es würde der Gesellschaft guttun, wenn sie offener über Sex reden würde und gegenüber bestimmten sexuellen Haltungen aufgeschlossener wäre, statt sich an einer kranken Pornoindustrie zu laben. 

Was stört Dich an der Pornoindustrie?

Die Pornoseiten werden immer härter, mit einem Klick kann man jeden Scheiß konsumieren – das macht die Gesellschaft krank. Viele Teenager stehen heute unter großem Druck, Pornos liefern ihnen Bilder davon, wie sie auszusehen und Sex zu praktizieren haben. Die Rolle der Frau wird klar definiert, alles ist so künstlich – dabei kann Sex etwas so Schönes sein! Wir sollten alle mehr Sex haben, mehr darüber reden, raus aus den dunklen Kellern, nach oben, und eine schöne Party feiern! Wenn die Menschen weniger verklemmt wären, hätten wir viel weniger Probleme.

Dein Markenzeichen sind schrill-bunte Outfits im Stil der 80er-Jahre. Deine modische Expertise hast Du im Rahmen der Fashion-TV-Reihe „SHOW OFF Stories“ zum Besten gegeben. Ende der 80er warst Du sieben Jahre alt – was ist Deine aufregendste Erinnerung an diese Zeit?

Mit sieben Jahren stand ich das erste Mal auf der Bühne, einmal als tanzendes Schwammerl und einmal als Dornröschen, das sich weigerte zu schlafen – die Kostüme waren ziemlich verrückt. Ich kann mich auch noch an die Urlaubsreisen nach Kroatien und Italien erinnern: Im Auto haben wir immer Eros Ramazzotti gehört. Auf den Campingplätzen haben die Frauen damals Hotpants, Schlauchtops und hochhackige Schuhe getragen. Das war die Urlaubsmode der 80er!

Was sollten sich die 2020er-Jahre von den 1980ern abschauen?

Das Feiern des Individualismus. In den 80ern ist vieles ausprobiert worden, die Mode wurde noch bunter und schriller als in den 60ern und 70ern. Es war das Jahrzehnt, in dem erstmals weibliches Empowerment sichtbar wurde, unter anderem durch die entsprechende Kleidung. Ich wünsche mir wieder mehr Experimentierfreude; heute gibt es eine Uniformität, mit der ich nicht umgehen kann. Damals durfte man sich lustig kleiden und verrückt sein! Damals war mehr Humor zugelassen, jetzt ist alles ernster. 

„Ich hasse Fast Fashion aus tiefstem Herzen.“

Wie können wir uns die 16-jährige Ankathie Koi Mitte der 90er vorstellen?

Die 16-jährige Ankathie Koi hat angefangen zu rauchen und Alkohol zu trinken, Grunge gehört, ihre ersten Doc Martens bekommen, ein paar Dreadlocks gehabt und ist illegal auf ihre ersten Partys gegangen. Die Schwester einer Freundin hat uns damals in ihrem Auto mitgenommen und in Clubs reingeschmuggelt. Zu dieser Zeit habe ich aufgehört, klassische Musik zu machen und angefangen, Jazz zu singen. Ich wollte nicht mehr sonntags um zehn Uhr vormittags in der Kirche stehen, die Jazzclubs und die Typen dort waren einfach cooler. 

Wann bist Du das erste Mal in ein Jackett mit Schulterpolstern geschlüpft?

Ich kann mich gar nicht an eine Zeit erinnern, in der ich keine Schulterpolster im Schrank hatte. Mir gefällt es, dass ich mich mit ihnen breiter fühle! Zuhause habe ich einen riesigen Kleiderfundus, die meisten Sachen habe ich secondhand und auf Flohmärkten gekauft oder von meiner Mutter – sie hat ebenso den Hang, Kleidung aufzubewahren. Oft kaufe ich etwas, das mir nicht passt, packe es in den Schrank, hole es irgendwann wieder raus und bringe es zu meinem Schneider. 

Wie stehst Du zu Fast Fashion?

