Die Modehistorikerin

Unterhosen im Leben

Was passiert unter der Hose und dem Rock? Wir sprechen mit der österreichischen Modehistorikerin Michaela Lindinger vom Wien Museum über die Rehleder-Höschen von Kaiserin Sisi, die kratzigen Liebestöter der Soldaten und über den berühmten pinken Stringtanga von Paris Hilton. Die Unterhose ist ein Kleidungsstück, das wie kaum ein anderes soziale und gesellschaftspolitische Zusammenhänge widerspiegelt. Wir fragen uns in unserer C/O Vienna Books Ausgabe "PS: UNTERHOSE", wie und ob sie den Sprung vom Sexobjekt zum Alltagsgegenstand geschafft hat. Eines ist sicher: Man experimentiert mit Optik und Material!

„Frou-Frou, das erotische Rascheln.“

Elisa Promitzer: Über die Unterhose zu sprechen, scheint immer noch ein gewisses Tabu. Warum ist das so?

Michaela Lindinger: Das viktorianische Zeitalter scheint zuweilen bis heute nachzuwirken. Ich bin ein Teenager der 80er- und 90er-Jahre und ich finde, wir haben damals offener über Dinge geredet, als es Jugendliche heute tun, sie sind in meinen Augen wieder konservativer geworden ...

Auch wenn ihnen medial alles offensteht, vom Porno bis zur Influencerin, die für Periodenunterwäsche wirbt?

Ja, es gibt durch dieses Überangebot offensichtlich eine Art Gegenbewegung. Um 1900 durfte man das Wort „Unterhose“ nicht einmal in den Mund nehmen. Wenn man sie kaufen wollte, hat man sich im Geschäft nach den „Unaussprechlichen“ erkundigt. Diskret im Hinterzimmer wurden Schubladen geöffnet und das Frou-Frou ertönte, so nannte man das erotische Rascheln, das Geräusch, das Damenunterröcke aus relativ steifen Stoffen wie Taft erzeugten. Sogar dieses Rascheln war schon tabuisiert – aber auf Bällen etwa durchaus erwünscht! Die Gesellschaft war sehr heuchlerisch. Mit dem Beginn der Fotografie veränderte sich dann einiges. Als sie ab 1890 leistbarer wurde, wurden erotische Bilder ein Thema. Von Sexmagazinen kann man jedoch nicht sprechen, in Unterwäsche posierende Models waren meist das höchste Level an Erotik zu dieser Zeit.

Präsentierte man keine nackte Haut?

Zu dieser Zeit durften Frauen nicht mal Knöchel zeigen, anderenfalls wären sie als Sexarbeiterinnen abgestempelt worden.  

Seit wann gibt es Dessous?

Im 19. Jahrhundert trugen Frauen erstmal Dessous - das war Unterwäsche, die man nicht sehen durfte oder die man im Bordell oder auf erotischen Bildern erblickte. 

„Nur Sexarbeiterinnen zeigten Knöchel.“

Wann wurde die sogenannte Reizwäsche – sehr lustiges Wort – enttabuisiert?

Geschäfte für Dessous gab es erst spät. Bevor sexuell konnotierte Wäschebrands wie die britische Luxusdessous-Marke Agent Provocateur oder Coco De Mer groß geworden sind, hat man Reizwäsche unter der Hand gekauft. Richtige Dessous-Läden sind eine neue Erfindung aus den 80er- und 90er-Jahren. 

Trugen Männer früher eigentlich Spitze?

Nicht untenrum. In der Zeit von Marie-Antoinette und davor, im 16. und 17. Jahrhundert, war große Spitze am Kragen und am Ärmel beliebt. Spitzen-Manschetten waren das Einzige, was von der Kleidung gewaschen werden konnte. Alles andere war aus Leder oder Samt ...

... und Frauen?

