Fotografin des Monats: Pia Pritzel

Sozialkritik mit Schnitzelpanade

Die Hamburger Fotografin Pia Pritzel zeigt in ihren humorvollen Fotoreportagen Personen, die in der medialen Bilderflut oft untergehen, und veröffentlichte ihre Arbeiten unter anderem schon in der ZEIT und im SPIEGEL. Wir sprechen mit ihr über Fehler im System und altbackene Tradition.

„Unfassbar viel Feuer.“

Pia Semorad: Für Deine Fotoserie „Corona-Held*innen“ hast Du im ersten Lockdown Personen aus Berufsgruppen mit sogenannter Systemrelevanz porträtiert. Wie kam's dazu?

Pia Pritzel: Ich wollte Menschen zeigen, die oftmals von Künstler- und Akademikerblasen nicht wahrgenommen werden. Die gesamte Lockdown-Situation war ja für uns alle absurd. Man wusste gar nicht, wie man in dieser neuen Welt ankommen soll, aber die Menschen, die ich fotografiert habe, waren noch dazu ganz ungeschützt, weil sie weiterhin arbeiten mussten. Das Fotografieren der Fotoserie war total schön, allein wegen des Kontakts mit den Leuten, die ich abgelichtet habe. Unser Gemüsehändler ist so stolz auf sein Foto, dass er es immer unter dem Tresen liegen hat und seiner Kundschaft zeigt! 

Was fasziniert Dich daran, Menschen in ihrem Alltag abzulichten?

Das Fotografieren statischer Objekte ist natürlich auch geil, weil man sich kreativ austoben kann, aber mir fehlt dabei die persönliche Ebene! Das habe ich zum Beispiel bei meiner Fotoserie „Eine kleine Dosis Impfhoffnung“ bemerkt. Für die Serie habe ich auf Social Media eine Umfrage zu dem Thema gestartet, was man als Erstes tun würde, wenn die Impfungen wieder zu mehr Normalität führten. Aus den Sehnsüchten und Wünschen habe ich dann kleine Impffläschchen-Welten kreiert. Die Mini-Figuren, die ich dafür besorgt habe, konnte ich so hinstellen, wie ich wollte, – aber dafür fielen sie leicht um! (lacht)

„Ich bin nicht nur Fotografin, ich bin ja auch Mensch.“

Was ist Dir beim Fotografieren wichtig?

Ich fotografiere vor allem Menschen. Dabei ist mir sehr wichtig, dass sich die Person vor der Kamera wohlfühlt. Es gibt Jobs, bei denen nur wenig Zeit vorhanden ist, aber mein Anspruch ist trotzdem, immer das Wesen einer Person einzufangen. Ich möchte nur Fotos veröffentlichen, mit denen sich die Abgebildeten identifizieren können. 

Wie gehst Du auf die Personen zu, die Du fotografierst?

Ich denke, am wichtigsten ist, dass die fotografierte Person das wahre Interesse an ihr merkt, denn das gibt Sicherheit. Ein solches Interesse kann man nicht vortäuschen! Ich bringe immer viel Neugierde mit und gebe oft, wenn auch nicht bewusst, viel Verletzliches von mir preis. Das kreiert dann eine ganz eigene Atmosphäre. Ich bin nicht nur Fotografin, ich bin ja auch Mensch.

In Deinen Arbeiten steckt stets ein Augenzwinkern, gleichzeitig sind sie sehr sozialkritisch. Wie verlief Dein Weg in die Welt der Fotografie?

Über viele Umwege! Ich wollte schon nach der Schule eine fotografische Ausbildung machen und landete bei einem richtig narzisstischen, bescheuerten Berliner Fotografen. Die Arbeitsbedingungen waren so mies, dass Fotografie für mich erst mal gegessen war. Ich studierte stattdessen Kulturwissenschaften, das Verlangen, etwas Handwerkliches zu machen, blieb jedoch. Ein Grafikdesigner, mit dem ich eine Affäre hatte, riet mir, mich mit meinen analogen Fotos an Fotografie-Unis zu bewerben, was ich dann auch tat und eine Zusage bekam. Wäre der nicht gewesen, wäre mein Leben ganz anders verlaufen! In der Welt der Kunst- und Fotografiestudenten fand ich mich aber auch nicht zurecht und begann in einer Bildredaktion zu arbeiten, um dem Studentenleben zu entfliehen. Dann hatte ich eine Krebsdiagnose. Die gab mir den Push, mir selbst zu vertrauen und mich selbstständig zu machen. In einem halben Jahr baute ich mir mein selbständiges Fotografinnen-Dasein auf und bekam innerhalb kürzester Zeit Jobs. Da hatte ich unfassbar viel Feuer.

Exklusiv für uns hast Du auch die Fotoreihe „Vienna Schnitzel Lover“ fotografiert, in der Du Deinen Freund mit Schnitzelkette in einer Dirndlbluse zeigst. Wie kam's zu der Idee für diese Serie?

