Die Verlegerin

Ein Sprung ins kalte Wasser

Silvia Jaklitsch ist Geschäftsführerin des Verlags für moderne Kunst, der im Jahr etwa 100 Bücher von und über Künstlerinnen – wie etwa Erwin Wurm und Bill Fontana produziert. Nun hat der Verlag einen Concept Store in der Wiedner Hauptstraße im 4. Bezirk in Wien eröffnet. Ein guter Anlass für ein Gespräch über Lieblingsbücher und "Teddybären in Klimthosen

„Die Stunden, die man mit Lesen verbringt, sind die besten.“

Stefanie Schermann: Wirfst Du Bücher auch mal in den Müll?

Silvia Jaklitsch: Natürlich sortiere ich aus, aber in den Müll werfe ich Bücher ungern. Meist gebe ich sie an die Caritas und an Community-Bücherschränke weiter. 


Was liest Du gerade?

Den Roman „Tage des Verlassenwerdens“ von Elena Ferrante. Das Buch nimmt mich ziemlich mit, weil ich gut nachvollziehen kann, was darin beschrieben wird. Früher hätte ich es sicher in zwei Tagen fertig gelesen, heute habe ich nicht mehr die Zeit dazu, und wenn ich lese, schlafe ich meist nach drei Seiten ein. Im Endeffekt sind die Stunden, die man mit Lesen verbringt, aber die besten. 

Kannst Du Dich noch an das erste Buch erinnern, das Du verlegt hast?

Natürlich, wie könnte ich das jemals vergessen, das war mit dem Schweizer Installationskünstler Bob Gramsma. Er hatte wirklich jedes Recht, sauer auf mich zu sein, ich habe damals alles wahnsinnig verkompliziert. Zu der Zeit studierte ich noch Kunstgeschichte und landete über einen Studentenjob im Nürnberger Verlagsgeschäft. Das war wahnsinnig spannend, lehrreich, aber zeitweise auch überfordernd. Mein Vorgesetzter Karl Gerhard Schmidt hatte den Verlag gegründet, er war Bankier und bekannter Kunstmäzen. Durch ihn knüpfte ich noch als Studentin zahlreiche Kontakt zu Kunstkreisen, durfte viel reisen, Ausstellungen und Ateliers besuchen. Gramsma war jedenfalls eine sehr starke Persönlichkeit, durch mein junges Alter war ich diesem Kaliber einfach noch nicht gewachsen. Wahrlich ein Sprung ins kalte Wasser!

„Früher war die Produktion eines Buches viel aufwendiger.“

Was war denn die Schwierigkeit?

Früher war die Entwicklung und Produktion eines Buches viel aufwendiger. Heute verschickt man ein Korrektur-PDF und alles andere wird via E-mail und Whatsapp kommuniziert. Damals wurden die verschiedenen Projektetappen analog abgewickelt. Jede Manuskriptänderung musste ausgedruckt und via Post verschickt werden. Das hat gedauert, es war aber auch mehr Zeit für die Projekte da. Außerdem hat sich der Typus des Künstlers und der Künstlerin stark verändert, die Selbstvermarktung ist zum Teil ihres Jobs geworden. Dass Kunstschaffende ein eigenes Buch veröffentlichen, war damals noch nicht so üblich. Als ich mit Mitte zwanzig begann, Kunstpublikationen zu produzieren, gab es auch noch nicht diese Vielzahl an Messen und Ausstellungen für zeitgenössische Kunst wie heute.

Das romantisierte Künstlerinnendasein ist passé?

Nicht ganz, aber es ist oft mehr Klischee als Alltag. Was den Verlag betrifft: Es ist klar, was man gegenseitig voneinander erwartet. Es wissen heute alle recht genau, was sie wollen und was nicht. Diese Businessorientiertheit wird sogar an den Kunstakademien gelehrt und ist schlichtweg eine Notwendigkeit. Das macht mir die Arbeit leichter.