Spitze inszeniert Frauen seit jeher als Sexobjekte, sie setzt den weiblichen Körper in Szene. Man spielt dabei mit dem Zeigen und dem Verbergen des Körpers. Auch heute produziert das Label Agent Provocateur nur für weibliche Kundinnen oder Dragqueens. Straighte Männer werden in Dessous-Läden für sich selbst selten fündig. Die Geschlechterfrage wurde in den vergangenen Jahrzehnten reich diskutiert, aber abgesehen von Gay-Shops wird es trotzdem noch dauern, bis Spitze in die Männerabteilung einzieht.

Was ist die skurrilste Unterhose in Ihrer Sammlung?

Ein knielanges Stück mit zahlreichen Löchern. Ist das bizarr genug? 

Und wie ist es mit Löchern im Schritt?

Ja, das war im 19. Jahrhundert ganz normal. Damit man das Höschen beim Toilettengang nicht entfernen musste, blieb es im Schritt offen. Zwei große Teile Stoff, die durch ein Bändchen oben zusammengehalten wurden. Auf der Hinterseite bleibt die Unterhose bis zum Knie oder bis zur Wade offen - je nach Modell. Die geschlossene Unterhose, wie wir sie heute kennen, war erst Teil der sogenannten „Kleiderreform“. Sie befürwortete lockere Unterwäsche für Frauen und lehnte das ungesunde Korsett ab. Sie hat sich nach dem Ersten Weltkrieg durchgesetzt und etabliert. 

„Ein knielanges Stück mit Loch im Schritt.“

Haben Sie eine Lieblingsunterhose in der Sammlung?

Die Unterwäsche aus den 20er-Jahren begeistert mich. Die Spitze ist mit der Hand angenäht. Sie bestehen aus unglaublich feinem Material wie Seide, die verführerisch raschelt. Sie wissen schon: das Frou-Frou! Diese Teile lassen mich an die deutsche Serie „Babylon Berlin“ denken. 

Wer gibt seine Unterhose einem Museum? Woher stammen Ihre Stücke?

Wir besitzen über tausend Unterhosen. Mich erreichen oft Anrufe: „Ich habe auf dem Dachboden von meiner Uroma Wäschestücke gefunden.“ In vergangener Zeit musste ich viele Anfragen ablehnen - unsere Schubladen quellen über. Es gibt Gründe, warum wir besonders Unterhosen um 1900 zur Genüge in unserem Depot haben: Zwischen 1880 und 1914, vor dem Ersten Weltkrieg, wurde den Frauen Unterwäsche als Mitgift mitgegeben. Das war meistens ein Sechserpack. Irgendwann kamen andere Unterhosen in Mode und diese Mitgift-Unterhosen sind im hintersten Eck der Schubladen liegen geblieben. Wir nehmen natürlich keine Objekte an, die in schlechtem Erhaltungszustand sind. Unsere Restauratorin müsste zu viel Zeit dafür investieren.

Kann man Ihre Unterhosen auch sehen?

Die Modesammlung des Wien Museum besitzt über 30.000 Modeobjekte aller Art. Atemluft schädigt die Exemplare. Die Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Raum sollte konstant bleiben, sonst gehen sie kaputt. So ist es auch mit den Unterhosen, die der Allgemeinheit leider nur in Ausnahmen, also etwa in Rahmen von Sonderausstellungen, zugänglich sind. Wir haben in unserem Depot auch eine Unterhose vom deutschen Komponisten Johannes Brahms, einer der bedeutendsten Komponisten im 19. Jahrhundert. Sein gesamter Nachlass kam zu uns und der Kasten samt Unterhosen dazu.

„Ein Sechserpack Unterwäsche als Mitgift.“

Wann ist die Idee, sich untenrum zu bedecken, aufgekommen?

Spät, erst im 19. Jahrhundert. Die ersten Unterhosen gab es um 1840. Alles hat damals mit den erwähnten offenen Unterhosen begonnen - davor waren Mann und Frau weder geschützt noch wurde auf die Intimhygiene besonders geachtet.  

Wann gab es die erste Unterhose, wie wir sie heute kennen?