Mein Bubi kochte ein Schnitzel, das in mir sofort das Verlangen weckte, es fotografisch festzuhalten. Ich wollte ihn dazu passend eigentlich in ein Dirndl quetschen, nur leider hat er nicht hineingepasst. Da das Dirndl nur geborgt war, wollte ich es nicht sprengen, also blieb nur die Bluse. Ich habe absichtlich das weiblich konnotierte Kleidungsstück anstatt einer Lederhose ausgewählt, um Kritik am binären Geschlechtersystem zu üben. Die alten Geschlechterrollen sind zum Glück am Aufbrechen, aber gleichzeitig tun sich viele rechte Stimmen gegen diesen Wandel auf.  Dabei sollte niemand einem vorschreiben, wie man zu sein hat! 

„In meiner Vorstellung ist Österreich teilweise unfassbar progressiv.“

Sollte die Tradition, die mit der Tracht einhergeht, abgeschafft werden?

Das nicht, aber es ist problematisch, wenn Tradition dazu missbraucht wird, konservative Ansichten zu festigen und sich nicht weiterzuentwickeln. Die Leute, die Tracht tragen, ruinieren leider ihren Ruf. Hätte mein Freund beim ersten Treffen Lederhosen getragen, wären wir wohl nicht zusammengekommen, denn ich habe schon das Vorurteil, dass eingefleischte Trachtenträger in ihrer Denkweise feststecken. 

Findest Du, dass Österreich feststeckt?

Vielleicht bin ich da ein wenig naiv, aber in meiner Vorstellung ist Österreich teilweise unfassbar progressiv. Ich höre täglich FM4 und das gibt mir das Gefühl, dass die Österreicher superoffen sind. Wenn ich das meinem Freund erzähle, der auch aus Österreich kommt, meint er immer: „Pia, du hörst FM4, das kannst du nicht mit ganz Österreich vergleichen.“ 

Welche Österreicherinnen inspirieren Dich?

Ich bin ein großer Fan von der Journalistin Melisa Erkurt und ihrem Buch „Generation haram“. Darin beschreibt sie, wieso das österreichische Bildungssystem Kinder mit einem sogenannten Migrationshintergrund benachteiligt, und sie bietet Lösungen an, wie das System reformiert werden könnte. In dem Buch kann ich viele Probleme wiedererkennen, die auch das deutsche Schulsystem hat. Ich bin Patin für eine Familie syrischer Flüchtlinge und bekomme mit, dass es vielen Lehrern komplett egal ist, wenn die Kinder in jedem Fach eine Note schlechter als der Rest der Klasse sind. Die Eltern können nicht helfen und Nachhilfe ist oft mit einem zu großen finanziellen Aufwand verbunden.

Da Du seit Jahren Patin einer syrischen Flüchtlingsfamilie bist: Was möchtest Du Leuten sagen, die darüber nachdenken, freiwillige soziale Arbeit zu leisten?

Soziale Arbeit kostet mich kaum Kraft und Aufwand und ist am Ende des Tages etwas, das mir unfassbar viel zurückgibt. Ich handle ja fast schon eigennützig, denn ich staube die ganze Zeit voll geiles Essen ab, lerne viel über Gastfreundschaft und habe die Möglichkeit, mit Teenagerinnen Zeit zu verbringen, zu deren Generation ich sonst keinen Zugang hätte!

Wie wird man denn ein guter Mensch?

Indem man Missstände aufzeigen und Kritik äußern kann und nicht nur aus Hipster- und Coolness-Dasein besteht. Ich finde aber, wir sollten uns keinen Druck machen, gute Menschen zu sein. Wenn man selbst viele Probleme hat, wie möchte man dann jemand anderem helfen? Ich denke, jede Person leistet auf ihre Art und Weise einen Beitrag. Letztens meinte eines meiner Geschwister, ich sei so engagiert, da antwortete ich: „Ey, du hast gerade erst zwei Kinder in die Welt gesetzt, für die bist DU rund um die Uhr da.“ Man sollte das Gutsein nicht in einen Wettkampf ausarten lassen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

piapritzel.com
Pia Pritzel (*1987) ist in einem kleinen Dorf in Norddeutschland aufgewachsen und wohnt mittlerweile in Hamburg. Sie fotografierte unter anderem für Medien wie DIE ZEIT und natürlich auch das C/O VIENNA MAGAZINE. Seit 2015 ist sie Patin einer syrischen Flüchtlingsfamilie und dokumentiert ihren Weg auf dem Instagram-Account @pias_kids. Inzwischen hat sie leider nicht mehr ganz so viel Zeit für ihre freien Projekte, weil sie als Bildredakteurin vom SPIEGEL angeheuert wurde. (dp)