Der Samstag-Shop

Glanz und Gloria

Modedesigner Peter Holzinger betreibt seit gut zehn Jahren den legendären Samstag-Shop unweit des Wiener Naschmarkts. Neben international erfolgreichen jungen österreichischen Labels wie superated und House of the Very Island’s gibt es dort auch viel beachtete Fashion Newcomerinnen aus den Niederlanden oder Finnland zu erstehen – queere Kunst, Musik und Parties inklusive. Wir sprachen mit ihm über Wiener Modemuffel, den aktuellen Hang zum Fashion-Nihilismus und seine nicht ganz konfliktfreie Liebe zu Vintage.

„Mehr Glamour!“

Stefanie Schermann: Was hältst Du vom Wiener Streetstyle? Beobachtest Du, was die Leute tragen?

Peter Holzinger: Ja, natürlich. Hierzulande wird manchen Trends mit scheinbarer Verzweiflung nachgerannt. Ich würde mir mehr Eigeninitiative erwarten. Es gibt zwar immer wieder „Stilblüten“, aber vieles ist auch einfach zum Weggucken.

Gibt es etwas, das Dir besonders aufstößt?

Was mir wahnsinnig auf den Senkel geht, aber total im Trend ist: viel zu lange Mäntel. Das liegt natürlich auch am Wetter und an der Jahreszeit, aber darauf habe ich einfach wirklich keine Lust mehr. Diese bodenlangen Mäntel sind für mich over – die machen mich nicht glücklich (lacht)!

Was macht Dich glücklich?

Was mich glücklich machen würde, wäre mehr Glamour. Ich bin ein Kind der Neunziger, und das fehlt mir! Mehr Mut zu Glanz und Gloria muss auch gar nichts mit neoliberalistischem Denken zu tun haben, es kann doch einfach Spaß machen! Momentan existiert eine gewisse Liebe zum Hässlichen und zum Clash – das sieht man auch in der Kunst generell. Da herrschen eine Art „Brutalismus“ und Aussichtslosigkeit vor, die geradezu nihilistisch zelebriert werden. Ich kann diese dystopische Motivation durchaus verstehen, fühle mich aber offensichtlich schon ein bisschen zu alt dafür.

„Wiederholung ist in der Mode essenziell.“

Stichwort „Neunziger“: Warum müssen wir auch die schrecklichsten Fashiontrends immer wieder aufwärmen?

Wiederholung ist in der Mode essenziell: Kleidung soll wiedererkannt werden, dafür wird sie auch gemacht. Alles, was fremd ist, wird abgelehnt oder braucht lange, um auf Akzeptanz zu stoßen – man muss sich aber an Neues gewöhnen können. Das merke ich auch im Shop: Wir fordern von unseren Kundinnen ein, gewisse Gewohnheiten zu überdenken. Das Feedback ist da wahnsinnig gut.

Welche modische Gewohnheit sollten wir dringend ablegen?

Wir kämpfen an mehreren Fronten, allen voran gegen Billiganbieter, die Textilien unter miserabelsten Bedingungen produzieren und diese als „Mode“ verkaufen. Das ist wie Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen: Wir im Samstag-Shop bieten einfach viel bessere Optionen.

Die Mehrheit der Designermode ist ja auch nicht gerade für fairen Handel bekannt. Ist das bei Deinem Label anders?

Die Näharbeiten für „superated“ werden in Ungarn und der Slowakei gemacht, ich verstehe das als lokale Produktion. Die Produktionsstätten sind maximal eineinhalb Stunden von Wien, wo ich entwerfe und Muster nähe, entfernt. Wir haben ein gutes Verhältnis, ich kenne die Leute, die daran arbeiten, kann ihnen bei der Arbeit zusehen und davon ausgehen, dass die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung den europäischen Standards entsprechen. Vor allem wird man hier nicht an die Nähmaschine gefesselt und darf aufs Klo gehen – anderswo ist das gang und gäbe, solche Grundbedürfnisse zu verbieten. Das kann man einfach nicht machen, wir dürfen nicht billige Mode kaufen, für die andere mit einem schlechten Leben bezahlt haben.