„Es gibt Buchvorschläge, die ich ohne Zögern ablehne.“

Wie suchst Du aus, welche Bücher von Euch publiziert werden?

Teilweise kommen Künstlerinnen und Künstler und fragen bei uns proaktiv für Publikationen an, was mich natürlich freut. Ansonsten reise ich viel, mit Ausnahme im vergangenen Jahr, um Kontakte zu Ausstellungshäusern und Kunstschaffenden aufrechtzuerhalten und mich zu informieren. Generell gibt es aber ein Auswahlverfahren, im Rahmen dessen verlagsintern diskutiert wird, was zu unserem Programm passt. Dabei geht es nicht primär darum, wie ich persönlich die Qualität bewerte. Es gibt aber durchaus Buchvorschläge, die ich ohne Zögern ablehne. 

Zum Beispiel?

Wir haben als Verlag eine Linie. Ich hoffe, die sieht man nach insgesamt 46 Jahren und mehr als 1.500 publizierten Büchern. Wir bekommen beispielsweise Vorschläge von Menschen, die Muscheln an der Nordsee sammeln und auf Leinwände kleben. In solchen Fällen, trotz deren Leidenschaft, muss ich der Verlagslinie treu bleiben und ablehnen. Unser Fokus liegt auf zeitgenössischer bildender Kunst. Ich erlaube mir aber immer wieder, Projekte aus anderen Bereichen zu publizieren, die einfach gut sind, Freude bereiten und uns als Verlag unsere Zielgruppe erweitern lassen. Ein Beispiel ist das neue Magazin  „The Healthy Times“ von den Healthy Boy Band. Die erste Ausgabe war ein super Erfolg mit großem Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Und wir mögen die drei einfach!

„Bücherregale spiegeln die Persönlichkeit der Besitzer wider.“

Gibt es schon zu viele Kunstbücher auf dem Markt?

In den vergangenen Jahren wurde unfassbar viel publiziert. Das ist super für die Kunst und die Kunstschaffenden, für so ein großes Angebot gibt es aber leider zu wenig Nachfrage. Die Museen produzieren die aufwendigsten Kataloge und vertreiben sie im Grunde zu günstig. Der Herstellungspreis steht in keinem Verhältnis zum Verkaufspreis. Außerdem lesen wir heute anders. Wir konsumieren öfter digital, sind mobiler, ziehen häufiger um und haben weniger Platz. Da wird ein fünf Meter langes Bücherregal zum Problem. 

„Wir sind quasi ein Museumsshop mit breiterem Sortiment.“

Wie viele Meter Bücherschrank nennst Du Dein eigen?

Den größten Teil meiner Bücher habe ich schon vor etwa zehn Jahren zu meinen Eltern nach Bayern ausgelagert. So ist mein Regal in Wien sehr gut sortiert und überschaubar. Ich bin keine Sammlerin. Außerdem werden es mit jedem Umzug weniger Bücher – und ich bin oft umgezogen in den vergangenen Jahren. Ich denke, dass jede Bibliothek, ob groß oder klein, die Persönlichkeit des Besitzers widerspiegelt. Ich stöbere deshalb gerne in Bücherregalen oder Bibliotheken anderer Personen. 

Warum druckt Ihr Eure Bücher noch?

Als ich den Verlag 2014 übernommen habe, war Digitalisierung schon stark im Gespräch. Schlussendlich ist das Kunstbuch aber etwas sehr Traditionelles. Wissenschaftliche und theoretische Werke wandern zunehmend – und zu Recht – ins Digitale ab, aber Kreative aus den Bereichen Malerei, Bildhauerei und Fotografie wollen ihre Werke auch gedruckt und nicht nur digital zeigen. Für die digitale Präsentation nutzen sie ihre Websiten und ihre Instagram Accounts, diese Plattformen zu bedienen, ist heute sowieso Voraussetzung. Der Ausstellungsmarkt, die Kuratorinnen und Kuratoren sind zudem noch eher konservativ: Schön konzipierte, gut durchdachte und hochwertig produzierte Bücher besitzen immer noch einen hohen Stellenwert.

