Die Stadtführerin

Wiener Glamour & Karl-Heinz Grassers Badehosen

Wir sprachen mit der Wiener Modejournalistin, Autorin und Herausgeberin Nicole Adler über coole Wienerinnen, Punk, über ihre Buchserie for women only, was sich in Wien grad Gutes tut, ihre wilden Zeiten als Modedesignerin und ihr Image als Glamourgirl, was für Adler „eh okay ist“, aber nicht ganz dem entspricht, was Sie in diesem Interview von ihr kennenlernen werden.

Antje Mayer-Salvi: Deine Städteguides für Wien, München, Berlin, Hamburg und bald auch Zürich (im Herbst 2017) heißen „for woman only“. Reisen Frauen anders?

Nicole Adler: Ich weiss eigentlich gar nicht, was Männer auf Reisen wollen, wahrscheinlich vor allem gut essen (lacht). Ich weiss aber, was Frauen interessiert: jedenfalls nicht nur Shopping, Wellness und Ausgehen, deswegen findet man in meinen Büchern sehr viel Tipps aus dem Kunst-, Kultur- und Designbereich. Meine Insiderinnen sind verschiedensten Alters und sind in verschiedensten Bereichen tätig. Manche sind bekannt, manche weniger. Mir war wichtig, dass jede Leserin sich irgendwie in ihnen wiederfindet. Es ist definitiv keine Buchserie nur für Touristinnen, sondern auch für Expatriates, Einheimische, die in ihrer Stadt Plätze entdecken wollen und Menschen kennenlernen wollen, von denen sie noch nicht gehört haben. Es richtet sich eher an schon gut informierte Frauen, die in die Tiefe gehen wollen.

Nach welchen Kriterien wählst Du Deine Protagonistinnen für Deine Bücher aus?

Ganz einfach: Es sind interessante Persönlichkeiten und Frauen, die in der Stadt etwas bewegen. Ich wähle sie mit meinen Autorinnen aus, und sie wechseln von Ausgabe zur Ausgabe. Das ist auch gut so. Die Städte wandeln sich ja auch. Es gibt in Wien so viele interessante Frauen im Kreativbereich, etwa ganz fantastische Musikerinnen, denken wir nur an Female Pressure und Electro Indigo, die Ihr ja auch schon in Eurem Magazine hattet. Es gibt fantastische Fotografinnen wie Irina Gavrich, Anais Horn, Esther Vörösmarty oder das Newcomer-Team Brick and Mortar. Was mich allerdings gerade erstaunt ist, wie männerdominiert die neue Austropop-Szene ist und wie machoid. Sie spielen natürlich auch mit dem Klischee.

„In Paris geht es um permanente Verführung ... in Wien um die eine Liebe.“

Vielleicht hat es noch nie jemand ausgesprochen, aber in Wien stellen überhaupt überproportional viele Frauen interessante, tolle neue Projekte auf die Beine. Jetzt ist die Frage, ob sie eher die Macherinnen sind, und das Geld dafür halten dann doch wieder nur die Männer in den Händen ...

Das stimmt, es gibt unglaublich viele Macherinnen, die in Wien etwas anschieben, teils auch mit guten Budgets ausgestattet. Ihr featured ja in Eurem Magazine auch vor allem Frauen ...

... das ist Zufall, aber es stimmt.

Viele Frauen sind vor allem in Kreativbereichen und Kulturinstitutionen in Toppositionen: Angelika Fitz im Architekturzentrum, Stella Rollig im Belvedere, Bettina Leidl im Kunsthaus, Karola Kraus im MUMOK, Sabine Haag im Kunsthistorischen Museum, Christina Steinbrecher Pfandt bei der Vienna Contemporary, um nur ein paar wenige zu nennen. Und das ist gut so. Die Galerieszene ist in Wien ja überhaupt seit über 40 Jahren vorwiegend in Frauenhand.

Und jetzt rücken langsam die jüngeren Frauen in die guten Positionen nach und das nicht erst kurz vor ihrer Pension, wie das im besten Falle früher der Fall war ...

... ja, die Anfang Dreißigjährigen geben ein ganz schönes Tempo vor (lacht).

Lernst Du durch Dein Buch selbst noch was über Wien?

