Dier Rapperin

Hip-Hop & Feminismus

Princess Nokia war gestern. Dafina Sylejmani aka Dacid Go8lin (*1989) rappt und gründete mit anderen das weibliche* Hip-Hop-Kollektiv Femme DMC, das westliche Beats mit albanischen Sounds mischt. Wir sprachen mit Dacid Go8lin über BitchesSchmerz und darüber, warum die Clubszene nach Corona wieder „richtig krass abgehen“ wird.

„Ey, Junge, ich will rappen!“

Anja Kundrat: Muss eine Rapperin* mehr provozieren als ein Mann?

Dacid Go8lin: Frauen müssen immer noch mehr tun als Männer, um Erfolg zu haben. Wenn ein Mann auf eine gemischte Bühne kommt, hat dieser gar kein Problem, die Bühne für sich einzunehmen. Viele Künstlerinnen tun sich schwer, mit einer Selbstverständlichkeit aufzutreten. Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, hat der Mann die Bühnen, auf denen er steht, für sich selbst erschaffen und hat sozusagen einen „Heimvorteil“.

Im Hip-Hop ziert das Wort „Bitch“ oft die Lyrics. Wie gehst Du mit diesem Begriff um?

Ich sage zu Frauen und Männern „Bitch“, damit müssen sie umgehen können (lacht). Diesen Begriff empfinde ich mittlerweile als entwaffnend. Er hat sich zu einer empowernden Bezeichnung für Frauen entwickelt. Wenn ich zu Freundinnen „Bitch“ sage, ist das keine Beleidigung. 

2015 hast Du das Künstlerinnen*-Kollektiv „Femme DMC“ mitbegründet. Warum braucht Wien ein neues Hip-Hop-Kollektiv?

Es braucht mehr junge Künstlerinnen, die sich mit Hip-Hop auseinandersetzen. „Femme DMC“ ist auf den vier Säulen des Hip-Hop aufgebaut: DJing, Rapping, Dancing und Graffiti. Daran orientieren sich auch unsere Auftritte in den Clubs. Wir kämpfen dafür, dass es die weiblichen Generationen der Zukunft nicht mehr so schwer haben, sich durchzusetzen. Jede Frau soll ihre eigene Geschichte selbst erzählen können.

„Jede Frau soll ihre eigene Geschichte selbst erzählen können.“

Seit Corona leidet die Clubszene massiv. Wie wird das Nachtleben nach alldem aussehen?

Sehr gut, denke ich. Wir freuen uns schließlich alle wieder aufs Feiern. Die Clubszene in Wien wird richtig krass abgehen! Leute werden wieder zu „Femme DMC“-Events und anderen Veranstaltungen gehen. Wir haben dieses Jahr unsere Pläne coronaentsprechend geändert und statt Onlineauftritte zu planen, produzieren wir gerade neue EPs, bis es endlich wieder live weitergeht. 

Wie kamst Du zum Rap?

Mein erster Rap-Song entstand 2010, als ich noch mit meiner Familie in Linz wohnte. Ich war viel mit Freunden und Verwandten unterwegs und wir haben einander oft besucht. Unter den Besuchern war auch ein Junge, der rappte. Ich hab ihm gesagt: „Ey, Junge, ich will rappen!“ und mich an ihn drangehängt. 

Wie hieß Dein erster Song?

Mein erster Song war ein dramatischer Liebessong: „Mein Engel“. Er war auf Deutsch mit Vocals von „Twilight“ und ich habe ihn damals mit einem Dude namens „Bunny G“ produziert. Wir waren oft im Jugendzentrum „Fjutscharama“ – übrigens im gefährlichsten Bezirk von Linz und Umgebung –, dort habe ich immer wieder Liebeslieder geschrieben.

„Juhu, ich bin eine Lesbe!“

War „Mein Engel“ für jemand Bestimmten?

Den Text schrieb ich damals schon für eine Frau. Während der Schulzeit entdeckte ich meine Sexualität und war dann so: „Juhu, ich bin eine Lesbe!“ Das hinauszuschreien war dann doch nicht so gut, ich wurde deshalb gemobbt und habe mich geschlägert. Ich bin zwar klein, aber ich war schon im Kosovo unter meinen Leuten immer die Stärkste, also habe ich auch in Linz immer gewonnen!

Wie hast Du gemerkt, dass Du auf Frauen* stehst?

Das war schon heftig. Ich kam nach Österreich, in ein für mich komplett neues Land, und wusste schon damals, dass ich Frauen mag, mir war aber nicht bewusst, dass es so etwas gibt. Dann war da Nadja aus der Ukraine in meiner Sprachklasse, die mir sagte: „Frauen und Frauen – das ist normal.“ Ich konnte es gar nicht fassen! Das gab es bei uns nicht! Ich bin froh, dass ich in Österreich zu dieser Erkenntnis gekommen bin. 

Du rappst auf Deutsch, Englisch und Albanisch – Deine Visual EP „IT’S YOUR BIRTHDAY“, die im November 2020 erschienen ist, zeigt eine Frau*, die sich akrobatisch rekelt. Worum geht’s?

Bei dieser EP ging es um Trennung – das Verarbeiten von Schmerz. Die drei Sprachen sind mittlerweile auch ein Weg, mich auf persönliche Art und Weise erklären zu können. Ich bin mit der albanischen, deutschen und teilweise auch mit der englischen Sprache aufgewachsen. Das hat natürlich meine Art zu Denken geprägt – abwechselnd in diesen drei Sprachen. Durch meine mehrsprachigen Songs kann ich mich also perfekt ausdrücken.

