Die Ordensschwester

Beistand von oben

Die dicken Wände des Klosters Kirchberg in Niederösterreich stammen aus vergangenen Jahrhunderten, doch nicht die Schwestern, die darin leben. Wir fragten eine, die es wissen muss: Ordensschwester und Psychotherapeutin Teresa Hieslmayr gibt unorthodoxe Antworten auf komplizierte Fragen. Was theologischer Umweltschutz bedeutet, wie Gott während der Corona-Krise helfen kann, und warum billiges Schweinefleisch Sünde ist.

„Die Erde ist ein Jammertal!“

David Meran: Was sind die Top Drei der blödesten Kloster-Klischees?

Teresa Hieslmayr: Dass man im Kloster immer nur sitzt und betet, dass wir Geld von der Kirche bekommen und verstaubt sowie aus dem vorigen Jahrhundert sind.

Fällt Ihnen im Kloster manchmal die Decke auf den Kopf?

Jetzt muss ich Sie gleich mal enttäuschen: Als Ordensfrau sitze ich nicht den ganzen Tag hinter dicken Mauern. Ich wohne zwar im Kloster Kirchberg am Wechsel, arbeite aber in zwei Häusern für psychisch kranke Menschen in Wien. Ich gehöre zur profanen Gruppe der Pendlerinnen. Von Montag bis Mittwoch bin ich in Wien, wohne dort in einem anderen Kloster, den Rest der Woche verbringe ich in Niederösterreich. Deshalb fällt mir auch nicht die Decke auf den Kopf, im Gegenteil, mir ist jeder Tag zu kurz. Ich habe das Gefühl, zu Corona-Zeiten sogar noch mehr. Meine Aufgabe der Seelsorge und Psychotherapie ist gerade dringender denn je.

Haben Sie einen Fernseher?

Nein, ich sehe nie fern. Wir haben ein TV-Gerät in der Gemeinschaft, meine Schwestern schauen schon, aber ich nicht.

„Schöpfungsverantwortung ist das theologische Wort für Umweltschutz.“

Sie sind auch Psychotherapeutin. Welche transzendenten Fragen wirft Corona bei Ihnen auf? Schütteln Sie oft den Kopf über diese absurde Welt da draußen?

Corona wirft natürlich auch bei mir viele Fragen auf. Letztlich sind es aber Fragen, die die normale Absurdität der Welt auch aufwirft, jetzt sind sie eben präsenter, weil die Leute mehr Zeit zum Nachdenken haben. Was soll das alles, wem dient das Virus, warum trifft es die einen und die anderen nicht? Solche Fragen stelle ich mir persönlich nicht öfter als sonst, aber sie werden derzeit vermehrt an mich herangetragen. Im Ordensleben macht man sich über diese Dinge sowieso immer Gedanken. Gerade in der Psychotherapie, aber auch in der geistlichen Begleitung sind sie hochpräsent, es geht viel um das Eingemachte: Wie schaffe ich es, das nächste Monat finanziell zu überstehen? Hier schwingt die existenzielle Frage mit: Alles oder nichts? Das ist emotional spürbar.

Was bedeutet Schöpfungsverantwortung?

Es ist das theologische Wort für Umweltschutz (lacht). Es bedeutet respektvoller und ehrfurchtsvoller Umgang mit der Natur und mit dem Leben. Da spielt das Corona-Virus den Klima- und Umweltaktivistinnen aktuell leider in die Hände.

Nach dem Prinzip der Schöpfungsverantwortung – reisen wir zu oft, konsumieren und kaufen wir zu viel?

Definitiv. Ich schimpfe meinen Arbeitskollegen immer, wenn er mit einem Coffee-to-go-Becher kommt. Es geht einfach nicht, dass im Supermarkt ein paar Stücke Ananas in Plastik verpackt angeboten werden! Ein Kilogramm Schweinefleisch um vier Euro zu verkaufen ist eine Sünde! Kein Biofleisch zu kaufen ist aus meiner Sicht ethisch nicht vertretbar. Eine Wertschätzung gegenüber der Natur und den Tieren ist uns im Kloster seit ewigen Zeiten sehr wichtig. Hoffentlich kommen die Leute jetzt drauf, dass Shopping ein unzureichendes Vergnügen ist – es erzeugt keine wirkliche innerliche Befriedigung, Shopping ist kein Hobby!  Ich demonstrierte auch bei den „Fridays for Future“ mit, weil mir das ein großes theologisches Anliegen war. Wenn man ein gläubiger Mensch ist, kommt man an dem Thema nicht vorbei.

„Shopping ist kein Hobby.“

Wie kann Gott in dieser Zeit helfen?

