Der Transformer

Schillernde Raves als Widerstand

Der österreichische Künstler Mario Kiesenhofer (*1984) beschäftigt sich in seiner Soloausstellung Treasure im Kunstforum Wien (bis 14. Jänner 2024) mit der Gay- und Queer-Community in Osteuropa, die dort nicht zuletzt von der Politik und Kirche massiv stigmatisiert und diskriminiert wird. Die aktuellen Wahlen in Polen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das allerdings nicht mehr länger gutheißt. Wir sprachen mit Kiesenhofer über die Widerstandsbewegung und schillernde Clubszene in Polen.

„Ich bin ein Clubscheinwerfer.“

David Meran: Deine künstlerischen Themen kreisen um Queerness, queere Räume, Safe Spaces ...

Mario Kiesenhofer: ... und deren Sichtbarmachung! Im Kunstraum „tresor“ des Kunstforum Wien zeige ich neue Foto-, Text- und Videoarbeiten zu diversen elektronischen Musikszenen in Osteuropa, mit einem Fokus auf Warschau. Viele Menschen sind aufgrund des Krieges in der Ukraine dorthin geflohen, eben auch viele queere Personen wie DJs, Drag- und Voguing-Performer*innen. Queere Raves bieten ihnen eine Plattform für ihren Widerstand gegen die schwierigen gesellschaftspolitischen Verhältnisse. Das alles verarbeite ich in der Ausstellung.

Was interessiert Dich an der LGBTQIA+-Community in Polen?

Ich habe im Vorfeld viel zu ihr recherchiert, um schließlich meine Fotokamera und Koffer zu packen und mich nach Warschau aufzumachen. Das war zu Beginn dieses Jahres. Bereits 2019 wurden in Polen die sogenannte „LGBT-freien Zonen“ deklariert, mit dem Ziel, queere Menschen zu stigmatisieren und vom öffentlichen Leben auszuschließen.

Auf welche Überraschungen in Osteuropa bist Du gestoßen?

Was mich aufgrund der vielen negativen Berichterstattung verblüfft hat, war, welch ein in die Zukunft denkendes Land Polen sein kann, zum Beispiel, wie digitalisiert es ist. Da leben wir in Wien im Vergleich hinterm Mond. In Sachen Menschenrechte klebt das Land jedoch in der Vergangenheit fest.

„Auf Eierschalen gehen“

Wie steht es um die Rechte der LGBTQIA+-Szene in Polen?

Schlecht steht es um sie. Man spürt, wie wenig im öffentlichen Raum möglich ist, kaum Händchenhalten, keine Berührungen. Die Pride in Warschau kann man mit der in Wien nicht vergleichen. Alles ist überorganisiert, kontrolliert und verläuft in geregelten Bahnen – die Beteiligten räumen beispielsweise sofort den Müll weg, während sie marschieren, weil sonst die Rechten dieses vermeintliche Fehlverhalten sofort gegen die Szene instrumentalisieren würden. Eine Pride auf Eierschalen also! Diese Umstände fordern und fördern aber auch den Aktivismus vieler Queers, auch oder gerade, weil sie bereits mehrfach mit Tränengas besprüht, verhaftet oder von der Polizei eingeschüchtert wurden.

Wie ist es Dir gelungen, Dokumentator, aber nicht Voyeur zu sein?

Licht ist ein wesentliches Element meiner Arbeiten. Die Fotos sind ja nicht gestellt, sondern in Clubs aufgenommen worden. Ich verwende farbige Kamerafilter und einen Blitzaufsatz, um das Licht zu bündeln. Ich bin wie ein Clubscheinwerfer, der ausgesuchte Szenen beleuchtet, kein aufdringlicher Partyfotograf. Für mich ist das Sichtbarmachen ein wichtiges Thema meiner Kunst, sie wohnt der Fotografie ja per se inne, gleichzeitig versuche ich immer, die Fragilität einer Szene zu bewahren.

