Der Sound-Guide

Ein akustischer Virtual-Reality-Trip

Wischst Du noch oder schaust Du schon? Wolfgang Schreiner und sein Team von NOUSdigital treibt die Frage um, wie man Kunst und Kultur adäquat digital vermitteln kann. Zu ihren Kundinnen zählen unter anderem das Jüdische Museum Berlin und der Louvre Abu Dhabi. Kürzlich entwickelten die Wienerinnen ein Audiosystem, das ohne jegliche haptische Interaktion mit einem Gerät auskommt, womit sie für den Staatspreis für Digitalisierung nominiert sind. Magie? Nein, Technik – und dabei ziemlich sinnlich.

„Es ist wie ein Film, nur dass Du selbst in Deinem Kopf die Bilder dazu gestaltest.“

Antje Mayer-Salvi: Wir waren eben konspirativ in Eurem „Keller“, sozusagen das kleine „Silicon Valley des 15. Wiener Bezirks“, und haben eine exklusive Vorführung des neuen NOUSsonic Audiosystems bekommen. Hat schon etwas von einem Drogentrip, wenn man sich rein auditiv berieselt, die verschiedensten Szenerien imaginierend, durch den Raum bewegt.

Wolfgang Schreiner: Das Coole ist, dass man mit unserem neuen Audioguide die Hände völlig frei hat und nicht auf irgendeinem Gerät herumwischen muss – was mich mittlerweile ziemlich nervt. Die Besucherinnen können sich visuell voll auf das ausgestellte Objekt konzentrieren. Sie tragen ein leichtes Headset, mehr nicht. Es erkennt, wo im Raum man steht, wie man sich bewegt, sogar wohin man schaut, und kann auf zehn Zentimeter positionsgenau exakt die entsprechenden Sounds liefern: informative Texte, Dialoge, Klänge, Geräusche, historische Aufnahmen, Street Sound oder eigens komponierte Musik. 

Wie können wir beide nun unseren Leserinnen dieses beeindruckende akustische Erlebnis hier schriftlich plastisch darstellen? Es ist ja weit mehr als der bekannte Erklärtext, der abgespielt wird, sobald man sich einem Objekt nähert.

Vielleicht gelingt es mir mit einem Beispiel: Unser System wird in ein paar Wochen im Louvre Abu Dhabi im Einsatz sein. Es ist wie ein Film, nur dass Du selbst in Deinem Kopf die Bilder dazu gestaltest. Es gibt dort einen Ägyptischen Saal, Du hörst den Nil rauschen, Kinder im Schilf spielen. Du begegnest einer Statue, die Dir ihr Schicksal zuflüstert. Du schlenderst an einem Ruderboot vorbei und hörst, wie die Paddel ins Wasser platschen, aus der Ferne klingt ägyptische Musik von vor 2.000 Jahren. 

„Wir fingern kollektiv ununterbrochen an irgendwelchen Geräten herum.“

Klingt sehr sinnlich! Ich frage mich, warum ist man nicht schon früher auf so ein Gerät gekommen? Wenn ich mir in einem klassischen Museum einen Audioguide im Blackberry-Style leihe, fühle ich mich technisch oft an den Beginn der 2000er-Jahre versetzt.

Es ist zwar etwas überspitzt formuliert, aber richtig ist, dass wir kollektiv ununterbrochen an irgendwelchen Geräten herumfingern, was eminente Auswirkungen auf die Wahrnehmung unserer Umwelt hat. Wir sind eine durch und durch visuell geprägte Gesellschaft. Alle sprechen bei digitaler Kulturvermittlung von Augmented und Virtual Reality. Besonders AR finde ich schrecklich. Kaum jemand dachte bisher daran, etwas Qualitätvolles mit einem anderen wunderbaren Sinn zu machen: dem Hören. 

Du bist der Experte; Corona hat es uns vor Augen geführt: Der digitale Besuch eines Museums ersetzt nicht den realen, dennoch gehört das mittlerweile zur Normalität. Wie werden wir in Zukunft Kunst digital konsumieren?

Kunst von zuhause aus „vor dem Kasterl“ sitzend zu konsumieren ersetzt natürlich nicht den Museumsbesuch – das kann niemand ernsthaft behaupten. Die Lösung liegt in einer smarten Verzahnung von Analogem und Digitalem. Bisher passen wir uns den Geräten an, anstatt sich diese unserem natürlichen Verhalten und unseren Bedürfnissen anpassen. 

„Wir sind eine durch und durch visuell geprägte Gesellschaft.“

Das Smartphone ist wie die Nabelschnur zur Welt und hat uns komplett abhängig gemacht. Es gibt junge Menschen, die finden den Bäcker ums Eck nicht mehr ohne Google Maps ...