Natürlich. Im Mode- und Designbereich kenne ich mich gut aus. Was gerade im Bereich Kunst in Wien passiert, finde ich super spannend. Kulinarik ist nicht so mein Steckenpferd, das hat mir meine Kulinarik-Autorin Alexandra Palla (von rough cut blog, Anm. d. Red) schon noch einiges beigebracht. Das Kapitel Nachtleben ist total jung, das hat Vice-Autorin Isabella Khom geschrieben. Das wird eine Vierzigjährige möglicherweise nicht ganz abholen. Aber haben eben viele meiner jungen Leserinnen.

„Was kann österreichische Mode am besten? Helmut Lang.“

Du nimmst Dich selbst ziemlich zurück und gibst vielen Frauen eine Plattform ...

Gerne doch. Ich bin die Herausgeberin und ich kuratiere das Buch, was ich nicht gut fände, würde keinen Platz finden. Die Produktion des Guides, mit all den unterschiedlichen Frauen und jungen Fotografinnen, ist für mich inspirierend und ein wunderbarer Prozess und eine großartige Plattform.

Jetzt machst Du das schon fünf Jahre für Wien. Wer würde es besser wissen als Du: Was hat sich in Wien in den vergangenen Jahren getan?

Ich würde sagen, am allermeisten hat sich in Wien im Bereich Kulinarik getan. Man kommt kaum nach. Jeden Monat poppt was Neues auf. Das hat ja schon Berliner Verhältnisse angenommen. Lingenhel in der Landstraße Hauptstrasse, eine Art Food Concept Store, genauso wie Marco Simonis im ersten Bezirk. Ein totaler Frauenladen mit all seinen netten Dingen. Man könnte in düsterster Laune sein, wenn man da rein geht, dann ist das die heile Welt. Alles so liebevoll ausgewählt und mondän, man könnte meinen in Paris oder London zu sitzen. Aber auch Lokalklassiker wie das Skopik & Lohn sind großartig. Das alles hat in dieser Form vor 15 Jahren in Wien nicht gegeben.

Zur Fashion. Es gibt aber schon Städte auf dieser Welt, in denen Mode mehr Spass macht als hier ...

Ja, klar. Aber es hat sich auch hier einiges getan. Das Goldene Quartier im ersten Bezirk, das sich zwischen den Lokalen Fabios und Schwarzen Kamel ausbreitet, wird von vielen kritisiert. Ich finde es gut. Das bringt doch ein bisschen Glamour in die Stadt. Solche Art Flagship-Stores gehören einfach zu einer internationalen Metropole. Wer es sich leisten mag und kann! Im besten Falle ziehen solche Geschäfte ein Klientel an, das auch in kleineren Geschäften sein Geld lässt. Diese Mischung aus Tradition a la Lobmeyr, Knize, Scheer, Altmann & Kühne und Demel, kreativer Szene und Chic a la Goldenes Quartier machen Wien zu Wien. Alles andere wäre provinziell.

„Im welchem Lokal begegnet man oft Menschen, die ... so tanzen, wie es sich viel zu wenige trauen? Im Marea Alta. Yeah!“

Du hattest ja selbst mal ein Modelabel!

Ja, Mitte der Achtziger Jahre, zehn Jahre lang, da waren wir wild und jung! Das Label hieß Machu Piccu. Wir waren ziemlich erfolgreich. Der österreichische Modedesigner Helmut Lang war da gerade am Abheben und generierte damit eine positive Stimmung für österreichisches Modedesign. Ich war vor unserer Gründung in London gewesen und sah den Store von Vivienne Westwood & Malcolm McLaren der damals auf der 430 Kingsroad / Worlds End war. Der schräge Boden, dazu McLaren und die Sex Pistols. Die Riesenuhr ist in die falsche Richtung gerast und da stand ich drinnen und ich dachte, das ist es irgendwie. Da habe ich Punk, auch wenn das natürlich schon die Ausläufer waren, kapiert und habe auch mit einem Schlag die gesellschaftliche Relevanz von Mode begriffen.

Du hattest keine Modeausbildung, oder?

Nein! Ich dachte mir damals, ich brauche keine Ausbildung, um Mode zu machen. Meine Partnerin Karin Hager und ich wollten es einfach ausprobieren. „Learning by doing“ – ziemlich naiv. Aber mit Vision.