Ich frage mich immer: „Wie tun Menschen ohne Gott?“ Aber was meinen wir überhaupt, wenn wir von Gott sprechen? Für mich ist Gott die letzte, höchste Instanz – die das absolut Gute und Gerechte will. Wenn ich glauben kann, dass letztlich alles gut und gerecht wird, dann tue ich mir jetzt leichter. Oft zitiere ich den Spruch: „Am Ende wird alles gut, und wenn noch nicht alles gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Das heißt auch, wenn ich es noch nicht weiß, weiß es der Herrgott – oder die letzte Instanz.

Ihre Theorie klingt einerseits tröstlich, aber auch hart – ich persönlich kann in der Krise nichts Gerechtes erkennen, auch wenn es noch kommen mag ...

Ja natürlich, das Leben ist hart. Die Kirche hat früher gesagt, und alle lachen heute darüber: „Die Erde ist ein Jammertal.“ Das traut sich heute niemand mehr zu sagen, aber de facto ist das Leben für ganz viele Leute sehr, sehr hart. Wir sind in der westlichen Welt großteils auf der Butterseite des Lebens gelandet, dennoch jede Existenz hat ihre Härte, egal wo – da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Genau da setzt der Glaube an und hilft, die Härte des Seins gemeinsam als Community auszuhalten und sich gegenseitig zu helfen.

„Ich demonstrierte auch bei den ,Fridays for Future‘ mit!“

Sind Sie auf Social Media?

Das ist so eine leidige Frage! Nein, ich war zwar mal auf Facebook, aber hatte keine Zeit dafür. Ich bevorzuge dann doch den Face-to-Face-Kontakt. Ich bin zuständig für die Homepage des Klosters, da ist auch Facebook noch eine offene Frage. Aber in der Krise ist es absolut wichtig, alle Kommunikationsmittel zu nützen! Gerade Videotelefonie ist wichtig, weil man das Gegenüber zumindest am Bildschirm sieht. Man kann auch Stammtische auf Skype verlegen – funktioniert!

Hat sich durch Corona der Alltag im Kloster verändert?

Die äußere Tagesstruktur hat sich gar nicht geändert. Wir haben unsere Gebetszeiten, wir essen gemeinsam, mit großem Sicherheitsabstand natürlich. Im Kloster befinden sich große, weite Gänge und große Zimmer. Auch in der Kapelle sitze ich weit von meinen Mitschwestern entfernt. Wie so viele andere trifft uns die Krise auch finanziell. Unsere Haupteinnahmen erwirtschaften wir durch unser Gästehaus im Kloster, das momentan natürlich geschlossen ist. Für meine Mitschwestern fällt damit Arbeit weg, also die Koordination der Reservierungen, das Kochen und das Putzen. Wir arbeiten ja alle im Kloster und müssen klug wirtschaften, um unsere Rechnungen zahlen zu können – noch geht es. Wir hoffen, im Sommer wieder aufsperren zu können. Emotional schmerzt es mich, dass keine Leute kommen und wir keine Besuche abhalten dürfen, daher telefonieren, skypen und schreiben wir viel.

Wie lebt man im Orden der Dominikanerinnen? Was darf man und was nicht?

Diese Frage habe ich mir im Kloster noch nie gestellt. Der Tag beginnt morgens mit Meditation und Gebet, dann wird gefrühstückt und gearbeitet. Danach gibt es Mittagessen, Mittagsgebet, nachmittags wird wieder gearbeitet. Am Abend Meditation, Gebet und Abendessen – alles sehr simpel. Was ich nicht darf, wäre vermutlich teuren Schmuck kaufen oder eine Luxusreise auf die Malediven antreten, aber das verbietet sich sowieso aufgrund der Schöpfungsverantwortung.

„Mein Ordenskleid ist extrem unpraktisch.“

Darf man sich als Schwester Luxusartikel wie Parfum leisten?

Ich glaube schon. Wir bekommen witzigerweise viele Kosmetikprodukte geschenkt. Was ich schon alles an Cremes bekommen habe! Ich verschenke alles, weil ich das nicht brauche (lacht). Aber wir dürfen es besitzen.

Haben Sie ständig Ihr Ordensgewand an?

Nein, gar nicht. Es ist in jeder Gemeinschaft anders, ich trage es nur bei liturgischen, feierlichen Anlässen. Beim Arbeiten im Garten etwa wäre unser weißes Ordenskleid extrem unpraktisch.

Ihr Orden hat drei Versprechen: Armut – Ehelosigkeit – Gehorsam. Die klingen im ersten Moment für mich nicht besonders ansprechend. Warum haben Sie sich als junge Frau entschieden, in einen Orden einzutreten? Man muss dafür auf vieles im Leben verzichten: Kinder, Familie und Sexualität.