„Das, was uns als Menschen ausmacht, ist Schmerz.“

Du produzierst viele Deiner Videos selbst oder in Zusammenarbeit mit dem Haneke-Schüler Mark Gerstorfer, so auch Dein sehr brutal anmutendes Video zur Single „Immigrant“. Wie ist es, sich selbst so hart zu inszenieren?

Meine eigene Persönlichkeit in den Videos zu spielen ist super spannend. Die Single „Immigrant“ beschreibt meine Erfahrungen als Migrantin in Österreich. Das Video hierzu war das erste in Zusammenarbeit mit Mark. Es ging darum, bildlich darzustellen, was wir uns ständig gegenseitig antun. Das, was uns als Menschen ausmacht, ist Schmerz. All die Wunden und Narben, die wir in und an uns tragen, prägen uns. 

Die wenigsten Künstlerinnen* kommen ohne Nebenjob aus. Kannst Du ausschließlich von Musik leben?

Ich komme aus einer Arbeiterinnenfamilie und habe einen Migrationshintergrund. Nur von der Musik kann ich nicht leben. Wenn man eine wohlhabende Familie hat, geht das vielleicht. So wie es derzeit aussieht, heißt es für mich: jobben, jobben, jobben.

Was war bisher Dein absurdester Job?

Ich war früher Tellerwäscherin in einem italienischen Restaurant und habe oft mit der Chefin diskutiert, weil ich die Calamari nicht „auseinandernehmen“ wollte. „Ich bin zum Tellerwaschen hier, nicht zum Fisch zerpflücken“, sagte ich ihr damals (lacht)! Es war eine spannende Erfahrung – ich habe mich durchsetzen können und musste die Calamari tatsächlich nicht anfassen.

„Ich sollte Krankenschwester werden.“

Welchen Job haben sich Deine Eltern für Dich vorgestellt?

Ich war schon immer an allem Möglichen interessiert, und meine Eltern hatten Angst, dass aus mir nichts wird. Ich sollte damals Krankenschwester werden. Als ich vier Jahre nach dem Krieg nach Österreich gekommen war, arbeitete ich freiwillig im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern mit krebskranken Kindern und in Altersheimen – das hat mir wirklich Spaß gemacht. Mein Weg im Leben war noch nie gerade, aber ich versuche, anzunehmen, was mir auf ihm begegnet, und immer wieder Neues zu lernen.

Wie hat sich Dein Leben in Wien verändert?

Erst in Wien konnte ich ganz ich selbst sein und meine Grenzen austesten. Jetzt bin ich 31 Jahre alt und kann nur sagen: Ab 30 ist das Leben echt lit! Man lernt und weiß viel über sich und nimmt sich auch ganz anders wahr. 

Wer hört Deine Musik?

Meine Zuhörerinnen sind unter 18 Jahren, aber ich habe sogar Fans, die über sechzig sind. Bei Live-Konzerten sehe ich öfter auch ältere Generationen, das freut mich dann immer besonders. Allgemein sind meine Fans sehr international. Für mich gibt es nichts Schöneres, als meine Musik mit allen zu teilen. Sie soll von Österreich über Indien und Taiwan bis nach Australien und noch weiter überall hin. 

„Ab 30 ist das Leben echt lit!“

Was muss passieren, damit die österreichische Musikszene diverser wird?

Das Radio muss neu entstehen. Ein Problem ist, dass die kommerziellen Sender zu selten neue Künstlerinnen spielen. Obwohl es so viele krass gute Newcomerinnen gibt, hört man immer das Gleiche und muss die Leute teilweise anbetteln, gespielt zu werden, oder wird nur entdeckt, wenn jemand Bekanntes sagt, dass man cool ist – das reduziert die Diversität enorm. Unser Kollektiv versucht, genau das zu ändern! 

Was fehlt Dir im Lockdown am meisten?

Das Abgehen (lacht)! Ich fand es sehr schwierig, in den vergangenen Monaten überhaupt zu performen und trat dieses Jahr bei einem einzigen Event auf, welches als Livekonzert mit den COVID-Schutzmaßnahmen organisiert wurde, bei dem die Zuhörerinnen mit Abstand auf Stühlen „angeordnet“ wurden. Die Stimmung war eine ganz andere als sonst. Es fehlte einfach der körperliche Kontakt zu anderen, die Menschen wirkten so leblos. 

Du bist 2020 mit der LINKS-Partei bei der Gemeinderatswahl angetreten. Was würdest Du tun, hättest Du in Österreich das Sagen?

Mein erster Move wäre, die Hofburg rosa-rosa-lila zu färben. Wir kommen mit dem Regenbogen – es gibt genug Farben für alle! Dazu tanze ich mit dem Ghettoblaster! 

Vielen Dank für das Interview!


Dafina Sylejmani – möchte selbst „Duffy“ genannt werden – studiert an der Akademie der bildenden Künste Wien Kontextuelle Malerei. Mit 14 Jahren kam Sylejmani aufgrund des Jugoslawienkrieges aus dem Kosovo nach Linz, rappte und gründete 2014 das queere Künstlerinnen*-Kollektiv Femme DMC, das durch legendäre Clubauftritte mit Rapperinnen*, Tänzerinnen* und DJs* die feministische Partyszene in Wien prägt. 

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