„Treasure oder trash?“

Deine Ausstellung findet im ehemaligen Tresorraum der Bank statt. Welche Emotionen oder Gedanken würdest Du selbst verschließen wollen?

Die möchte ich Euch lieber nicht erzählen, die will ich ja verschließen (lacht). Mit meiner Ausstellung „Treasure“ im „tresor“ reagiere ich auch auf den Raum. Was wurde dort früher verwahrt? Wer bestimmt den Wert von Dingen und Individuen? Der Raum zeichnet ein Spannungsfeld zwischen wertvoll und wertlos. Der Ausstellungstitel „Treasure“ bezieht sich auf das englische Wort für Schatz, er ruft auch phonetische Assoziationen mit „trash“, also Müll, hervor. Auch der Begriff „queer“ war ursprünglich negativ behaftet, bedeutete sowas wie gefälscht, sonderbar oder eigenartig. Die queere Szene hat den Begriff reklamiert, also sich neu zurechtgelegt und in etwas Positives umgekehrt! Dieses Konzept der Umkehrung, der Transformation, interessiert mich ungemein.

Der französische Autor Didier Eribon schrieb 1999 sein bekanntes Buch „Betrachtungen zur Schwulenfrage“. Kurz gesagt geht es darin um die Analyse der Bildung von Minderheitenidentitäten, an deren Anfang laut Eribon immer die Beleidigung steht. Er behandelt die Macht der Sprache, die Verletzung durch Worte und die damit verbundene Stigmatisierung. Was sagst Du, hat sich seitdem etwas geändert? Ist es 2023 besser geworden?

Es ist heute immer noch genauso, und viele Fragen seines Buches sind daher nach wie vor aktuell. Beleidigungen schreiben sich in den Körper ein, deshalb auch mein Versuch, die Begriffe umzukehren. Durch Aktivismus, Courage und Selbstbewusstsein können wir etwas verändern.

„Unter Wasser“

Wie sieht Dein persönlicher Safe Space aus?

Wenn ich unter Wasser bin! Für viele Menschen ist es dort sicherlich unheimlich, aber der Perspektivenwechsel und die Veränderung meiner Wahrnehmung – man hört und sieht wenig – ist für mich faszinierend und gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Ich denke viel über den Begriff des Safe Space nach: Es sind Räume, die wir einerseits kreieren, um geschützt zu sein, in denen aber andererseits auch ungeschützte Dinge passieren.

Neben Deinen fotografischen Arbeiten zeigst Du auch immer wieder Typografisches. Was hat es damit auf sich?

Ich verwende Texte und Typografie deshalb, weil sie kommunizieren, was das Bild nicht immer zur Gänze vermag. In meiner fotografischen Serie „Indoor“ etwa beleuchte ich „Gay Cruising Clubs“ mit meiner Kamera. Den Besitzer eines Clubs in Warschau, Damian, porträtierte ich. Er hatte ein blaues Auge von einem Angriff von jungen Rechten davongetragen, die seinen Club gestürmt hatten. In einer Ausstellung zeigte ich dieses Foto, an der gegenüberliegenden Wand platzierte ich den Schriftzug „This place should burn!“. Eine Drohung, die sein Team erhalten hatte. Das Porträt bekommt dadurch eine tiefere, politischere Ebene.

„This place should burn!“

Mittlerweile gibt es sogar ein deutsches Format der erfolgreichen amerikanischen Castingshow „RuPaul's Drag Race”. Drag ist zu kommerzialisiertem Mainstream mutiert. Findest Du das gut?