Ich hasse es aus tiefstem Herzen. Ich mag nicht, wie sich die Kleidung anfühlt, wie sie riecht; und sie hält nur einen Sommer. Die Jacketts und Kleider von meiner Mutter aus 70ern kann ich noch heute tragen! Fast Fashion ist wie diese dummen Apple-Produkte, die so gemacht sind, dass man sie nicht mehr reparieren kann. Ich weiß noch, als ich einmal mit einer Freundin in einen H&M musste: Eine Frau ist gegen einen Kleiderständer gelaufen, und ein paar T-Shirts sind runtergefallen. Die Leute sind da einfach drüber getrampelt! Als ich eines hochgehoben habe, meinte eine Verkäuferin: „Das brauchen Sie nicht!“, hat sich das „Zeug“ geschnappt und weggeschmissen. Als wäre es Dreck! Wahrscheinlich hätte es mehr gekostet, die Kleidung zu waschen, als einen Stapel von diesen billigen T-Shirts nachzuhängen. 

„Mode kann Menschen leuchten lassen.“

Welche Superkraft hat Mode?

Mode kann Menschen leuchten lassen. Wenn ich schön gekleidet auf die Straße gehe, fühle ich mich anders als mit einem Hoodie. Mode kann stolzer und energetischer machen. Mich macht sie meistens ein bisschen aufmerksamer und gibt mir Zuversicht. Ich habe ein Paar Superpower-Stiefel von Rani Bageria, in denen fühle ich mich immer extrem stark! Sie lassen mich aufrechter gehen; man schlurft nicht so dahin wie in Turnschuhen. Mein Secondhand-Thierry-Mugler-Dress aus den 80ern gibt mir auch ur viel Stärke, das ist aus schwarzem Leder und hat so riesige Schulterpolster, dass ich damit aussehe wie eine Sanduhr.

Dein erstes Soloalbum heißt „I Hate The Way You Chew“, denn Du hasst Kaugeräusche. Welche Geräusche liebst Du?

Ich liebe das Geräusch von Wasser, etwa von Regen, wenn er auf den Asphalt fällt und – ur kitschig – Meeresrauschen. Außerdem mag ich unsere stöhnende Kaffeemaschine und das Geräusch von ein- und ausfahrenden Zügen, denn das bedeutet immer, dass man wo ankommt. 

„Meine Wunschvorstellung vom Sterben ist, auf der Bühne tot umzufallen.“

Wassertrinkend und yogamachend oder kettenrauchend und vodkatrinkend im Stammbeisl: Wie wird Frau Koi altern?

In den letzten Jahren habe ich dem Hedonismus gefrönt, bin oft an der Bar gesessen, habe geraucht und Whiskey getrunken. Ich bin jetzt vorsichtiger geworden mit meinem Körper, habe angefangen, Yoga zu machen, mehr Wasser und Tee zu trinken und weniger zu rauchen. Ich habe gemerkt, dass ich Energie fürs Musikmachen brauche; es ist nicht so, dass man als Sängerin romantisch mit der Weinflasche am Klavierflügel hängen kann. Manche Dinge bleiben nicht mehr ungestraft. Ich spüre es schon, wenn ich am Abend drei Gläser Prosecco trinke. Grundsätzlich mag ich die ältere Kathie aber viel lieber als die jüngere: Ich bin direkter geworden und habe es geschafft, Prioritäten zu setzen, lerne immer noch wahnsinnig viel und mit der Zeit auch immer schneller – ich freue mich schon auf die Kathie mit 40! 

Wer wird die 80-jährige Frau Koi sein?

Sicher eine von diesen älteren Frauen, die sich die Haare so stark blondieren, dass sie fast blau sind! Ich werde wahrscheinlich einen Stammplatz in einem Beisl haben und dort immer noch mit Schulterpolstern bekleidet in Begleitung eines Pudels sitzen. Meine Wunschvorstellung vom Sterben ist, auf der Bühne tot umzufallen (lacht).

„Dass die ganzen Konzerte wegfallen, tut wahnsinnig weh.“

Was war Deine peinlichste Bühnenerfahrung?