Es lebe der Dilettantismus!

Ja, der lebe hoch. Aber ich kann auch sagen, wir haben den dann ziemlich verfeinert und professionalisiert (lacht). Wir waren gut unterwegs, hatten internationale Kunden und hingen dann letztlich auch irgendwann neben Vivienne Westwood. Nach zehn Jahren hatte ich aber dann das Label aufgegeben, weil wir zu schnell gewachsen waren und ich mit meinem klitzekleinen Team, das Volumen und auch die Finanzierung nicht mehr stemmen konnte. Ich hätte professionelle Marketing- und Businesspläne und einen Geldgeber gebraucht. Damit war ich damals überfordert und habe schließlich W.O. gegeben, unter anderem auch, weil sich der Vater meiner damals sechsjährigen Tochter Joya, das Leben genommen hatte. Eine sehr harte Phase meines Leben. Ich brauchte Zeit, um das alles zu verkraften und das Leben wieder aufzunehmen.

„Wien ist wie eine Wunderkammer!“

Das kann ich mir gut vorstellen, zumal mit einem kleinen Kind an der Seite. Du hast Dich damals wieder aufgerappelt und Dich weiter im Bereich Mode bewegt. Was sagst Du als Expertin? Ich finde manchmal die Mode heutzutage ziemlich „erwartbar“. Konnte man damals frecher und freier unterwegs sein?

Ja, konnte man, die Zeiten waren aber auch einfacher. Das Modesystem war damals spielerischer, freier, längst nicht so vom Kommerz und Markt bestimmt. Finanziellen Druck hatte man auch, aber man war in verschiedensten Kontexten eingebettet, sei es Musik oder Kunst. Es war eine tolle Zeit. Heute schaut Mode vermeintlich spielerisch und frei aus, sozusagen als Referenz auf das, was mal war, dahinter steckt aber Kalkulation und ein enormer Druck der großen Modekonzerne wie LVMH und oder der Kering Group auf ihre Designstars.

Ein paar international wirklich erfolgreiche Label kommen auch aus Wien. Petar Petrov zum Beispiel!

Ja, der ist unglaublich talentiert, präzise und professionell und hat von Österreich ein internationales Netzwerk aufgebaut, das seines Gleichen sucht. Perfekt aufgesetzt das Label. Toll. Es gibt niemand Vergleichbaren in Österreich, außer Arthur Arbesser vielleicht, aber der agierte von Anfang an von Mailand aus, hat länger bei Armani gearbeitet und ist ein unglaublich einnehmender, sympathischer Mensch. Es gibt aber auch andere Hoffnungsträgerinnen wie zum Beispiel Marina Hoermanseder in Berlin. Lena Hoschek ist natürlich in ihrem Neo-Vintagebereich eine kluge Selbstvermarkterin. Hat für mich aber nichts mit zeitgenössisch relevanter Mode zu tun.

Nach Deiner Labelgeschichte bist Du der Mode treu geblieben.

Genau, ich war dann lange Modechefin beim Magazin Diva ...

... als es noch cool war ...

... ich glaube, es war cool und ziemlich contemporary, auch wenn ich damals mit meinen Vorstellungen zuweilen gegen Mauern gerannt bin. Danach war ich ein paar Jahre bei Unit-f - büro für mode, das im Jahr 2000 Ulrike Tschabitzer-Handler (jetzt brand unit, Anm. d. Red.) und Andreas Bergbaur (jetzt Kommunikationschef bei Cavalli, Anm. d. Red.), gegründet hatten und nun als Austrian Fashion Agentur unter Camille Boyer und Marlene Agreiter neu aufgesetzt wurde. Und dann war ich sechseinhalb Jahre Modechefin beim Kurier – unter anderem mit einer Kolumne.

Warst Du beim Kurier nicht irgendwie auch ein Alien, als Tageszeitung ist der Kurier ja schon ziemlich Boulevard und konservativ ...

