Der Sexwork-Lobbyist

Sex sells

Wussten Sie, dass es im Byzantinischen Reich nur den Priviligierten vorbehalten war, den eigenen Körper für Sex zu verkaufen? Wie sich die Zeiten ändern! Trajche Janushev veranstaltete diesen September gemeinsam mit anderen Aktivistinnen die Konferenz Red Rules Vienna, für, von und mit Sexarbeiterinnen. Wir sprechen mit ihm über einen Beruf, den es offiziell eigentlich nicht gibt.

„Ist Sexarbeit Arbeit?“

Lara Ritter: Wenn es um das Thema Sexarbeit geht, kochen die Emotionen hoch! Feministinnen wie Alice Schwarzer fordern ein Verbot, andere das Recht seinen Körper rechtlich abgesichert anbieten zu können. Wieso ist die öffentliche Debatte so polarisiert?

Trajche Janushev: Die meisten Menschen sind nicht einmal bereit, über Sex zu sprechen, der hat im Schlafzimmer zu bleiben. Hängt man an das Wort Sex das Wort Arbeit, werden die Tabus noch größer. Blicken wir in die Geschichte zurück, war das mal ganz anders. Dokumente aus der Zeit des Byzantinischen Reichs belegen etwa, dass man damals ganz offen mit Sexarbeit umging. Nur den Kindern reicher Familien, der High Society, war es damals erlaubt diese Arbeit auszuüben. Sie war nicht schambehaftet, sondern ein Statussysmbol. Mit zunehmendem Einfluss des Christentums änderte sich das und Sexualität wurde immer mehr stigmatisiert. Wir leben in einem patriarchalen, chauvinistischen System und wie mit Sexarbeit umgegangen wird, liegt darin begründet. 

Gegnerinnen von Sexarbeit argumentieren, diese werde vor allem von Frauen ausgeübt und es sei patriarchal, dass Männer Zugriff auf weibliche Körper hätten?

In Bezug auf Sexarbeit nur von Frauen zu sprechen und diese in eine Opferrolle zu drängen, ist das, was sexistisch ist. Einer solchen Behauptung kann ich Studienergebnisse aus verschiedenen Ländern entgegenstellen, die zeigen, dass die Community divers ist und aus vielen verschiedenen Personengruppen besteht, darunter Männer und genderqueeren Personen, und nicht nur aus Frauen. 

Spießt es sich an der Moral? Seinen Körper zu verkaufen, ist ein ziemlich unerhörter kapitalistischer Akt?

Ich finde das ist ein unsinniges Argument, denn im Kapitalismus müssen wir alle arbeiten, um unser Geld zu verdienen – zu behaupten, Sexworker würden daran scheitern, ihren Unterhalt auf eine andere Art und Weise zu verdienen, ist falsch. Sie sind keine Opfer! Für einige hat der Job auch etwas empowerndes, vielen schwulen Sexworkern etwa, die in ihrem Alltag wegen ihrer Sexualität Diskriminierung erleben, gibt dieser Job ein gutes, selbstermächtigendes Gefühl. Trotzdem wird diese Berufsgruppe häufig paternalisiert, ihr wird nicht zugetraut, dass sie sich selbst für ihre Rechte einsetzen kann. Dabei sind Sexarbeiterinnen auf regionaler und internationaler Ebene gut organisiert, haben weltweite Netzwerke und kommunizieren untereinander.

„Sexarbeiterinnen sind keine Opfer!“

Ist Sexarbeit Arbeit?

Sexarbeit wurde in Österreich vor Jahren legalisiert, per Gesetz ist sie damit aber nicht als Arbeit definiert, sondern nur als eine – unter strengen Auflagen erlaubte – Aktivität. Sie fällt also nach wie vor nicht unters Arbeitsrecht, was etwa bedeutet, dass sich Sexworker bei der Polizei registrieren müssen und kein Recht auf Arbeitslosengeld haben. Wir setzen uns gegen diese Kriminalisierung von Sexarbeit ein, dafür, dass auch Sexworker unters Arbeitsrecht fallen und nicht mehr so stark eingeschränkt werden. Es kann nicht sein, dass sie so viele rechtliche Pflichten haben und gleichzeitig vom Sozialsystem ausgeschlossen werden.

