Die Gastgeberinnen

Urbane Suiten in der Nachbarschaft

Theresia Kohlmayr und Fanny Holzer-Luschnig sind die starken Frauen hinter einem ganz neuen Hotelkonzept. Am 3. Dezember eröffnen sie das grätzlhotel in Wien. Im Gespräch erzählen sie, wie sie Gästen das andere, authentische Wien näherbringen möchten und was Social Design mit all dem zu tun hat. Und: Haben Sie jemals von einem horizontalen Hotel gehört? Dann wird es Zeit!

Anneliese Ringhofer: Unsere Redaktion ist ganz in der Nähe, während der Umbauarbeiten sind wir auf das neue Café an der Ecke aufmerksam geworden, später bemerkten wir einen Zettel an der Glasscheibe mit einer Stellenausschreibung. Das machte uns neugierig auf das Projekt ...

Fanny Holzer-Luschnig: Das ist lässig, zu hören, es beweist, dass unser Konzept aufgeht! Das Café heißt „zur Rezeption“, es soll für unsere Hotelgäste am Karmelitermarkt die erste Anlaufstelle sein, wenn sie etwas benötigen. Doch das Besondere ist, dass wir auch für die Nachbarschaft da sein möchten. Es ist eine Rezeption für das ganze Grätzl. Wohnt man gegenüber im Haus und man braucht am Wochenende ein Geschenk oder Blumen für die spontane Geburtstagsfeier, kann jeder in unseren Hotelshop kommen und dort einkaufen. Wir besorgen auch gerne Theaterkarten, wir bieten also einen Concierge-Service für alle an. Ansonsten freuen wir uns natürlich, wenn die Nachbarn auf einen Kaffee vorbeischauen.

Theresia Kohlmayr: Unsere Hotels sind horizontal und dezentral angelegt, im Gegensatz zu den Hotels, die eine vertikale Anordnung haben und alles in einem Haus ist. Wir kooperieren mit Geschäftspartnern und schlagen diese „Nachbarn“, wie wir sie bezeichnen, unverbindlich den Gästen vor, ohne Gutscheinsystem oder Zwang dahinter. Die Konsumation oder Leistungen sind extra zu bezahlen und nicht im Hotelpreis enthalten. Das geht von der Frühstücks- bis zur Abendessenslokalität, vom Massageinstitut über den Kosmetiksalon bis hin zur Schneiderin und dem türkischen Bäcker. So stärken wir damit sogar die nachbarschaftlichen Strukturen. Unser Hotelkonzept hat einen kleinen Social-Design-Effekt. Denn wir entwerfen und kuratieren soziale Vernetzung.

Das grätzlhotel hat bereits Suiten im Karolinenviertel im 4. Wiener Gemeindebezirk, beim Meidlinger Markt im 12. Bezirk und hier beim Karmelitermarkt im 2. Bezirk. Das sind aufstrebende urbane Gebiete innerhalb Wiens, es gibt vor allen an den Märkten zahlreiche Hipstercafés und Restaurants, Sie setzen sich also bereits ins gemachte Nest. Verwässern Sie damit nicht Ihr Ausgangskonzept, Grätzl beleben zu wollen?

T.K.: Das schließt sich nicht aus. Und es gibt an allen Standorten noch immer sehr viel Leerstand. Unsere Suiten und auch das Café „zur Rezeption“ befinden sich ja in B- und C-Lagen, dort ist ohnedies noch nicht viel los, wie man hier im zweiten Bezirk sieht.

F.H.L.: Wir starten ja eben erst mit dem Hotelprojekt, in diesen Lagen sind nun die ersten Suiten, wir werden sicher auch in unbelebten Grätzln weitermachen, etwa im 20. Bezirk.

"Unser Hotelbetrieb befindet sich ausschließlich im Erdgeschoß."

Bei einem Projekt der diesjährigen Vienna Art Week setzten sich Künstlerinnen kritisch mit dem Thema Gentrifizierung auseinander. Die typische Gentrifizierungsformel lautet: Zuerst kommen die Künstler, dann kommt das Geld. Wohnungsmieten steigen etc. Leisten Sie mit dem Hotelprojekt einen Beitrag zur Gentrifizierung?

