Der Fußleser

Wir sind unser Körper

„Zeig mir Deine Füße und ich sage Dir, wer Du bist." Der Wiener Andreas Leimer ist Hypnotiseur, Masseur und Fußanalyst. Was er aufgrund seiner Erblindung nicht sehen kann, fühlt er umso intensiver, etwa eine Lungenerkrankung am Fußballen. Dass die Beziehung zu den Eltern nicht in Balance ist, zeichnet sich angeblich durch eine Anomalie an der Innenseite der Fersen ab. Während des Interviews darf unsere Autorin sich selbst aus ihren Füßen vorlesen lassen.

„Ich habe alles vor mir, wenn mir jemand die Füße zeigt.“

Magdalena Willert: Warum sind die Füße für Dich das Fenster zu Geist und Körper?

Andreas Leimer: Eigentlich ist der ganze Körper das Fenster zur Seele. Wir bilden mit unserer Haltung ab, wie es uns geht und was wir denken. Aber die Füße sind am handlichsten. Ich habe alles vor mir, wenn mir jemand die Füße zeigt.

Wolltest Du schon immer Masseur werden?

Nein, ich hätte gerne Medizin studiert. Das war aufgrund meiner Sehsituation nicht mehr möglich. Ich habe einen angeborenen grünen Star an beiden Augen. Mit zwei Jahren war das linke Auge schon vollständig erblindet und das rechte konnte so weit gerettet werden, dass ich bis 13 Jahre Tischtennis spielen, bis 15 Jahre Fußball spielen und bis zur Matura Texte lesen konnte, die ich mir auf die Nase geklebt habe. So ist das nach und nach dahingegangen. Ich habe Verschiedenes versucht und bin dann auf Massage gekommen, beginnend mit Shiatsu.

Was hat Dich zu den Füßen geführt?

Ich habe die Fußreflexzonenmassage an Freunden geübt. Damals war ich selbst noch jung und hatte junge Freunde. Mir ist aufgefallen, dass alle meine Freunde, die gerade von zu Hause ausgezogen waren, genau an der Stelle der Füße eine Schwellung hatten, die für die Harnblase steht. Die Harnblase steht in der traditionellen chinesischen Medizin auch für enge Beziehungen – also für Liebes- oder Eltern-Kind-Beziehungen. Das machte Sinn. Das hat mir gezeigt, dass die Füße uns etwas zeigen, das nicht nur Fuß ist.

Kennst Du dieses Phänomen von Deiner Kundschaft, dass es ihnen unangenehm ist, Dir ein vermeintlich ekelhaftes Körperteil in die Hände zu legen? Du schreibst auf Deiner Website, Menschen sollen nicht unmittelbar nach der Fußpflege vorbeikommen, damit ihre Füße möglichst naturbelassen bleiben.

Waschen sollten sie ihre Füße aber schon (lacht)! Ich habe auch eine Nase. Sehr heikel bin ich aber nicht, weil ich die Leute ja mag, die zu mir kommen. Waren sie direkt davor bei der Fußpflege, habe ich das nicht so gern, weil oft eine fettige Creme auf die Füße geschmiert wird. Wenn ich Punkte genau greifen möchte, ist es hinderlich, wenn ich mit den Händen herumrutsche.

Wie gehst Du vor?

Das ist eine sehr exakte Arbeit. Ich will die Füße nicht wellnessartig kneten, sondern die Punkte genau treffen. Wenn ich eine Fußanalyse machen soll, ist der Unterschied zum „Idealfuß“ aussagekräftig. Stellst man sich einen Idealfuß vor, hat dieser weiche, glatte Haut und die Nägel sind einwandfrei. Aber diesen Fuß gibt es in Wirklichkeit nicht, weil wir in unserem ganzen Körper abspeichern, was wir schon erlebt haben – Schönes und Unschönes. Und genau das will ich erkennen, wenn ich jemandem den Fuß analysiere, Schwielen und unschöne Hautstellen verraten mir etwas. 

„An jedem Fuß enden Tausende von Nerven.“

Warum läuft alles in den Füßen zusammen?

Das ist nicht geklärt. Die westliche Welt begründet es so: An jedem Fuß enden Tausende von Nerven, und wenn man die reizt, dann schlagen die Reflexbögen übers Rückenmark in die jeweiligen Organe, Drüsen oder was man eben erreichen möchte. Wissenschaftliche Versuche dazu gab es zum Beispiel an der Universitätsklinik für Sportmedizin in Innsbruck. Die haben diese Theorie jedoch nur teilweise unterstützt. Man kann es sich nicht wirklich wissenschaftlich erklären. Es gibt Modelle, dass es über die Faszien funktioniert, Bindegewebsstrukturen, die Muskeln und Organe umhüllen und den ganzen Körper wie ein Geflecht durchziehen. 

Das ist auch der Grund, warum die Grinberg-Methode oder die Methoden der traditionellen chinesischen Medizin nicht wirklich wissenschaftlich bewiesen werden können?

Ich würde sagen, es ist noch nicht bewiesen. Weil alles, das wirkt, wird irgendwann entschlüsselt. 

Wie erklärst Du Dir dann die Wirkung dieser Praxis?

Das frage ich mich gar nicht. Wenn es mir jemand erklären kann, dann bin ich neugierig darauf. Schön ist aber, dass es funktioniert. 

