Die Präparatorin

Kunst und tote Tiere

Blut, Fleisch, Knochen, Organe. Damit umgibt sich Melina Haring – jeden Tag. Sie arbeitet als Tierpräparatorin im Naturhistorischen Museum Wien. Sie nimmt uns mit hinter die Kulissen, zeigt uns, wie ein Tier gehäutet wird, wo die Abfälle landen und erzählt, was passiert, wenn im Zoo eine Giraffe stirbt. Triggerwarnung: In diesem Beitrag sind Fotos von Tierkadaver zu sehen. 

„Nass, stinkig und klebrig“

Maja Goertz: Als ich vor unserem Gespräch auf die Toilette gegangen bin, habe ich gesehen, dass dort eine Dusche installiert ist. Stinkt man nach dem Präparieren von Tieren und ist schmutzig?

Melina Haring: Auch wenn ein Verwesungsprozess schon eingesetzt hat, müssen wir noch Knochen und Organe aus dem Körper des Tiers lösen. Wenn wir an großen Tieren, wie zum Beispiel Pferden, arbeiten, wird man dabei oft komplett nass, stinkig und klebrig. Da ist so eine Dusche dann schon von Vorteil.

Ekelst Du Dich bei der Arbeit noch?

Urin oder Kot abzubekommen, finde ich nicht so toll. Aber so ist das eben. Es ekelt mich allerdings viel mehr, wenn ich Essenreste an den Händen habe (lacht).

Warum werden Tiere so präpariert, dass sie möglichst lebendig aussehen?

Wir konservieren Tiere, die vielleicht in zwanzig Jahren ausgestorben sein werden. Wir tun das, um das Gedächtnis an die Natur zu bewahren. Ich besitze ein großes anatomisches Wissen. Um ein möglichst realistisches Bild von einem Tier zu zeigen, präpariere ich es mit meinem Team so, dass es lebendig aussieht.

„Als ich eine Katze auf dem Tisch hatte ...“

Hast Du Mitleid mit den toten Tieren?

Natürlich finde ich es schrecklich, wenn ich Schrotkugeln in einem Tier finde. Aber man sollte Tiere auch nicht vermenschlichen. Ich muss sie als Objekte sehen, mit denen ich arbeite. Als ich das erste Mal eine Katze auf dem Tisch hatte, musste ich trotzdem schlucken, weil ich mit Katzen aufgewachsen bin. Ich habe aber auch noch nie ein Tier präpariert, zu dem ich eine persönliche Bindung hatte. Ich glaube nicht, dass ich mein eigenes Haustier präparieren könnte.

Weißt Du immer, woran das Tier gestorben ist, das Du gerade vor Dir hast?

Das ist wie Rätselraten. Im Prozess des Häutens merkt man oft, woran ein Tier gestorben ist. Letztens hatten wir zum Beispiel eine Robbe, die extrem alt war. Sie hatte nur noch zwei Zähne, die eine Körperhälfte war komplett voller Schrot, sie hatte Verbrennungen und Brüche. Am Körper sieht man, was so ein Tier schon durchgemacht hat.

Hast Du schon mal etwas Seltsames in einem Tier gefunden?

Wenn ich den Magen aufschneide, bin ich immer neugierig. Besonders in Eulen findet man oft noch Knochen. Einmal habe ich ein ganzes Mäuseskelett gefunden.

„Präparatorinnen sind extrem tierliebe Menschen.“

Ist Dein Job ethisch korrekt?

Das wird immer diskutiert, ähnlich wie bei Zoos. Ich finde, dass man einem Tier Respekt zollt, wenn man sich nach dem Tod noch mit ihm beschäftigt. Wir nehmen ja kein Tier, zerfleischen es und stellen es dann hin. Wir recherchieren ewig, schauen uns lebende Artgenossen an, studieren ihre Bewegungen. Ich habe viel Spaß daran, die richtige Pose für ein Tier zu finden. Am Ende ist Präparation ein Kunsthandwerk.

Dürfen Tiere Deko sein?