Eingetreten bin ich mit ungefähr 30 Jahren, definitiv aber nicht wegen der drei Gelübde (lacht). Diese drei Versprechen gelten übrigens für alle Orden. Wir sind gerade dabei, neue Begrifflichkeiten dafür zu finden, weil sie einfach so nicht mehr stimmen. Wir sind nicht arm. Bei Armut denkt man vielleicht an Afrika, aber wir sind sicherlich kein armes Kloster. Unter Ehelosigkeit können sich die meisten etwas vorstellen, und zu „Gehorsam“ würde man heute vielleicht „Achtsamkeit“ sagen.

Vor meinem Einritt verbrachte ich immer wieder einige Tage im Kloster. Ich merkte, wie mir die Struktur half, Gott nahe zu sein. Diese enge Gottesbeziehung ist bis heute der größte Schatz in meinem Leben. Als ich eingetreten bin, wollte ich diese Beziehung hegen und pflegen, auch vermehren – biblisch gesprochen. Das war mein wichtigster Beweggrund.

„Die enge Gottesbeziehung ist bis heute der größte Schatz in meinem Leben.“

Lässt sich eine Gottesbeziehung nicht mit einer menschlichen Beziehung kombinieren? Wieso kann man keine Familie im Orden haben?

Die Geschichte hat gezeigt, Familienorden in Klöstern funktionieren einfach nicht. Wenn solche Gemeinschaften über Generationen hinweg Bestand haben sollen, braucht es eine volle Konzentration auf Gott. Ich glaube auch nicht, dass es klappt, wenn Weiblein und Männlein zusammenleben – der Mensch ist so gestrickt und verliebt sich schnell. Das ergibt keine gute Gruppendynamik.

Natürlich gebe ich Familie, Sexualität und einen Ehepartner auf – das sind Dinge, die fallen für mich flach. Ich frage mich immer, zahlt es sich aus, dies alles aufzugeben, für das, was ich gewinne? Dieser „Saldo“ muss positiv ausfallen, sonst wird’s problematisch. Im Schnitt muss die „Jahresbilanz“ für eine persönlich passen. Diese kann sich auch ändern, darum begrüße ich das Prinzip des „Klosters auf Zeit“ oder das des „Freiwilligen Ordensjahres“ sehr – man lebt eine bestimmte Zeit im Kloster und überprüft immer wieder die „Bilanz“.

Schwesternschaft heißt im Englischen „Sisterhood“ – dieser Begriff wird oft im feministischen Zusammenhang verwendet. Sind Sie Feministin?

Ich werde immer mehr zur Feministin, weil mir die männliche Sprache in der Kirche sehr auf die Nerven geht. Natürlich auch die männlichen Strukturen in der Kirche, das ist ein Wahnsinn. Wir Ordensschwestern haben eine gewisse Freiheit, wir gestalten unsere Gebete selbst und brauchen keinen männlichen Priester, der vorne steht. Wenn ein Priester ins Haus kommt, geben wir lieber den Ton an. Ich sage immer: Frauen-Power!

„Ich sage immer: Frauen-Power!“

Sind in Ihrer Klostergemeinschaft alle derselben Meinung, zum Beispiel in der Frauenfrage der Kirche? Welche Konflikte gibt es im Kloster?

Bezüglich der Frauenfrage sind wir uns in der Gemeinschaft grundsätzlich einig. Die Konflikte sind die gleichen wie in jeder Familie, es geht um Aufräumen, Kochen und solche Dinge. Am meisten streiten wir rund um das Thema Küche!

Was nervt am Kloster?

Unsere Gänge sind groß und kalt, das nervt – vor allem, wenn man verkühlt ist. Manchmal nerven auch die Mitschwestern, das ist eh klar (lacht).

Liegt Ihnen noch etwas am Herzen, das Sie unseren Leserinnen mitteilen wollen?

Ja. Die Zeit mit Corona fordert uns auf, aktiv zu werden! Man kann sich fragen: Was braucht es jetzt? Was ist mein Auftrag in dieser Krise? Welche Handlungen würden der Welt gut tun? Informiert zu sein ist wichtig, aber ich muss nicht jede Statistik stundenlang studieren. Das dient niemandem. Besser ist, ich rufe jemanden an, der nie angerufen wird. Einfach ausprobieren, wahrnehmen, wenn es sich cool anfühlt, dann wieder tun!

„Wenn es sich cool anfühlt, dann wieder tun!“

Wir sollen also alle sinnstiftend und positiv agieren?

Wir haben alle einen Auftrag, theologisch sagt man dazu „Berufung“. Diesen zu erfüllen ist wesentlich besser, als nur immer um sich selbst zu kreisen. Man könnte sich viel an Psychotherapie ersparen, wenn man einfach sinnstiftend seinen Job macht.

Liebe Schwester Teresa, vielen Dank für das Gespräch.

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