„Bitte keine Teddybären in Klimthosen!“

Kürzlich habt Ihr einen Concept Store im 4. Bezirk eröffnet. Wie läuft’s?

Begonnen hat alles im März 2020, als ich mit meinen Kollegen Florent Souly und Dajana Dorfmayr auf der Designmesse „Collectible“ in Brüssel war, um neue Produkte für unsere geplanten Events, also Design-, Buch- und Kunstmessen in London, San Francisco und Bad Gastein, zu recherchieren. Vor Ort beschlossen wir dann, eigene Produkte zu entwickeln. Noch während des ersten Lockdowns erfuhren wir von einem schönen, leer stehenden Geschäftslokal, das der Wiener Künstler Andreas Fogarasi gestaltet hatte und los ging es mit der Produktentwicklung und Übernahme des Shops. Nun gestalten Florent Souly, der als Architekt und Designer arbeitet, und Dajana Dorfmayr, die ursprünglich aus der Mode- und Kostümbranche kommt, die VfmK-Goods. Wir haben Seidentücher, Tischdecken, Handtücher, Carnets und vieles mehr entworfen und produzieren lassen. Oft mit langen Testphasen, damit die Produkte auch qualitativ hochwertig sind. Wir verkaufen aber auch Schmuck und schöne Dinge von anderen Designern. Vernissagen und Kooperationen sind ebenfalls geplant! Wir sind ein Buchverlag an der Schnittstelle zur Kunst.

Was ist das Konzept des Concept Stores?

Wir sind quasi ein Museumsshop mit breiterem Sortiment. Museen wie die Tate Modern in London und das Palais de Tokyo in Paris sind unsere Vorbilder, in Österreich besuche ich gerne den MAK Shop oder den der Kunsthalle. Wofür ich weniger Verständnis habe, sind Teddybären in Klimthosen. 

Wo kaufst Du selbst Bücher?

Ich meide Amazon, ich versuche es zumindest, was mir in den Lockdown-Phasen aber nicht immer gelungen ist. Aber bitte kauft Bücher direkt bei den lokalen Buchhändlern! Wo sonst wird man von einem schönen Cover oder spannenden Titel spontan begeistert oder entdeckt immer wieder etwas Neues!?

In diesem Sinne! Danke für das Gespräch!

www.vfmk.org
Silvia Jaklitsch (* 1977) studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Bamberg und Heidelberg. Nach Praktika beim Goethe-Institut in New York und im Badischen Kunstverein in Karlsruhe arbeitete sie für das Institut für moderne Kunst in Nürnberg und wurde bald mit der Leitung des dazugehörigen kleinen Verlags beauftragt. 2004, nach Abschluss ihrer Studien, übersiedelte sie nach Wien und arbeitete dort für die Designagentur Rosebud. Von Wien aus schuf sie Verbindungen zwischen dem Nürnberger Verlag für moderne Kunst und der österreichischen Kreativszene. Als der Mäzen des Verlags, Karl Gerhard Schmidt, sich 2014 aus dem aktiven Geschäft zurückzog, übernahm Jaklitsch den Kunstbuchverlag zur Gänze.
Der Verlag für moderne Kunst (VfmK) wurde 1974 gegründet. Es werden derzeit etwa 100 Bücher im Jahr publiziert. Im Verlag sind bis heute rund 800 Werkverzeichnisse, Monografien, Künstlerbücher, Ausstellungskataloge sowie Themen- und Theoriebände zur zeitgenössischen Kunst erschienen. 2014 übersiedelte der Hauptsitz des Verlages nach Wien und ist heute zum größten Teil im Besitz von Silvia Jaklitsch. Mitbesitzer sind außerdem Ralf Herms von der Agentur Rosebud und der derzeitige Direktor des Instituts für moderne Kunst Nürnberg, Manfred Rothenberger.

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