Ab 1918 nach dem Ersten Weltkrieg! Sie ähnelt der Unterwäsche, wie wir sie heute kennen - ein Höschen mit einem Oberteil als Unterhemd. Sie wurde ab da geschlossen getragen, das war ein Schutz für die Genitalien, hygienischer und gesünder, Blasenentzündungen und Krankheiten nahmen damit merkbar ab. Die große Entwicklung fand bei den Materialen statt. Elastische Stoffe stellten die Unterhosen-Welt auf den Kopf. In den Zwanzigerjahren gab es nur einen Gummibund und dazu Hosenbeine aus Seide oder einem anderen Material. In den 70er- und 80er-Jahren feierten elastische Unterhöschen ihren Höhepunkt. Und Bodys darf man nicht vergessen, ein Unterhosenanzug von oben bis unten. Das ist nicht neu, bereits um 1800 hat es bodyartige Objekte gegeben. Wir haben sie nicht in unserer Sammlung, aber im Pariser Modemuseum Musée Galliera sind sie archiviert. Die Kleider um 1800 waren teils durchsichtig und man benötigte Ganzkörperunterwäsche. Neben den Materialien haben sich unterschiedliche Schnitte, wie der Tanga, etabliert. Aktuell beobachte ich, dass Unterhosen bis zum Knie, sogenannte Radler-Unterhosen, zurückkommen.

Was trugen die Männer um 1900?

Im 19. Jahrhundert zogen Soldaten ihr Hemd unten durch und befestigten es mit Knöpfen – das waren keine richtigen Unterhosen, sie ähnelten eher Strampelanzügen. Männer trugen Unterhosen, wie wir sie heute kennen, erst nach dem Ersten Weltkrieg. Um 1900 waren sie noch lang und mit einem Schlitz am Hintern. Den konnte man mit Knöpfen öffnen und schließen, um sein Bedürfnis zu erledigen.

Waren alle Unterhosen immer nur weiß?

Zu Beginn um 1900 waren alle Unterhosen aus weißer Baumwolle und ungefärbt. Erst in den Zwanzigerjahren haben sich pastellige Farben wie Peach, Lachs, Rosa, Türkis und Himmelblau etabliert. Knallige Farben zogen in den 80er-Jahren in die Unterhosenschubladen ein: Blitzblau, Neongelb und Super-Grün feierten neben stark gemusterten Exemplaren ihren Erfolg.

„Bodys gibt es seit Anfang des 19. Jahrhunderts.“

Wenn die erste Unterhosen erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen, was trug man dann vorher drunter?

Im 17. und 18. Jahrhundert, zur Rokoko-Zeit, hätte man angesichts einer Unterhose nur den Kopf geschüttelt. Damals reichten Unterröcke unter massiven Reifröcken als „Unterhose“. Im 19. Jahrhundert wurde man offensichtlich prüder, allerdings die Unterröcke auch weniger, und man wollte die Schamteile bedecken. Im 18. Jahrhundert hätte sich niemand etwas dabei gedacht, untenrum nichts zu tragen, knapp hundert Jahre später, Mitte des 19. Jahrhunderts, stempelte man Frauen, die keine Unterhosen trugen, bestenfalls als Bordellmitarbeiterinnen ab. 

Welche Unterhosen haben eigentlich die Promis und Adelige wie Kaiser Franz Joseph und Sisi damals getragen?

Deren Unterhosen werden regelmäßig in Auktionen verkauft. Leider haben wir keine Unterhosen von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth - die sind sehr kostspielig. Wir sprechen von über 10.000 Euro für eine Unterhose. Kaiserin Elisabeth trug – wie jede Frau zu dieser Zeit – noch offene Unterhosen. Unterschieden haben sie sich von denen des „gemeinen Volkes“ in ihrem Material - sie trug feine und teure Stoffe untenrum, meist Seide und Handspitze. Damit sie ihrem Hobby, dem Reiten, nachgehen konnte, wurden für sie spezielle Unterhosen aus Rehleder gefertigt, damit der Popo nicht wund wurde. Man nähte sie vor dem Ritt jedes Mal wortwörtlich ein, um eine perfekt sitzende zweite Haut ohne Verrutschen und Falten zu kreieren, sonst hätte es Scheuerwunden gegeben. Das Rehleder wurde hinten und vorne auf ihre Hüfte gelegt und auf der Seite direkt an ihrem Körper zugenäht.

