Der Heilwasser-Experte

Heilende Wasser sind tief

Wenn alles steht, dann reden wir über das, was fließt. Fast fünf Kilometer unter der Erde – da liegt, nein, da sprudelt es: reines, köstliches Heilwasser, dessen wertvolle Mineralien und Spurenelemente eine kurierende Wirkung auf unsere gemarterten Körper versprechen. Johann Goldbrunner hat seinen Namen zum Programm gemacht: In unendlichen Gesteinstiefen bohren er und sein Team nach Thermal- und Heilwasser. Wir haben mit ihm über Bäderkuren für Pferde und Heilwasser für Smartphones gesprochen – illustriert von Susanna Hofer.

„Heilwasser ist mehr als nur eine Frage des Glaubens.“

Viktoria Kirner: Trinken Sie selbst Heilwasser?

Johann Goldbrunner: Ich begebe mich regelmäßig auf Badekuren, die wirken ganz wunderbar. Je nachdem, welches Programm eine Kurärztin vorschreibt, konsumiert man dort Wasser in Form von Bädern oder Trinkkuren. Nicht jedes Thermalwasser ist aber Heilwasser. Die meisten Thermen liefern neben „normalem“ Thermalwasser auch Wasser mit einer höheren Mineralisierung, also eines, das auch neben der Temperatur die Kriterien für Heilwasser erfüllt. In „Spaßthermen“ ist der Mineralisierungsgehalt oft egal, dort geht es um die Wärme und das Badevergnügen.

Herr Professor Doktor Goldbrunner, Sie sind ein Experte – nicht nur die Liste Ihrer Titel, sondern auch die Ihrer Spezialgebiete ist lang: Hydrogeologie, Geothermie, Geophysik, Bohrtechnik, Wasser- und Bergrecht. Was genau machen Sie eigentlich?

Ich beschäftige mich mit allen Formen des unterirdischen Wassers, von der Ackersohle bis hin zu Tiefen von 5.000 Metern: Grundwasser, Thermalwasser, Tafelwasser. Je tiefer es wird, desto interessanter ist das Wasser für mich. Dann kommt noch der Wärmeaspekt, die Geothermie, hinzu – tiefenthermische Prognosen sind mein Spezialgebiet.

Was bitte sind „tiefenthermische Prognosen“? Spüren Sie dabei Heilquellen auf?

 „Quelle“ ist hier eigentlich der falsche Begriff. Als Quelle wird hydrogeologisch etwas bezeichnet, das selbstständig an die Oberfläche tritt. In diesem Sinne gibt es echte Thermal- und Heilquellen in Österreich nur in Bad Gastein, Baden und Bad Vöslau. Die meisten Thermalgewässer entstammen aus Bohrungen, die bis zu 3.200 Meter erreichen können. Damit beschäftige ich mich. Meine Auftraggeberinnen reichen von Trinkwasserversorgerinnen bis hin zu Mineralwasserproduzentinnen und Leuten, die Geothermie für andere Zwecke, wie etwa für die Beheizung ihrer Gewächshäuser, nutzen.

„In Gegenden, in denen das Grundwasser wenig Lithium enthält, treten verstärkt Depressionen auf.“

Gibt es besonders seltenes Heilwasser, also eine Art Super-Heilwasser?

Begehrt ist natürlich Heilwasser, dessen Inhaltsstoffe auch industriell verwertet werden können. So wie zum Beispiel Lithium, das heute ein wichtiges Industriemetall ist und etwa für die Herstellung von Smartphones oder bestimmter Pharmazeutika verwendet wird.

Welche zum Beispiel?

Sehr viele Antidepressiva enthalten Lithium. Es ist übrigens nachgewiesen, dass in Gegenden, in denen das Grundwasser wenig Lithium enthält, verstärkt Depressionen auftreten.

„Mir fehlt das Verständnis für jemanden, der in tausenden Metern Tiefe eine Wasserader entdeckt haben will.“

Grundwasser kann tatsächlich Depressionen hervorrufen?

Dazu gibt es sehr interessante Studien und etliche Fachliteratur. Mein bereits 1993 erschienenes Buch „Die Mineral- und Heilwässer Österreichs“ beschäftigt sich etwa mit einer Studie aus Texas, in der Lithium-Mangel bei jugendlichen Ausreißern untersucht wurde. Man hat dort Gebiete mit besonders lithiumarmem Trinkwasser in einen direkten Zusammenhang mit ihrer Drogenabhängigkeit oder ihren Depressionen gebracht. Bei dem Stoff Iod war das ähnlich: Früher gab es keine Möglichkeit, Salz zu iodieren. Als Folge kam es in manchen Alpengebieten mit iodarmem Trinkwasser bei etlichen Menschen zur Bildung des berühmten Kropfes am Hals.