Definitiv. Ich kann mich erinnern, dass ich ein Interview mit dem Fotografen Juergen Teller gemacht hatte, als er in Wien in der Galerie König seine Zeitmagazin-Serie ausstellte und ich zeigte daraus ein Foto, auf dem Vivienne Westwood nackt auf der Couch liegt. Das war ein kleiner Skandal! Aber es hat Spaß gemacht, und ich wollte Mode in all ihren Formen und Ausprägungen zeigen. Anfänglich erwartet man von mir, dass ich über die Badehose von Karl Heinz Grasser schreibe. Das hatte ich verweigert. Mein Anspruch und meine Widerspenstigkeit haben mich schließlich „Kopf und Kragen“ und den Job gekostet.

Du bist ein Phänomen für mich, irgendwie bist Du so ein bisschen die Society Lady, das Glamour Girl, andererseits interessiert Dich Punk, das Alternative, feministische Themen, zeitgenössische Kunst, Du bist politisch interessiert und scheust Dich auch nicht vor klar formulierter Kritik. Wie passt das zusammen?

It’s all about attitude! Ich pendle gerne zwischen den Welten. Ich finde das ist kein Widerspruch. Als ich das erste Mal in der Kurier Redaktion aufkreuzte, kam ich in Jeans und Convers, und man war angesichts meines Aufzuges entsetzt. Meine Wurzeln sind die Fotografie, Mode und Design. Aber das Glamourgirl-Ding mag ich trotzdem. Mode ist ja dazu da, sich immer wieder neu zu erfinden. Das macht mir Spaß. Man entwickelt Präsenz, ohne dabei zuviel von sich preisgeben zu müssen. Man wird skeptisch beäugt und manchmal auch unterschätzt. Das ist nicht immer von Nachteil (lacht).

„Was ist das Besondere an der Wiener Heurigenkultur? Die Zeitspanne, die sich Wiener Gäste für einen Besuch ... nehmen.“

Kannst Du noch eine Leidenschaft für Mode aufbringen?

Sie lodert noch (lacht). Aber ich kaufe keine teuren Fashionstücke am laufenden Band. Ich habe kürzlich ein Interview mit der österreichischen Künstlerin und Fotografin Marina Faust gemacht, und die hat in über zwanzig Jahren ein grandioses Fotoarchiv mit allen Kollektionen von Martin Margiela aufgebaut. Das war so ein schöner Moment für mich, alle diese Stücke zu sehen, die so wahrhaftig waren, die in der Modegeschichte so viel verändert haben. Das Label Vetements zitiert jetzt bekanntlich seine Kollektionen fast eins zu eins. Wenn man aber diese Fotos sieht, weiß man, aus welchem anderen Geist das damals entstand.

Hortest Du Deine Kleiderstücke?

Teilweise hängen meine guten Stücke noch im Schrank, teilweise sind sie in Kisten verpackt, ich muss das mal alles aufarbeiten. Es gibt da das eine oder andere Martin Margiela-Stück oder was von Dries van Noten oder Helmut Lang. Die Teile trage ich nicht, die besitze ich.

Hast Du noch Stücke von Deinem Label Machu Piccu?

Ich habe mir genau ein Stück behalten, einen Mantel, sonst alles hergegeben. Völlig verrückt. Ich war damals so radikal. Aus und weg. Den Mantel habe ich übrigens im Herbst auf einer Modeschau bei der MQ-Fashionweek gezeigt. Danach haben mich die Leute angesprochen, ob ich den nicht nachmachen könne, weil er so cool sei. Das hat mich schon gefreut.

Ich habe gehört, Du warst damals Dein eigenes Fitting Model ...

Ja, wir konnten uns kein Fitting Model leisten, also war ich es. Als ich mit meiner Tochter Joya schwanger war, musste meine Mitarbeiterin ran, die war schlank, aber ziemlich klein. Bei der Anprobe für eine Modeschau in Mailand dann das große Erwachen: alles war an den großen Models mindestens zehn Zentimeter zu kurz. Oh, Gott, wenn ich nur daran denke!

Liebst Du Wellness?

Ich hasse Wellness Tempel. Ein Albtraum. Ich reise gerne, gar nicht unbedingt in Städte. Als meine Tochter klein war, sind wir mit dem Motorrad durch Indien getourt. Solche Sachen würde ich gerne wieder mehr machen. Mehr Hippie als Glamour sozusagen (lacht).

Ich danke Dir für das nette Gespräch.

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