Das klingt ziemlich unbequem!

Keineswegs! Durch die Körperwärme hat sich das Rehleder an den Körper angeschmiegt und anstrengende, mehrstündige Ausritte erlaubt. Für sportliche Aktivitäten war es zur damaligen Zeit das Beste vom Besten am Markt, sozusagen die ersten Sportunterhosen.

Kaiser Franz Joseph trug sicher lange Unterhosen unter seiner Uniform?

Unterhosen bis zum Knöchel, die unter die Ferse gezogen wurden, damit sie nicht hochrutschten. Der gewöhnliche Soldat trug auch solche Modelle, aber die waren aus keinem bequemen Material, ziemlich kratzig. Als des Kaisers Eigentum konnten die Objekte durch sein Monogramm erkannt werden. Seine gesamte Kleidung, von der Unterhose bis zum Jackett, wurde nämlich mit „FJS“ und einer Krone bestickt.

„Höschen aus Rehleder für Sisi.“

Damit man weiß, wem's gehört, oder als Statussymbol?

Das war ein klassisches Statussymbol. Der Adel und das Großbürgertum imitierte alles, was Kaiser und Kaiserin taten – man kaufte ebenfalls monogrammiert: von den Taschentüchern über die Hemden bis zur Tischdecke. Die Großmütter meiner Generation taten das ja auch noch. 

Wie voll waren die Unterhosenschubladen?

Das hing vom sozialen Status ab. Eine reiche, verheiratete junge Frau hatte um die 100 Unterhosen in ihrem Schrank. Männer und Frauen in der Wiener Vorstadt besaßen lediglich zwei bis drei Unterhosen um 1900, welche immer wieder genäht, geflickt und wiederverwendet werden mussten. Sie wurden mit der Hand und einer Schichtseife gewaschen. Dazu gab man „Waschblau“, eine Art Wundermittel, womit die Wäsche weiß für das Auge wirkte. Das ist ein Färbemittel, das das Vergilben von weißen Unterhosen kompensiert.

Wie oft wechselte man die Unterwäsche?

Kaiserin Elisabeth trug jede Unterhose nur ein einziges Mal, dann wurde sie gewaschen und an ihre Dienstmädchen weitergegeben. Wenn ich an die unterschiedlichen Unterhosen in unserem Depot um 1900 denke und in welch gutem Zustand sie sind, dürften sie nicht oft getragen worden sein. In der durchschnittlichen bürgerlichen Mittelstandsfamilie in den Nachkriegsjahren, in der der Mann beispielsweise Buchhalter war und die Frau als Telefonistin arbeitete, nannte eine Person zehn bis 20 Unterhosen ihr Eigentum. Man wechselte sie also alle zwei bis drei Tage. 

Wie funktionierte Damenhygiene Anfang des 20. Jahrhunderts?

Es gab grauenhafte Binden. Baumwollfetzen wurden mit einem Gummi an der Unterhose befestigt und danach ausgewaschen. Dieses Konstrukt nannte man „Bindengürtel“. Das war ein komplett tabuisiertes Thema. Mädchen konnten sich glücklich schätzen, wenn ihre Mutter sie im Alter von zwölf bis 14 Jahren vorgewarnt hatte, dass in ihrem Alter monatlich Blutungen eintreten werden. Binden aus Fellen und Schwämmen trugen Frauen im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit und im frühen 18. Jahrhundert. Die Bindegürtel aus Baumwolle und Gummi befinden sich in unserem Depot. Einlagen aus Fellen und Schwämmen leider nicht.

„Unterhosen sind hochpolitisch.“

Haben Unterhosen eine politische Dimension?