Und Du weißt, dass es funktioniert?

Ja, ich habe schon sehr sensible Personen behandelt, die zum ersten Mal zur Fußreflexzonenmassage gekommen sind und mir sagen konnten, wo ich hindrücke. Als ich auf die Stelle an den Füßen gedrückt habe, wo das Herz liegt, haben sie mir gesagt: „Jetzt wird’s am Herzen ganz warm.“ Oder „Jetzt spür ich es mitten im Bauch“, als ich an die Stelle gedrückt habe, die mit den inneren Organen verbunden ist. 

„Ihr Tinnitus war weg.“

Fußanalytiker

Wie stehst Du zur Schulmedizin?

Positiv. Ich halte es für dumm, nur an das eine oder andere zu glauben. Die Schulmedizin kann sehr viel und ist sehr stark in ihrer Wirkmächtigkeit. Es ist nicht immer notwendig, gleich mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Hast Du Patientinnen, die zu Dir kommen, weil sie von der Schulmedizin enttäuscht wurden und sich anderweitig Hilfe suchen wollen?

Ja, immer wieder. Enttäuscht oder man ist der Sache nicht auf die Spur gekommen. 

Hast Du ein Beispiel für einen solchen Fall?

Tinnitus gilt beispielsweise als sehr schlecht behandelbar. Mich hat vor vielen Jahren eine alte Dame besucht, die den Krieg als Kind miterlebt hatte. Seit sie bei Bombenangriffen in den Keller flüchten musste, hatte sie einen Tinnitus. Die Frau hat darunter sehr gelitten. Sie hat mir ihre Füße vorgelegt, und ich habe die Reflexzone, die für das Mittel- und Innenohr steht, kräftig behandelt. Die Dame hat danach einen Tanz aufgeführt, obwohl sie schon eine sehr alte Frau war. Ihr Tinnitus war weg. Vier Monate später ist sie noch einmal zu uns gekommen, hat uns Blumen mitgebracht und gesagt, der Tinnitus sei noch immer weg. 

„Was an Deinen Füßen zu sehen ist, ist, dass Du als Journalistin nicht ganz bei der Sache bleibst.“

Wie hast Du das geschafft?

Ich kann es nicht erklären. Ich denke mir, dass so etwas ja nichts Physisches ist. Die Dame hat ihr Trauma nicht bewältigt. Und vielleicht war es für sie wichtig, dass jemand genau dieses Trauma anspricht. Wenn auch nicht mit Worten, dann halt mit Druck auf die jeweiligen Zonen am Fuß. 

Was liest Du aus meinen Füßen?

Was sofort auffällt, ist, dass Du zielstrebig bist. Die Innenseite der Füße steht für die Wirbelsäule. Dieser Schwung Deiner Wirbelsäule ist auffällig gerade. Der ist bei manchen Leuten sehr geschwungen oder macht unten eine Drehung. Das vollständig zu erklären, würde einen Kurs von einer Woche benötigen. 

Erkennst Du auch Negatives?

Was an Deinen Füßen interessant zu sehen ist, ist, dass Du als Journalistin manchmal mit dem Zuhören nicht ganz bei der Sache bleibst. Wird Dir öfter „Das habe ich schon einmal gesagt“ oder „Hast Du nicht zugehört“ gesagt? 

„Ich bin alles von der kleinen Zehe bis zu den wenigen Haaren.“

Nein, eher das Gegenteil. Aber mir fällt auf, dass ich zurzeit schnell mit meinen Gedanken abdrifte.

Das zeigt sich an den beiden äußeren Zehen, die stehen für die Ohren. Idealerweise stehen sie aufrecht. Dass sie sich bei Dir nach innen neigen, zeigt an, dass sie nicht so im Fluss sind, wie sie sonst sein könnten. 

Wenn Du meine Zehen ausmassierst, sodass sie wieder gerade werden, werde ich dann auch besser im Zuhören?

Ja, genau. Das ist der Umkehrschluss. Du bist wirklich sehr gesund. Das ist fast schade für die jetzige Situation (lacht). Aber Deine Sehnen am Fußrücken sind leicht angespannt, sodass Du Deine Zehen ein bisschen nach hinten ziehst. Das zeigt an, dass Dein oberer Rücken, Deine Schulterblätter und Schultern verspannt sind. 

Das stimmt. Ich bin deswegen schon ewig in Physiotherapie. Wie erklärst Du Dir diesen direkten Zusammenhang zwischen Körper und Psyche?

Es gibt ja auch Körperpsychotherapie, die die Psyche über den Körper behandelt. Das wird auch auf einer wissenschaftlichen Grundlage betrieben. In Wirklichkeit sind wir ja unser Körper. Es hat noch niemand eine Seele finden können. Wo ist mein Ich? Ich bin alles – von der kleinen Zehe bis zu den wenigen Haaren, die ich noch habe. 

Vielen Dank für das Gespräch und die Analyse!

Andreas Leimer betreibt seine Praxis in der Josefstadt gemeinsam mit seiner Frau Waen Leimer. Er bietet neben der Fußanalyse und Massage auch klassische Massagen, Lymphdrainage, Farblichtpunktur, Schröpfen, Aromatherapie und Hypnose an und schreibt für seinen eigenen Blog.

.(dp)

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