Die Stadtverwaltung von Yamato nahe Tokio will Fußgängerinnen untersagen, im Straßenverkehr Smartphones zu benutzen, weil so viele Unfälle passieren. Das Gerät als Falle! Das Handy verführt einen ununterbrochen dazu, es zu benützen. Ich spreche jetzt eigentlich gegen unser Kerngeschäft, die App-Entwicklung für Mobiltelefone. Wir werden in Zukunft mit Sicherheit intelligentere Technologien benutzen.

Spann uns nicht länger auf die Folter, bitte verrate uns: Wie funktioniert dieser neue magische Audioguide?

Im ersten Schritt werden die zu bespielenden Räume von uns vermessen und kleine, kaum sichtbare, Ultra-Wide-Ban-Antennen, installiert. Diese Ultrabreitband-Empfänger können die Position und die Kopfausrichtung auf zehn Zentimeter genau bestimmen – ein hochpräzises
Lokalisierungssystem. Ein Mini-Real-World-Orientation-Sensor, der in der Robotik zur Bestimmung von Position, Neigung, Drehung oder Ausrichtung eingesetzt wird, ist in die Headsets eingebaut.

Was passiert, nachdem die Antennen installiert sind?

Die Messungen ergeben ein 3-D-Modell, das in eine sehr einfach zu bedienende App hochgeladen wird, die sich mit einem von uns entwickelten Content-Management-System verbindet, in das alle Sound-Inhalte einfach hochgeladen werden können. Man baut sich dann selbst seine akustische Dramaturgie, dreidimensional. 

„Wir sollten die Museen stärker demokratisieren.“

Das Problem ist, dass die Museen permanent über zu wenig Budget und die Kulturvermittlerinnen über zu wenig technisches Know-how verfügen.

Wir sind im regen Austausch mit unseren Kundinnen und versuchen auf deren Bedürfnisse einzugehen. Wir wissen auch, dass sie vor allem eine aufwendige Wartung scheuen. Daher war es uns wichtig, auf bereits am Markt vorhandene Soft- und Hardware zurückzugreifen, um die Entwicklungskosten und damit den finanziellen Aufwand für alle gering zu halten. Wir sind schließlich in Wien, nicht im Silicon Valley. 

Braucht es überhaupt digitale Technik in einem Museum? Wäre es nicht als eine Art „heiliger Ort“ zu erhalten, an dem uns einzigartige, real existierende Objekte mit ihrem analogen Zauber verführen?

Ich bin Agnostiker und habe meine Probleme mit „Heiligkeiten“ (lacht). Wir sollten die Museen stärker demokratisieren. Sie sollten keine Berührungsängste mit dem Spielerischen, dem Digitalen, dem Alltäglichen und dem Gewöhnlichen haben. Ich glaube nach wie vor an die Anziehungskraft real existierender Objekte und Architektur sowie an die kommunikative Kraft der analogen Kunstvermittlung von Mensch zu Mensch. Ich selbst war lange mit Leidenschaft als Kunstvermittler tätig. Eine große Chance sehe ich beispielsweise für Museen in der digitalen Sichtbarmachung ihrer riesigen Sammlungen. Was wir als Besucherinnen sehen, sind gewöhnlich nur zehn Prozent dessen, was in den Archiven an Schätzen schlummert.

„Kaum jemand dachte bisher daran, etwas Qualitätvolles mit einem anderen wunderbaren Sinn zu machen: dem Hören.“

Was kann die Technologie dabei tun?

Die Technologie kann unterstützen, Dinge sichtbarer und einfacher machen und das Erlebnis – wie es NOUSsonic tut – künstlerisch und sinnlich erweitern. Die Möglichkeiten, die unser Soundsystem bietet, sind unglaublich. 

Arbeitet Ihr auch mit Musikerinnen und Künstlerinnen zusammen?

Unbedingt! Wir sind gerade dabei, mit Soundkünstlerinnen aus aller Welt, unter anderem mit dem bekannten Wiener Musiker Christian Fennesz, qualitative Inhalte für unser NOUSsonic zu generieren, denn der „Ton macht hier im wahrsten Sinne die Musik“. In diesem Bereich kann sich Wien durchaus mit dem Silicon Valley messen.

Ich danke herzlich für das Gespräch!

noussonic.com
Wolfgang Schreiner kommt aus der Praxis. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft und Philosophie war er viele Jahre als Kunstvermittler in der Albertina tätig. Später wurde er dort Pressesprecher, wechselte ins Bank Austria Kunstforum, wo er den ersten Medienguide entwickelte und auch den ersten CyberLion beim Cannes Lions Festival für Österreich holte. Danach arbeitete er als Marketing- und Kommunikationsleiter des MUMOK, bis er in sein eigenes Unternehmen wechselte. 
NOUSdigital gründete er vor 14 Jahren mit drei Partnern in Wien. Das Büro mit 50 Mitarbeiterinnen unterhält Zweigstellen in Denver und Abu Dhabi. Zu den Kundinnen zählen unter anderem das Jüdische Museum Berlin, die Wiener Staatsoper, das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments in Brüssel, die Österreichischen Bundesbahnen, Red Bull und der ORF.


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