Zu Hause habe ich Präparate von einem Turmfalken und einem Eichhörnchen, die ich selbst angefertigt habe. Wenn mir Kolleginnen ihre Präparate schenken, ist es eine Ehre für mich, sie aufzustellen! Ich würde aber trotzdem nicht auf den Flohmarkt gehen und mir da irgendein ausgestopftes Tier kaufen, zu dem ich keinen künstlerischen oder persönlichen Bezug habe.

Bist Du tierlieb?

Ich glaube, Präparatorinnen sind extrem tierliebe Menschen. Ich hatte auch schon Kolleginnen, die vegetarisch oder vegan waren. Für unseren Beruf würden wir nie Tiere einfach so töten!

Woher bekommst Du die Tiere, die Du präparierst?

Wir stehen im engen Kontakt zu verschiedenen Zoos und Tiergärten in Wien, die uns verstorbene Tiere anbieten. Vor ein paar Jahren ist zum Beispiel eine Giraffe gestorben. Aus der Sammlung hieß es dann, dass wir ein Skelett brauchen könnten. So eine Giraffe kann man natürlich nicht mit dem Auto abholen, also sind wir mit einem Team hingefahren und haben vor Ort angefangen, die Knochen aus dem Tier zu arbeiten.

„Der Vogel ist an meine Scheibe geflogen, wäre der nicht was für Euch?“

Bekommt das Naturhistorische Museum auch Tiere vom Zoll oder von Privatpersonen?

Wenn der Zoll ein Tier konfisziert, dann ist es erst mal ein gerichtliches Beweisstück und kann nicht direkt präpariert werden. Häufiger passiert es, dass Leute zu uns kommen und sagen: „Hier, meine Katze ist gestorben, wollt Ihr die nicht haben?“ oder „Der Vogel ist an meine Scheibe geflogen, wäre der nicht was für Euch?“.

Was passiert als zuerst, wenn Du ein totes Tier bekommst?

Die meisten Tiere werden zunächst ins Kühlhaus gebracht. Manchmal liegen sie ziemlich lang dort, meine Kollegin hatte letztens ein Tier aus den 80er-Jahren auf dem Tisch. Wenn Bedarf nach einem speziellen Tier besteht, dann besprechen wir, ob wir das Skelett herrichten, den Körper präparieren oder beides. Wenn wir anfangen zu arbeiten, nehmen wir immer zuerst die Organe und die Knochen aus dem Körper.

Wo kommen die Organe dann hin? In den normalen Müll?

Wir haben einen Spezialkübel für alle tierischen Abfälle. Wenn der voll ist, rufen wir die Tierkadaver-Verwertung an und die kommen den abholen. Das wird dann alles später verbrannt.

Wie geht es weiter, wenn Ihr die Organe aus dem Tier rausgeholt habt?

Dann gerben wir die Haut. Während die trocknet, bauen wir ein Modell aus Holzwolle, PU-Schaum oder Pappmaché, über die die Haut später gezogen wird. Dafür wird die Haut mit Nadeln an dem Aufbau fixiert, damit sie in der richtigen Form fest wird und sich nicht noch einmal verzieht.

„Ob ich verrückt bin?“

Dann kommt noch der Feinschliff?

Man erhält so gut wie nie ein perfektes Tier. Wir müssen Narben verstecken, Haare nachbessern oder das Fell oder die Haut neu bemalen. Echsen verlieren zum Beispiel nach dem Tod ihre Farbe. Meine Kolleginnen müssen mich manchmal bremsen, damit ich es mit den Färbungen nicht ein bisschen übertreibe, aber ich mag eben sehr prächtige und bunte Tiere – ich will die Schönsten ihrer Art aus ihnen machen! Auch die Glasaugen, die wir den Tieren einsetzen, bemale ich selbst.

Wie kommt man darauf, Tierpräparatorin zu werden?