Was sind Heilwasser und Mineralwasser jeweils genau?

Als Mineral- und Heilwasser bezeichnet man nur Wasser, das ganz bestimmte Kriterien erfüllt. Bereits 1896 hat man durch die sogenannten „Nauheimer Beschlüsse“ festgelegt, dass dieses aus einem unterirdischen Reservoir, das von jeglicher Beeinflussung der Oberfläche geschützt ist, stammen muss. Es muss so lange an einem unterirdischen Wasserkreislauf teilgenommen haben, dass es nicht verschmutzt ist. Der Unterschied liegt dann primär im Mineralisierungsgehalt, der beim Heilwasser höher ist.

Könnte man derartige Gewässer auch selbst entdecken?

An der unmittelbaren Austrittsstelle des Wassers gibt es Pflanzen, die eine hohe Mineralisierung ihrer Umgebung bevorzugen. Wenn man ein Auge dafür hat, kann man im Gelände solche Stellen finden. Ein Indiz kann etwa auch schlechter, nicht sehr tragfähiger Boden sein. Heutzutage wird man an der Oberfläche aber ziemlich sicher keine Thermal- und Heilwässer mehr finden, weil wir die meisten Vorkommen durch Bohrungen schon entdeckt haben.

Auch nicht mit einer Wünschelrute? Glauben Sie an diese Methode?

Es ist ein Unterschied, ob eine Wünschelrutengeherin auf einem Grundstück nach „Wasseradern“ sucht, um eine Wasserversorgung für ein einzelnes Haus aufzubauen, oder ob sie behauptet, man könne ein thermisches Wasservorkommen großer Tiefe erspüren. Ersteres kann ich noch nachvollziehen, da ich so etwas – wenn auch mit anderen Methoden – schließlich auch mache. Nahe an der Oberfläche hat das definitiv seine Berechtigung. Mir fehlt allerdings das Verständnis für jemanden, der in tausenden Metern Tiefe eine Wasserader entdeckt haben will und vielleicht auch noch meint, den genauen Mineralgehalt und die Temperatur vorhersagen zu können. Das geht gegen alle physikalischen und hydraulischen Erkenntnisse. Das ist schlicht unmöglich!

„Wir haben trotzdem gebohrt.“

Hatten Sie schon mal mit Wünschelrutengeherinnen zu tun?

Früher sogar sehr häufig! Das Problem ist, dass mit diesen Leuten schlecht zu sprechen ist. Sie sind so von sich überzeugt. Das ist eine Art, mit der ich mir schwertue. Ich habe als Wissenschaftler eher gelernt, stets zu zweifeln – auch an meinen eigenen Thesen. 

Können Sie uns von einem bestimmten Erlebnis erzählen?

Am Anfang meiner Berufslaufbahn sollte ich für die Gemeinde Altheim in Oberösterreich eine Geothermie-Bohrung in 2.000 Metern Tiefe mit 100 Grad vornehmen. Das war einer meiner ersten Aufträge. Kurz nachdem ich den Bohrpunkt festgelegt hatte, trat ein Wünschelrutengeher auf den Plan und versuchte mir und meinem Team reinzureden.

Wie ging die Geschichte aus?

Er hat sich mit einem Schreiben an den Bürgermeister und die Gemeinde gewandt, um diese davon zu überzeugen, dass die von mir ausgewählte Stelle die wohl schlechteste in der ganzen Gemeinde sei. Sie sei sogar so schlecht, dass er sich dieser physisch nicht nähern könne, und man werde dort nichts finden. Ich habe mich damals wirklich wahnsinnig geärgert. Der Bürgermeister war aber ein cooler Typ, wir haben trotzdem gebohrt und natürlich etwas gefunden.

„Es gibt zwei Fraktionen unter den Medizinerinnen – die, die Heilwasser befürworten, und die, die es als Humbug abtun.“

Was macht Heilwasser heilend?

Heilwasser hat viele für den Körper positive Inhaltsstoffe. Zum Beispiel Kalzium oder Magnesiumsulfat. Beides wirkt sich nachgewiesenermaßen begünstigend auf den Verdauungstrakt aus. Mineralwasser ist beispielsweise wegen seines hohen Magnesiumgehalts, der bekanntlich gut für unsere Muskeln ist, beliebt. Weitere positive Auswirkungen kann das Wasser auf Haut oder Gelenke haben. 