„Wir wollen traditionelle Genderrollen aufbrechen.“

Der Modebranche wird oft Oberflächlichkeit vorgeworfen. Zu Recht?

Als Jugendlicher habe ich eine Modeschule besucht und mich danach eine Zeit lang von Fashion distanziert, weil ich selbst ein philosophisches und inhaltliches Problem damit hatte. Mittlerweile empfinde ich Mode als ein Grundbedürfnis. Jede trägt den Wunsch in sich, nach außen hin etwas auszudrücken, und sollte daher das Recht haben, Mode zu feiern. Wir Menschen verstehen uns als Kollektiv, und die Mode unterstützt dabei, uns auch als jenes zu erkennen.

Wir haben gemeinsam die Models von „Haus of Rausch“ nicht zufällig gewählt: Sie repräsentieren die Universalität Deiner Mode, die Du ja grundsätzlich eher für Männer designst. Was ist Deine Inspiration für die aktuelle „superated“-Kollektion?

Die Inspirationen sind sehr unterschiedlich: Sie kommen aus der Literatur, dem Modediskurs, manchmal auch einfach aus Bildmaterial, ich bin sehr bildfixiert. Mit der vergangenen Sommerkollektion wollten wir traditionelle Genderrollen aufbrechen. Wir haben zum Beispiel ein Spaghettiträger-Top gemacht, das auch für Männer gut tragbar ist.

Beim Volumen unserer Hosen war es wichtig, sie in eine schöne Form zu bringen, obwohl es Männerhosen sind. Auch ein bisschen Lurex ist mit drin, damit sie ein bisschen glänzen. Alles soll Glamour vermitteln. Es sind aber auch ganz klassische Referenzen dabei, wie ein Sakko oder ein ärmelloser Sweater. Ich verstehe diese saisonale Denke von vielen Designerinnen nicht und kann mit dem Begriff „zeitlos“ nicht viel anfangen, bin aber davon überzeugt, dass gutes Design überlebt und seine Berechtigung behält. 

Du feierst heuer zehn Jahre Samstag-Shop. Eine Bilanz?

Man unterschätzt anfangs zwar den Aufwand eines eigenen Geschäfts, dennoch bin ich sehr froh, eines eröffnet zu haben. Wir wollten keinen Mainstream Shop führen, und unser Konzept ist vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz so leicht ablesbar, aber genau das gefällt den Leuten. Wir machen auch regelmäßig Events, im November etwa mit der Tänzerin Katrin Blantar und ihrer Initiative „Voguing in Vienna“. Natürlich ist die Veranstaltung den aktuell geltenden Sicherheitsvorschriften angepasst: Sie wird vor unseren Schaufenstern stattfinden und kann via Social Media und auf unserer Website mitverfolgt werden. Auch unsere Veranstaltungen mit der Installationskünstlerin Marianne Vlaschits, Andrew Butler von „Hercules and the Love Affair“ oder dem Cartoonisten Tex Rubinowitz waren toll.

„Wenn dein Kleidungsstück über Jahrzehnte relevant bleibt, kannst du dich als Designer glücklich schätzen.“

Welches Kleidungsstück aus Deinem Store begeistert Dich am meisten?

Derzeit ist es die Hose „Transmitter“ aus der aktuellen Kollektion von „House of the Very Island’s“ – die Designerinnen der Kollektion sind ehemalige Studienkolleginnen von mir. Die Hose ist fantastisch, weil sie so außergewöhnlich und trotzdem tragbar ist. Vor Kurzem habe ich die an einen jungen Mann verkauft, an dem sie mir sogar wahnsinnig gut gefallen hat.

Was findest Du heute gut, das früher gar nicht ging?