Als ich vierzehn Jahre alt war, absolvierte ich bei der Arbeiterkammer einen Berufstest. Das Ergebnis der für mich geeigneten Berufe war folgendes: An dritter Stelle war die Ausbildung zur Grafikdesignerin angeführt, an zweiter Stelle Försterin und an erster Stelle stand: Präparatorin! Damals fand ich das total seltsam und habe mich gefragt, ob ich verrückt bin (lacht), dass man mir so einen seltsamen Beruf empfiehlt. Also entschied ich mich für Grafikdesign. Schon während der Schulzeit stellte ich fest, dass ich nicht den ganzen Tag vor dem Computer verbringen mag und kann. Ich war verzweifelt, weil ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Zum Glück erinnerte ich mich an den Test zurück und machte in den Sommerferien ein Praktikum hier im Naturhistorischen Museum!

Das schien Dir ziemlich gut gefallen zu haben!

Ich war hin und weg. Mir war klar: Das ist mein Job. Neben meiner Matura habe ich eineinhalb Jahre lang ehrenamtlich in der Präparation gearbeitet, bis ich meine Lehrstelle schließlich ergattert hatte. In meiner Familie arbeiten sonst alle als Friseure, die waren von meiner Entscheidung erstmal nicht so begeistert.

„Dieser Job hat keinen guten Ruf.“

So eine Lehre als Präparatorin muss sehr spannend sein! Trotzdem hat der Beruf, wie ich gehört habe, gar keinen so guten Ruf?

Leider hat dieser Job keinen guten Ruf, in Filmen spielen wir immer die Bösen. Aber es gibt wieder mehr Lehrlinge, das freut mich. In Wien gibt es die einzige Berufsschule für Präparation in Österreich. Die Ausbildung ist so aufgebaut, dass man jeweils ein Jahr lang an Vögeln, Säugetieren und in der Herpetologie, also mit Fischen, Amphibien und Reptilien, arbeitet.

Siehst Du Dich mehr als Wissenschaftlerin oder als Künstlerin?

Ich würde mich als Handwerkerin oder Künstlerin bezeichnen. Der Teil meiner Arbeit, der für andere Wissenschaft ist, läuft konstant nebenbei, dabei skelettiere ich zum Beispiel Schildkröten und entnehme aus ihnen Proben. Wenn ich aber ein Tier aufstelle, das in den Schauraum des Museums kommen soll, kann ich schon sehr kreativ werden. Auch eine besondere Gestaltung der Vitrinen ist mir wichtig. In einer mit einer Schlange habe ich zum Beispiel mit Kunstblut und Taschen aus Schlangenleder gearbeitet, um auf Artenschutz aufmerksam zu machen.

Kann es passieren, dass Ihr Euch von den Tieren Krankheiten einfangt?

Wir sind alle gegen Tollwut und Tetanus geimpft. Dadurch, dass die Tiere meistens erst mal eingefroren werden, sind Läuse oder Flöhe kein Thema. Ich habe mich auch schon bei der Bearbeitung von Tieren geschnitten, aber dann drücke ich einfach das Blut aus, desinfiziere die Wunde und weiter geht's.

Was hältst Du davon, wenn Menschen präpariert werden, wie bei der umstrittenen Wanderausstellung „Faszination Körperwelten“ des Anatoms Gunther von Hagens mit plastinierten, überwiegend menschlichen Körpern?

Ich finde es prinzipiell gut, dass menschliche Körper gezeigt werden. Die Posen der Exponate sind bei „Faszination Körperwelten“ oft ein bisschen zu spektakulär und fast absurd. Mein professioneller Blick als Präparatorin kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da ein bisschen „schnell schnell“ gearbeitet wurde.

Eine letzte Frage! Was treibt Dich an?

Leidenschaft!

Melina Haring wurde 1993 in Niederösterreich geboren. 2015 schloss sie „Die Graphische“ mit Matura ab und absolvierte anschließend ihre Lehre als Präparatorin an der Berufsschule für Chemie, Grafik und gestaltende Berufe im 15. Bezirk und im Naturhistorischen Museum Wien. Dort arbeitet sie seit ihrer Lehre in der herpetologischen Abteilung.

(dp)

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