Bis heute wird der Frauenkörper durch Unterwäsche als Sexobjekt inszeniert - Unterhosen sind somit hochpolitisch. Dessous, so der Vorwurf, würden von Frauen nur getragen, um dem Mann ihrer Wahl zu gefallen. Es gibt Frauen, die Spitzenunterwäsche verweigern, weil sie solche Wäsche für sexistisch halten.  In meiner Schulzeit, in den 80er-Jahren, gab es bereits feministische Mädchen in meiner Klasse, die Reizwäsche ablehnten. Sie bedienten sich, das war damals sehr provokant, aus der Herrenabteilung. Heute sind wir vielleicht einen Schritt weiter: Calvin Klein und andere Brands bieten für Frauen Boxershorts aus Baumwolle an. Das ist nur einer von vielen Aspekten.

Wie haben Windeln für Kinder ausgesehen?

Ein großes Baumwolltuch wurde um den Hintern des Kindes gebunden. Die Baumwolle wurde jeden Tag ausgekocht und wiederverwendet. Von Wegwerfwindeln war keine Rede. Ich habe in meiner Kindheit in den 70er-Jahren selbst noch solche Windeln getragen. Danach sind mit der Zeit Wegwerfwindeln auf den Markt gekommen.

Wo hat man Unterhosen gekauft? Gab es eigene Unterhosen-Manufakturen in Österreich?

Im 19. Jahrhundert gab es in Österreich keine Riesenfirmen wie Schiesser in Deutschland. Bekannte Unterwäsche-Firmen wie Palmers, Huber Trikot und Benger sind erst im frühen 20. Jahrhundert gegründet worden.

„Nackte Frauen hatten etwas Anrüchiges.“

Wurden Höschen vorher maßgeschneidert?

Reiche Leute ließen sich ihre Unterhosen in kleinen Salons maßanfertigen. Meistens waren die Maße schon in den Läden vermerkt. Vor den 1880er-Jahren schickte man Postkarten und ab den 1880er-Jahren, als das Telefon erfunden wurde, genügte ein Anruf, und die Schneiderin konnte die gewünschten Unterhosen mit einem Blick in ihr Kundenbuch nähen. Das war gang und gäbe. Kleidung wurde auch von der Mittelstandsfrau maßangefertigt.

Wann begann man Unterhosen von der Stange anzubieten?

Die Trauerkleidung war die erste, die konfektioniert wurde. In Wien gab es das riesige Kaufhaus „Zur Irisblüte“, wo man Trauerkleidung von der Stange kaufen konnte. Warum Trauermode? Wenn jemand stirbt, braucht man schnell Kleidung, ohne Anfertigung, einfach griffbereit. In Amerika wurden die Konfektionsgrößen schon in den 1830er-Jahren erfunden. Ab den 1880er-Jahren sind sie auch in Österreich angekommen. Unterwäsche und normale Straßenkleidung abseits der Trauermode wurde aber viel später konfektioniert. Die wohlhabenden Familien ließen sich Mode weiter auf den Leib schneidern, da Stangenware einen billigen Beigeschmack besaß.

Palmers verkaufte in der Zeit des Zweiten Weltkriegs seinen „Strumpfzauber“. Was hat es damit auf sich?

Aufgrund der Kriegswirtschaft waren Seidenstrumpfhosen nirgends mehr erhältlich. Frauen wollten sich aber dieses Symbol der Eleganz bewahren. Mit dem „Strumpfzauber“ konnte man die Beine in einem Braunton färben, ähnlich wie Selbstbräuner. Dann wurde mit einem Augenbrauenstift – sofern man noch einen besaß – rückwärts eine Naht gezogen. Es geht auch mit einem abgebrannten Zündholz, so machte es meine Oma. Dieses Palmer-Produkt haben wir in unserem Depot, sogar noch in Originalverpackung!

"Paris Hilton zeigt ihren pinken Tanga!"

Frauen in Strumpfhosen über nacktem Hintern – ohne Unterhosen – posierten in den 90er-Jahren auf riesigen Plakatwänden der Firma Palmers. Wie reagierte die Gesellschaft?