Leder! Das hätte ich vor zehn Jahren bestimmt nicht getragen und vielleicht sogar ein bisschen trashy gefunden. Von der mit Tierhäuten verbundenen Industrie möchte ich jedoch Abstand nehmen – es gibt auch qualitativ hochwertiges Kunstleder. Kaktusleder ist ein Trend, den ich super spannend finde!

Gehst Du selbst überhaupt noch gern shoppen?

Wenn man selbst einen Laden hat, ist Shoppen eher mau. Ich kaufe aber sehr gerne Vintage-Kleidung und auch -Möbel – eine günstige und nachhaltige Option.

„Es ist fantastisch, wie Mode den Körper beeinflusst.“

Ist Vintage-Kleidung kaufen nicht so eine Art Betrug an den Designerinnen, die ja „nur“ einmal bezahlt werden?

Es ist kein Nachteil, wenn Dinge nicht nur eine Saison lang getragen werden – ganz im Gegenteil: Wenn dein Kleidungsstück über Jahrzehnte hinweg relevant bleibt, kannst du dich als Designer glücklich schätzen. Allerdings wird es in zehn Jahren schwierig werden, Vintage Fashion zu kaufen, wenn wir jetzt nur Billigkleidung tragen. Nicht zuletzt deshalb lege ich viel Wert darauf, wie Dinge produziert werden. Ich lehre ja auch und sage meinen Studierenden immer: „Euer Verständnis für die Qualität von Materialien ist heute wichtiger denn je! Man kann keine Kleidung schneidern, die die Zeit überdauert, wenn man Qualität nie selbst in den Händen hatte.“

Du designst auch Gesichtsmasken. Denkst Du, dieses obligatorische Accessoire wird unsere Zeit überdauern?

Ich wurde seit Januar, als COVID-19 auch in Österreich im wahrsten Sinne des Wortes „in aller Munde“ war, immer wieder gefragt, ob ich nicht auch Masken designen möchte. Als ein sehr guter Freund von mir in New York an der Krankheit verstarb, ist mir deren Relevanz erst bewusst geworden. Von da an war klar, dass ich das machen MUSS. Wenn es auch nur einer Person hilft, diese Krankheit nicht zu bekommen, ist es das wert.

Meine Baumwollmasken sehen auf den ersten Blick etwas brutal und klobig aus, aber so hat man keinen Stoff am Mund und dadurch mehr Luft. Selbst bei einem so praktischen Gegenstand können wir uns, wie bei jedem anderen Teil in unserem Leben, für etwas Hässliches oder etwas Schönes entscheiden.

Wann hast Du Dich erstmals bewusst für das Schöne entschieden?

Zum ersten Mal glamourös habe ich mich in Teilen von Helmut Lang und Comme des Garçons gefühlt. Die haben mein ganzes Körpergefühl verändert. Ich finde es fantastisch, dass Mode den Körper beeinflussen kann. Wenn man an guter Mode „mal geleckt“ hat, will man immer mehr!

Vielen Dank für das Gespräch!

Samstag-Shop
superated
Peter Holzinger besuchte eine Modeschule und arbeitete zunächst als Ankleider beim Theater, ehe er Modedesign an der Universität für angewandte Kunst Wien bei dem belgischen Superstar Raf Simons studierte. Er arbeitete für den deutschen Designer Stefan Schneider in Antwerpen und für die österreichischen Fashiondesigner Wendy & Jim. 2005 gründete Holzinger sein eigenes Label superated: Der Name ist ein Anagramm aus seinem Vornamen und dem der isländischen Label-Mitbegründerin Dúsa Oláfsdóttir. Mittlerweile führt Holzinger das Label allein, 2010 eröffnete er den Samstag-Shop. Er ist Lektor an mehreren Hochschulen in Österreich, darunter der Kunstuniversität Linz und dem Mozarteum in Salzburg.

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