Was passiert eigentlich, wenn Sexarbeiterinnen ihren alle sechs Wochen verpflichtenden Gesundheitscheck nicht vorweisen?

Sie können von der Polizei verhaftet werden. Diese Kontrolle des Körpers durch den Staat stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar und ist nicht gerechtfertigt. Wenn der Staat Sexworker wirklich unterstützen möchte, dann sollte er sie nicht zu Gesundheitschecks zwingen, sondern ihnen einen einfachen Zugang zu medizinischer Versorgung gewähren und sie über ihre reproduktive Gesundheit aufklären. Das könnte mit Hilfe von Sozialarbeitern passieren, die an Orten, wo Sex angeboten wird, Folder verteilen, in denen zum Beispiel über HIV und andere Geschlechtskrankheiten aufgeklärt wird.

Was sind denn die größten Risiken für Sexarbeiterinnen?

Sexworker arbeiten oft nachts, oft an dunklen Orten und anonym, weil viele wegen der vielen Stigmata ihren Job ihren Verwandten und Freunden verheimlichen, noch dazu dürfen sie per Gesetz nicht mit anderen zusammenarbeiten – das führt dazu, dass sie verletzlicher sind und es häufiger zu Morden und Gewaltverbrechen in diesem Beruf kommt. Die Mauer der Scham, von der sie 24/7 umgeben sind und der Druck, dem sie durch Kontrollen ausgesetzt sind, erhöhen das Risiko.

„Der Großteil der Sexworkerinnen hat migrantischen Hintergrund.“

Du setzt Dich als Aktivist seit über zehn Jahren für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein und hast den Verein Red Edition gegründet, in dem sich diese vernetzen können. Diesen September fand an vier Tagen zum ersten Mal die Red Rules Vienna Conference statt. Wie kam es dazu?

Ich griff früher immer auf sehr klassische aktivistische Mittel zurück, organisierte Demonstrationen, startete Petitionen und traf Politiker. Meine Ziele sind immer noch dieselben, meine Mittel diesmal anders. Mit Projekten wie der Performance „City of Whores“, die auf dem Festival zu sehen sein wird, lassen sich hoffentlich mehr Menschen erreichen. Die Show wurde gemeinsam von Sexworkern und Kunstschaffenden entwickelt und wird auch gemeinsam von ihnen aufgeführt. Ich finde es wichtig, dass Sexworker ihre Geschichte selbst erzählen. 

Wieso setzt Du Dich als studierter Kultur- und Sozialanthropologe für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein?

Alles begann, als wir in einem Seminar ein Interview mit einer bekannten Anthropologin aus den USA ansahen, die auch als Sexarbeiterin tätig war – das faszinierte mich total! Es verdienten damals auch viele meiner Freunde neben dem Studium ihr Geld mit Sexarbeit. Ich fing an, mich ausgiebiger mit dem Thema zu beschäftigen und freiwillig für eine mazedonische Organisation zu arbeiten, die Sexworker unterstützt. Ich wollte unbedingt Teil dieser Community sein, es zog mich da viel stärker hin als zum Beispiel zur Schwulencommunity. 

Was treibt Dich heute an?

In den vergangenen zehn Jahren habe ich viel Erfahrung und Wissen gesammelt und kann dadurch viel fundiertere politische Forderungen stellen. Ich will eine Diskussion über die Arbeitsrechte von Sexworkern in Gang bringen und kämpfe gegen eine Tabuisierung des Themas. Wenn es etwas gibt, das ich während meiner Zeit auf dieser Erde noch erleben will, dann dass Sexworker die Rechte erhalten, die ihnen zustehen. 