Palmers war, was viele nicht wissen, schon ab den 40er-Jahren für provokante Kampagnen bekannt. Nackte Frauenkörper in verführerischer Unterwäsche entsprachen bis in die 80er-Jahre nicht dem Anstandskodex und hatten etwas Anrüchiges. Als die österreichische Fotografin Elfie Semotan in den 90ern die Palmers-Models mit ellenlangen Beinen nur von hinten, ohne Unterhose und in sexuell aufreizender Pose, auch noch offensichtlich oben ohne in Szene setzte, war das ein Skandal in Österreich. Es gab angeblich Unfälle wegen der auf großen Hauswänden aufgezogenen Werbeplakate. Sie galten als äußerst provokant. Manche Palmers-Plakate mussten abgenommen werden, zu freizügig für die Augen mancher.

Es gibt ja auch viel Aberglaube um die Unterhose. Rote Unterhosen bringen Glück und Wäsche, die man falsch herumträgt, Regen?

Es gibt beispielsweise auch den Aberglauben, dass sich die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, erhöht, wenn man sich bestimmte Gegenstände in die Unterhose steckt. Das klingt wie Hochzeitskuchen, den man sich unter das Kopfkissen legt, damit man endlich einen Mann findet - amüsante Mythen und Geschichten. Das Gegenteil ist dann sozusagen der Keuschheitsgürtel: Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, ich denke, es ist eine Legende. Ich glaube nicht, dass die „Burgfräulein“ im Mittelalter diese Konstruktionen getragen haben. Das war mehr symbolisch. Die, die noch vorhanden sind, waren vermutlich ein Sexspielzeug. Keuschheitsgürtel werden auch heute in Bordellen benutzt.

Zuerst zog man untenrum blank, dann trug man die Unterhosen versteckt und jetzt lugt der Unterhosenbund aus der Jeans heraus. Warum?

Mit Calvin Klein hat das in den 80er-Jahren begonnen. Man zeigte den Bund seiner Unterhosen, sodass jede den Label-Namen lesen konnte, auch das war ganz neu. Dass man es sich leisten konnte, die Unterhosen von einem teuren Label zu kaufen, war die Story. In den Nullerjahren ging Paris Hilton noch einen Schritt weiter: Sie zeigte ihren Tanga. Ein ähnlich pinkes Dreiecks-Bändchen lugte bald bei vielen Frauen hinten aus der Hose hinaus. Die Unterhose ist ein hochinteressantes Objekt, das soziale, sexuelle und gesellschaftspolitische Zusammenhänge widerspiegelt. Das ist doch faszinierend.

Danke für das Gespräch!

Dieses Interview erschien in C/O Vienna Books „PS: Unterhose“, das in unserem SHOP für 28.- Euro erhältlich ist.
Michaela Lindinger arbeitet seit 1995 als Kuratorin im Wien Museum und ist dort für die Porträt- und Modesammlung sowie die Hermesvilla zuständig. Die Modesammlung des Wien Museum umfasst über 30.000 Objekte. Alles hat mit einem Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ur- und Frühgeschichte sowie Ägyptologie an der Universität Wien begonnen. Lindinger hat in ihrer Karriere Ausstellungen wie „Kaiserin Elisabeth. ‘Keine Thränen wird man weinen‘…“ (1998), „Großer Auftritt. Mode der Ringstraßenzeit“ (2011), „Sex in Wien. Lust - Kontrolle - Ungehorsam“ (2016) und „Ganz Wien. Eine Pop-Tour“ (2017) (mit-)kuratiert.
Als Autorin hat sie u. a. Bücher wie „‚Mein Herz ist aus Stein.‘ Die dunkle Seite der Kaiserin Elisabeth“ (2013), „Verborgenes Wien. Der Reiseführer der Einheimischen“ (2016), „Die Hermesvilla. Kaiserin Elisabeths Schloss der Träume“ (2020) verfasst sowie Biografien über Hedy Lamarr, Elisabeth Petznek oder zuletzt Marie-Antoinette.