T.K.: Das trifft vielleicht auf Berlin zu, aber Wien ist viel langsamer in der Entwicklung. Seit fünf Jahren betreiben wir im Quartier Belvedere URBANAUTS-Hotelsuiten und wir warten noch immer darauf, dass sich dort gastronomisch mehr tut. Ich glaube nicht, dass wir mit den 5 bis 12 Zimmern pro Standort den großen Boom auslösen werden. Bei einem Hotel mit 200 Zimmern hingegen würden ungleich mehr Gäste durch das Grätzl spazieren. Unser Hotelprojekt kann man vergleichen mit Wohnungen, die länger leer gestanden und jetzt wieder bewohnt sind.

F.H.L.: Unser Hotelbetrieb befindet sich in der Sockelzone, also ausschließlich im Erdgeschoß, wir nehmen niemandem Wohnungen weg. Es handelt sich um einen Wohnschutzbereich, der nur gewerberechtlich genutzt werden darf. Außerdem können wir uns selber keine hohen Mieten leisten, wir bauen ja viel um, das ist finanziell doch sehr belastend.

Teil der grätzlhotels sind die URBANAUTS, die Sie, Theresia Kohlmayr, mit zwei Studienkollegen 2011 gegründet haben. Gemeinsam betreiben Sie die vorhin angesprochenen Suiten im Quartier Belvedere. Sind Sie weltweite Pioniere mit diesem neuen Beherbergunsgkonzept?

T.K.: Ja, wir waren die Ersten! Es gibt bereits Kopien, in Frankreich, das Projekt nennt sich „La Boulangerie“, aber es ist nicht so ausgeklügelt wie unser Konzept, die müssen noch üben (lacht).

F.H.L.: Kopiert zu werden, ist ein großer Pluspunkt!

Was, wenn das Experiment schief gegangen wäre?

T.K.: Unsere erste Suite befindet sich gleich neben unserem Architekturatelier, wäre es schief gegangen, hätten wir einen Showroom gehabt – mit Bett (lacht).

Wann wurde die Idee für URBANAUTS geboren?

T.K.: Wir suchten ein Atelier, das war 2008. Damals fiel uns auf, dass in Wien sehr viele Geschäftslokale leer stehen. Meine Kollegen wollten eine Bar eröffnen, das kam für mich nicht in Frage. Aber ich stamme aus einer Salzburger Hoteliersfamilie, und plötzlich wurde mir klar, dass wir Hotelzimmer aus den leeren Lokalen machen könnten. Ich wollte schon von Klein auf Chefin werden, so wurde meine Mutter im Hotel von allen genannt. Über den Umweg der Architektur bin ich nun doch in der Hotellerie gelandet. Das macht das Ganze nochmals spannender, da ich jetzt einen ganz anderen Zugang dazu habe.

Jetzt sind Sie nicht nur die Gastgeberin, sondern bauen selbst um und designen die Suiten. Apropos: Das Design adaptieren Sie entsprechend der Vornutzung – in welchem Geschäftslokal sitzen wir hier?

F.H.L.: Es war einmal ein Lampengeschäft. Wir haben einige Lampen aus dem übriggebliebenen Sortiment verwendet. Als Beweis dient ein Foto an der Wand, auf dem sieht man das Ladenportal mit den Lampen. Hinter einem Kasten haben wir außerdem ein gewalztes Muster entdeckt, das wohl aus Großmutterszeiten stammt. Eine Architektin von BWM Architekten hat sich auf die Suche nach der Walze gemacht und sie tatsächlich gefunden. Jetzt ist die ganze Wand mit demselben Muster gewalzt. Wir setzen uns mit der Geschichte des Raumes auseinander.

T.K.:. Diese Suite ist von den BWM Architekten designt worden, die auch Partner vom grätzlhotel sind, die nächsten werden wir gemeinsam in Angriff nehmen. Wir Architektinnen ticken ohnedies alle gleich! Auch wir haben bei den URBANAUTS-Suiten ähnliche Gestaltungselemente verwendet. Die Kolleginnen haben hier den Sichtestrichboden direkt von der Straße hereingezogen, mit dem Eichenpodest ist eine getrennte Zone im Raum geschaffen worden. Die Podeste sind eine Anlehnung an die Straße und den Gehsteig. Von der Historie hat jedes Haus gewisse bauliche Strukturen, auf die gehen wir beim Umbauen immer ein.

"Individuelle Übernachtungsmöglichkeiten, wie die Airbnb-Plattform, boomen."