„Wir wollen Rechte, keine Rettung.“

Gibt es die berüchtigten Zuhälterinnen immer noch, haben sie wirklich so viel Macht?

Das Bordell mit einem Zuhälter, der seine Sexworker unterdrückt und von ihnen profitiert, ist in der öffentlichen Wahrnehmung DAS Symbol für Sexarbeit. Wir setzen uns eben dafür ein, dass sie die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeit selbst zu organisieren. Es ist im Moment rechtlich leider nicht erlaubt, an einem privaten Ort zu arbeiten, sondern nur in zugelassenen Etablissements. In einem Bordell zu arbeiten, kann aber eine bewußte Entscheidung sein, die damit zu tun haben kann, dass man sich nicht um die administrative Arbeit kümmern möchte, ein Management hat, das sich um Komplikationen mit Kundinnen kümmert, Räume bereitstellt und Termine vereinbart.

Seit 2011 ist Straßenprostitution in Wien verboten und nur noch in zwei Straßen erlaubt, nämlich der Einzingergasse in Floridsdorf und der Brunner Straße in Liesing. Was bedeutet das für Street Workerinnen?

Sie sind dort weniger sicher, weil es am Stadtrand im Notfall keine Krankenhäuser oder Polizeistationen gibt und sie ihre Services aufgrund eines Mangels an Apartments oft in Autos oder Kombis anbieten müssen. Sie sind gezwungen, sich selbst um ihre Sicherheit zu kümmern und untereinander Wissen auszutauschen über gute und schlechte Arbeitsplätze, Klientinnen und Managements. Innerhalb der Community ist man füreinander da, arbeitet manchmal zwecks Sicherheit auch zusammen oder tauscht Nummern aus, um einander im Notfall alarmieren zu können. 

Wie groß ist das Problem des Menschenhandels in der Sexwork-Industrie?

Menschenhandel ist eine Straftat, die viele Branchen betrifft und immer strafrechtlich verfolgt werden sollte. Der Grund für Menschenhandel ist nicht Sexarbeit, sondern der Kapitalismus und eine Welt, in der wir alles kaufen und verkaufen können. In vielen Ländern, in denen Armut herrscht, träumen die Menschen von einem besseren Leben und werden deswegen leicht Opfer von Menschenhandel. Wenn wir von Sexarbeit, Sexarbeitprojekten und unserem Verein Red Edition sprechen, meinen wir Personen, die diese Arbeit aus freiem Willen gewählt haben. Wir wollen Rechte, keine Rettung. 

Vielen Dank für das Interview!

rededition.wordpress.com
Trajche Janushev ist Mitbegründer des Vereins Red Edition, einem Netzwerk von und für Sexarbeiterinnen mit migrantischem Hintergrund. Der gebürtige Mazedonier lebt seit 2015 in Wien. Das von ihm mitveranstaltete Festival Red Rules Vienna findet dieses Jahr zum ersten Mal in Wien statt.
Die Konferenz Red Rules Vienna wird von Sexarbeiterinnen selbst organisiert. Im Mittelpunkt stehen der Wissenstransfer und Strategien für gemeinsames politisches Handeln. Ziel der Veranstalterinnen ist es, „zu sensibilisieren, um bestehende Mythen und Vorurteile über Sexarbeit zu dekonstruieren“. Workshops, Panels, Inputs und ein tägliches Rahmenprogramm mit verschiedenen internationalen Referentinnen sind Teil der Konferenz. Im Anschluss an das Programm findet jeden Abend die Performance City of Whores statt.

Wo? F23 – wir.fabriken.kultur, Breitenfurter Straße 176, 1230 Vienna
Wann? 23.9. bis 25.9., täglich von 11 bis 5 Uhr, Performance Premiere am 22.9. um 19:30


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