Kann man auch zu viel Heilwasser zu sich nehmen?

Vor allem für Herzkranke sollten der Natrium- oder Kochsalzgehalt nicht so hoch sein. Auch beim Mineralwasser im Supermarkt wird vor zu hohen Natriumgehalten gewarnt. Dass es aber gefährdend ist, dafür müsste man immense Mengen davon trinken. Jemand, der beim Heurigen eine Brettljause und einen halben Kilo getrocknete Wurst isst, hat gleich einmal den hundertfachen Natriumgehalt zu sich genommen und ist vermutlich gefährdeter.

„Ich bin regelmäßig auf Badekuren, die wirken ganz wunderbar.“

In Österreich fällt Heilwasser unter das Arzneimittelgesetz. Dazu muss das Wasser nachweislich eine vorbeugende, heilende oder lindernde Wirkung haben. Ist die Wirkung nachgewiesen? Ist Heilwasser mehr als eine Frage des Glaubens?

Es gibt etliche ernährungsphysiologische und balneomedizinsche Analysen, durch die man die besonderen Heilkräfte und die Wirksamkeit von Wasser feststellen und mit Gutachten belegen kann. Heilwasser ist also jedenfalls mehr als eine Frage des Glaubens. 

Sie sind selbst Sachverständiger und erstellen Gutachten.

Der Nachweis der Wirksamkeit auf den Körper ist aber die Aufgabe einer Medizinerin und nicht die eines Hydrogeologen wie mir. Allerdings gibt es selbst unter Medizinerinnen zwei Fraktionen: die, die den medizinischen Einsatz befürworten, und die, die das als Humbug abtun. In Österreich ist Heilwasser ein anerkanntes Heilmittel, das auch aktiv für Heilmethoden eingesetzt wird, beispielsweise in Form von Thermalbad-Kuren. 

„Die Therapie im Wasser ist für das Pferd ideal.“

Sollen oder können auch Tiere Heilwasser zu sich nehmen?

Es existiert zumindest schon länger die Idee von Bäderkuren für Pferde.

Es gibt Pferdethermen?

Mehrere Thermenstandorte denken tatsächlich darüber nach – so ist es mir zu Ohren gekommen. Das ergibt definitiv Sinn, denn das Pferd steht mit seinem ganzen Gewicht auf relativ zarten Beinchen. Wenn diese verletzt sind, ist die Therapie im Wasser für das Pferd ideal, es entlastet und entspannt durch die Wärme die Muskeln des Tieres. 

„Nicht, dass mich die Esoterikerinnen am Ende noch verklagen.“

Was halten Sie von Granderwasser?

Ich würde mich dieser Antwort am liebsten enthalten. Für mich ist das nicht wissenschaftlich belegt. Ich kann es nicht nachvollziehen, das mag vielleicht mit meinem beschränkten Intellekt zu tun haben. Auch was ich bisher an Diplomarbeiten zu diesem Thema gelesen habe, hat mich nicht überzeugt. 

Welche Auswirkungen haben Edelsteine in einem Wasserkrug auf das Wasser?

Von einem rein geochemischen – also die Löslichkeit von Inhaltsstoffen betreffenden – Standpunkt betrachtet, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Edelsteine, vor allem unter den in einem Wasserkrug herrschenden Temperaturbedingungen, irgendeine physiologische Wirkung entfalten können. Mal abgesehen von einer etwaigen Wirkung im Unterbewusstsein der Trinkenden. Das ist allerdings meine nichtfachliche Privatmeinung. Nicht, dass mich die Esoterikerinnen am Ende noch verklagen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview entstand in Kooperation mit
Das Vöslauer #jungbleiben Magazin.

Univ.-Prof. Dr. Johann Goldbrunner unterrichtet unter anderem an der Technischen Universität Graz und der Montanuniversität Leoben. Seit 1993 ist er Geschäftsführer der Geoteam Ges.m.b.H. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Hydrogeologie, Geothermie, Hydrochemie, Geohydraulik, Bohrtechnik, Geophysik, Altlasten, Wasser- und Bergrecht. Die im Text genannte Studie stammt aus dem Buch Die Mineral- und Heilwässer Österreichs. Geologische Grundlagen und Spurenelemente (1993): J. Zötl und J. E. Goldbrunner (Hg.), 324 S., Wien, New York (Springer).  

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