Dragshows sind fest in der queeren Kultur verankert und „queer“ ist ein Alltagsbegriff geworden, den man nicht mehr so schnell verdrängen können wird. Auch die Kommerzialisierung von Queerness ist in meiner Ausstellung präsent. Im „tresor" prangt der riesige Schriftzug „Treasure“ wie ein Logo an der Wand, der diese Kommerzialisierung thematisiert. Gleichzeitig habe ich zwischen den Buchstaben Ketten angebracht, die den Zusammenhalt und die Vernetzung innerhalb der queeren Szenen unterstreichen. Auf meinen Reisen durch Osteuropa sind mir Missverhältnisse zwischen der politischen und kommerziellen Seite aufgefallen. In Warschau entdeckte ich eine riesige Werbekampagne des Textilriesen H&M, für die hippe und queere Leute eingeladen und gecastet wurden. Gleichzeitig spürt man aber auch den Hass gegen queere Menschen auf den Straßen und vonseiten der Politik.

Partys, seien sie noch so „woke“, sind doch immer auch Orte der Exklusion: Wer darf rein? Wer ist cool genug angezogen, um mitzufeiern zu dürfen?

Ich bin selbst schon wegen eines Missverständnisses aus dem Club Berghain in Berlin rausgeflogen – diese ausschließende Aggression solcher Orte interessiert mich in meiner Arbeit überhaupt nicht. Die Partys, die ich besucht und porträtiert habe, waren mehr als nur klassische Rave-Partys. Sie sind wie queere Vernetzungstreffen mit entsprechendem Programm und Einladungspolitik.

Gibt es solche Clubs auch im Wien?

Da fällt mir eigentlich nur Hyperreality ein. Das ist ein sehr sorgfältig kuratiertes Wiener Festival für Club-Kultur. Eines der Porträts meiner neuen Serie ist auch dort entstanden. Wien hat derzeit aber eher mit negativen Berichten zu Übergriffen in der Clubszene zu kämpfen. Bei den Partys, die ich auf meinen Reisen besucht habe, gibt es oft sogenannte „Awareness-Teams“ vor Ort, die gehen durch den Club und schauen, ob alle friedlich miteinander umgehen. Teilweise gibt es Telefonnummern, die man anrufen kann, wenn man belästigt wurde, oder es zu einem Vorfall gekommen ist. Natürlich funktioniert das auch nicht immer, aber diese Konzepte eröffnen einen neuen Raum des gemeinsamen Seins und Feierns. Ich wurde mit meiner Kamera unglaublich offen begrüßt und aufgenommen. In Warschau gibt es beispielsweise eine Party des aktivistischen DJ-Kollektivs „Ciężki Brokat“, das heißt auf Englisch „Heavy Glitter“. Sie versuchen, Partys für alle Menschen sicherer zu kuratieren, um diverse Geschlechtsidentitäten oder unterschiedliche Herkünfte zu pushen. Anders als bei uns in Österreich agieren diese Kollektive auch aus einer menschenrechtlichen Not heraus.

„Frau Weidel möchte ich nichts, genau gar nichts ausrichten.“

Kürzlich bezeichnete sich die deutsche AfD-Politikerin Alice Weidel als „nicht queer“, obwohl sie seit zwanzig Jahren mit einer Frau eine Beziehung führt. Was würdest Du Frau Weidel gerne ausrichten?

Diese konservativen und rechtspopulistischen Strömungen gibt es leider weltweit und sie haben alle dieselbe Strategie. Auch wenn es vielleicht nicht mehr ganz so salonfähig ist, uns Queeren öffentlich zu verunglimpfen, so kommen sie damit, dass sie ihre Kinder vor uns schützen müssten. Vor allem auch der konservative Einfluss der katholischen Kirche ist in Polen stark spürbar. Queerness ist ein leicht zu instrumentalisierendes Thema. Frau Weidel möchte ich nichts, genau gar nichts ausrichten.

Danke für das Gespräch!

Die Ausstellung im „tresor“ im Kunstforum Wien ist bis 14. Jänner 2024 zu sehen.

Mario Kiesenhofer wurde 1984 in Freistadt, Österreich geboren. Er lebt und arbeitet in Wien. Er hat Fotografie und Videokunst bei Matthias Herrmann und Dorit Margreiter an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert. Seine Arbeiten werden in internationalen und nationalen Galerien, Museen und Kunsträumen gezeigt. 

(dp)