Wir waren Headliner bei einem Festival – alles war voll –, da habe ich gemerkt, dass ich aufs Klo muss. Mir wurde rasch klar, dass ich nicht bis zum Ende des Gigs durchhalten werde. Während der Keytarist ein Solo gespielt hat, bin ich hinter die Bühne, wo ein Techniker stand, hab hingelullt und bin sofort wieder auf die Bühne. Das war das einzige und erste Mal, dass ich während eines Konzertes aufs Klo musste. 

Wo tobst Du Dich aus, da die Konzertsäle jetzt leer sind?

Beim Songschreiben. Ich war total fertig von der Tour letztes Jahr und konnte während der Ausgangssperre so richtig runterkommen und mich wieder dem Künstlerischen widmen. Ich hatte die Konzentration, die ich fürs Texten brauche, denn es gab so wenig, das mich abgelenkt hat. Die Songs habe ich nicht am Laptop, sondern mit Stift und Block geschrieben; das hat sich richtig angefühlt.

Die Corona-Krise bringt, wie Du schon erwähnt hast, viele Künstlerinnen in eine schwierige Lage. Was sollte Kulturpolitik in dieser Zeit leisten?

Die Möglichkeiten aufzutreten sollten gefördert werden, es lassen sich bestimmt kreative und sichere Lösungen finden. Ich hatte Glück und habe von der AKM einen Ersatzbetrag für die ausgefallenen Gigs erhalten, aber viele in meinem Umfeld bekommen nichts, sind extrem verzweifelt und wissen nicht, wie sie die nächste Miete zahlen sollen. 

„Ich habe überhaupt nicht verstanden, nach welchen Prioritäten die Regierung vorgegangen ist.“

Was ist schiefgelaufen?

Ich habe überhaupt nicht verstanden, nach welchen Prioriäten die Regierug vorgegangen ist: Zuerst durften die Leute in die Kirche und in den Baumarkt, in einem Jazzclub ein Konzert anzuhören ging aber nicht. Dabei kommt man sich ja auch nicht nahe, wenn man die Stühle mit Abstand aufstellt! Es ist wirklich ärgerlich, dass Kultur immer kleingemacht und als Letzte bedient wird,  sodass man als Künstlerin oft in einer Lage ist, in der man das Gefühl hat, man muss betteln.

Zuletzt eine Portion Weisheit von Ankathie Koi: Wie geht es weiter mit unserer Welt?

Ich lese gerade das Buch „Die psychotische Gesellschaft“ von Ariadne von Schirach, da werd ich das hoffentlich erfahren. Meine Befürchtung ist, dass die Digitalisierung zunimmt und wir bald einen Chip im Handgelenk haben, mit dem wir bei der Ärztin oder an der Uni einchecken. Wir sind die Generation der Unterbrechung, können uns kaum mehr zehn Minuten konzentrieren – ich hoffe, dass es irgendwann die Möglichkeit geben wird, wieder einen Schritt zurückzugehen, damit der Mensch wieder Zeit findet, sich zu langweilen. 

Danke für das Interview!

Dieses Interview entstand in Kooperation mit

Das Vöslauer #jungbleiben Magazin.

Die aus Burghausen in Oberbayern stammende Ankathie Koi (alias Kathrin Isabella Winklbauer) lebt seit 2003 in Österreich. Sie studierte Jazzgesang an der Linzer Musikuni bei Elfi Aichinger, seit 2009 lebt sie in Wien. 2011 gründete sie mit Judith Filimónova das Duo „Fijuka“, das zwei Pop-Alben im Stil der 80er-Jahre produzierte. Zusammen mit dem Musikjournalisten Gerhard Stöger kuratierte sie das Popfest 2016. Als Soloprojekt „Ankathie Koi“ tritt sie seit 2015 auf, ihr Debütalbum „I Hate The Way You Chew“ erschien 2017, ihr zweites Album „Prominent Libido“ 2019. Seit 2018 unterrichtet sie Gesang an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, im selben Jahr war sie beim Amadeus Award für den FM4-Award nominiert.

SHOW OFF STORIES ist ein 20-minütiges Video-Format mit unterschiedlichen Hosts und Gästen aus den Bereichen Mode, Fotografie, Musik, Design, Kunst und Wissenschaft. 

Jeden Donnerstag live um 18:30 auf Facebook/showoffvienna.

show-off.net

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