Liegen Sie mit dem individuellen Hotelkonzept am Puls der Zeit?

T.K.: Ja! Diese neue Art von Hotel ist generell ein Trend im Reiseverhalten, individuelle Übernachtungsmöglichkeiten, wie die Airbnb-Plattform, boomen. Wir bieten das jedoch im professionellen Bereich an, wir sind damit rechtlich nicht in der Grauzone. Bei uns kriegen die Gäste Rechnungen, genießen aber sonst alle Vorteile des privaten, unabhängigen Wohnens. Mit der ganzen Stadt als Hotellobby vor der Hotelzimmertüre!

F.H.L.: Bei uns sind Gäste noch viel unabhängiger als in einem Hotel oder einer Airbnb-Wohnung. Es gibt bei uns die Schlüsselsafes, die Nummer dafür wird zugeschickt, und man kann in seiner gebuchten Suite einchecken, wann immer man will.

Warum suchen immer mehr Reisende das lokale, authentische einer Stadt?

T.K.: Das Übernachtungsangebot wird austauschbarer, man wird morgens munter und weiß nicht, in welcher Stadt man ist, weil die Zimmer der Hotelketten überall gleich aussehen, egal, wo man gerade ist. Es wird wieder alles menschlicher, weg vom Überstrukturierten und Austauschbaren.

F.H.L.: Und man sucht wieder mehr nach Qualität, egal in welchem Bereich. Bei uns ist das ein nichtstandardisierter Empfang an der Rezeption.

"Unsere Gäste sind abenteuerlustig, weltoffen und neugierig. Diejenigen, die Angst haben, buchen das Hilton!"

Gibt es Gäste, die Angst haben ob der Erdgeschoßlage?

T.K.: Unsere Gäste sind abenteuerlustig, weltoffen und neugierig. Diejenigen, die Angst haben, buchen das Hilton! (lacht)

F.H.L.: Die Gäste kommen aus jeder Altersschicht, das sind nicht nur junge Menschen. Es kommen auch Gäste, die grade in Pension gegangen sind, aber das Abenteuer lieben. Sie wollen die Stadt anders kennenlernen, diese Möglichkeiten bieten wir. Oder Geschäftsleute, die drei Mal die Woche in einem Hotelzimmer übernachten, die freuen sich, wenn sie mal eine neue Wohnmöglichkeit haben. Die Erdgeschoßlage bietet auch Vorteile, man hat fast das Gefühl, dass man im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung ist. Das Kommen und Gehen ist flexibler, als wenn man im zehnten Stock mit weiteren 30 Zimmern logiert. Man zieht den schweren, dunklen Vorhang zur Straße hin zu und ist geschützt. Zudem gibt es Lärmschutzfenster. Das Bett kann auch hinter einem Vorhang versteckt werden. Dann ist das hier ein schöner Meetingbereich mit dem großen Tisch; oder manche Geschäftsmänner schauen gemeinsam Fußball, das wäre in einem normalen Hotel nicht möglich, dort ist man immer öffentlich.

Fanny Holzer-Luschnig, Sie sind eine erfahrene Hotelfachfrau und haben bereits in Luxushotels in New York und Wien gearbeitet, zuletzt waren Sie Direktorin des 25-Hourshotel. Was macht Sie im neuen Job glücklich?

F.H.L.: Ich bin ein Mensch, der auch das Abenteuer sucht, ansonsten wäre ich in der klassischen Hotellerie geblieben. Mit dem grätzlhotel bin auf eine neue Art und Weise gefordert, ich kann Kreativsein – und auch der Umgang mit dem Gast ist anders, viel direkter, unkomplizierter und persönlicher, das taugt mir.

Werden Sie mit dem grätzlhotel in andere Städte expandieren?

T.K.: Wir haben bereits Kooperationspartner in Istanbul, es sind auch Architekten, die vor ca. zehn Jahren begonnen haben, Dachgeschoßausbauten zu adaptieren. Das Hotelprojekt nennt sich Manzara. Wir suchen nach weiteren Partnern in anderen Städten, aber das Konzept soll jeweils adaptiert werden. Was in Wien das grätzlhotel ist, ist in Istanbul das Manzara, in Berlin das Kiezhotel und in Amsterdam das Grachtenhotel.

Danke für das Gespräch und viel Erfolg!

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