Der Eames

Oktopus, Picknick, Natur

Eames Demetrios ist der Enkel der legendären amerikanischen Designerinnen Charles und Ray Eames. Demetrios ist Leiter des Eames Office in Santa Monica (USA) und Autor mehrerer Bücher über seine Großeltern. Wir trafen ihn im Vitra Design Museum in Weil am Rhein und sprachen über die legendäre Gastfreundschaft der beiden und den hauseigenen Oktopus.

„Ein guter Designer ist wie ein guter Gastgeber.“

Antje Mayer-Salvi: Hast Du ein Lieblingsstück Deiner Großeltern zu Hause stehen?

Eames Demetrios: Eines, das mir sehr wichtig ist, ist die berühmte Chaiselongue. Sie haben sie für ihren Freund, den berühmten Hollywoodregisseur und gebürtigen Österreicher Billy Wilder, entworfen. Für seine Nachmittagsschläfchen! Wilder liebte es, kurze Nickerchen zu halten. Man erzählte mir, dass nach etwa 15 Minuten Schlaf seine Arme zur Seite fielen und er davon dann wieder aufwachte. Charles and Ray hatten übrigens auch so eine Liege in ihrem eigenen Büro stehen.

Wie bist Du zu Deiner gekommen?

Als ich ein Kind war, schickten sie auch uns ein Exemplar. Ich war damals noch sehr jung, aber ich erinnere mich, wie aufregend es war, als dieser große Karton ankam. Wir öffneten ihn feierlich, trugen das Ding ins Wohnzimmer, dabei wurde uns Kindern die Billy-Wilder-Geschichte erzählt. Nachdem unsere Mutter verstorben war, erbte ich das Möbelstück. Es macht mich immer noch glücklich und ist wirklich perfekt für einen Powernap.

Offiziell wurde sie 1968 herausgebracht und heißt ja bis heute „Billy Wilder Chaiselongue“.

Authentizität bei Design unterscheidet sich von der Authentizität in der bildenden Kunst. Billy hatte die Chaiselongue für sich entwerfen lassen und dann haben Charles und Ray Eames sie zu einem marktfähigen Produkt weiterentwickelt. Sie wollten ihren Kundinnen und Kunden eine ähnlich gute – und authentische – Erfahrung wie Billy Wilder ermöglichen. 

„Sie hielten die Experimentierphasen sehr intim.“

Es ist schon komisch, wie sich die Geschichte wiederholt. Ich erinnere mich, dass ich mal bei Billy Wilder in New York anrief, um wegen eines Interviews für ein österreichisches Magazin anzufragen. Seine Frau nahm den Anruf entgegen, um mir zu sagen, dass er nicht an den Apparat kommen könne – weil er gerade ein Schläfchen halte.

Da hast Du's (lacht)!

Wie haben Charles und Ray zusammengearbeitet?

Nach Rays Tod habe ich Hunderte von Stunden an Interviews mit Leuten geführt, die für sie gearbeitet hatten und sie kannten. Auch meine Mutter hat mir viel erzählt. So entstand ein umfassendes Porträt der beiden. Es gab immer eine Phase in ihrem Designprozess, in der Ray und Charles allein für sich, ohne Dritte, arbeiteten. Ihren ersten Film Traveling Boy drehten sie mit einfachsten Mitteln zu zweit, auf einer Tischplatte im Studio. Sie wollten nicht die Zeit anderer Leute verschwenden, während sie noch in der Experimentierphase seien, meinte Ray. Sie hielten diese Phase sehr intim. Wenn sie dann marktfähige Produkte entwickelten, kamen natürlich Mitarbeiter dazu, die sie unterstützten.

Haben die beiden öfter gestritten?

Sicher gab es während des gemeinsamen Entwerfens Frustrationsmomente. Ein wichtiger Teil ihres Umgangs damit war, dass sie lieber mit dreidimensionalen Prototypen arbeiteten. Wenn man nur mit einer Skizze werkt, interpretiert jeder diese ein bisschen anders. Wenn man aber den Prototypen eines Stuhls dreidimensional vor sich stehen hat, der zum Beispiel an einer Stelle falsch gebogen ist, kann das jeder, der davor steht und darauf sitzt, eindeutig feststellen. Der Interpretationsspielraum wird kleiner, man hat eine gemeinsame Basis.

„Ein sehr modernes Paar!“

Haben sie das immer gemacht?

Das war ihre Methode. Als sie die Lobby für das Time-Life-Gebäude in Manhattan, New York entwarfen, das den modernen Bürostyle der 1960er-Jahre einläutete, bauten sie tatsächlich die ganze Lobby in ihrem Studio nach.

Sie waren für die Zeit ein sehr modernes Paar! Gab es eine Arbeitsaufteilung?

Das waren sie! Ich sehe immer wieder, wie Leute sehr viel Energie darauf verwenden, die Designbeiträge der beiden aufzuteilen und trennen zu wollen. Manche sagen, Ray sei die Malerin – und keine Frage, sie wurde als Malerin ausgebildet und war sehr gut darin–,  aber Charles malte ebenfalls und beide hatten überhaupt einen guten Riecher für Farben. Sie wollten mit ihnen immer etwas mitteilen. Die Farben an der Außenseite ihres ikonischen Eames-Hauses (erbaut 1949 im Pacific-Palisades-Viertel in Los Angeles, Anm. d. Red)  sind nicht nur dazu da, um schön zu sein. Vielmehr ging es ihnen darum, dass diese etwas über das Innere des Gebäudes aussagen – sie weisen auf die Raumaufteilung im Inneren hin und vermitteln subtil, wie das Haus funktioniert. 

Wenn Du sie dort besucht hast, wie hast Du Dich gefühlt? Wie war das?

Es war aufregend! Manchmal kamen alle fünf Enkel gleichzeitig, manchmal war ich allein bei ihnen. Wir aßen viel Eis und spielten mit ihren Spielzeugen, die sie zu entwerfen liebten. Außerdem waren sie sehr neugierig. Hättest Du sie besucht, hätten sie Dich wahrscheinlich über das aktuelle Kulturangebot, die neuesten Filme und Ausstellungen in Wien ausgefragt. Sie waren zu uns Kindern unglaublich nett und immer sehr gastfreundlich. Sie luden uns ein, ihre Modelle anzusehen, an denen sie gerade arbeiteten. Sie nahmen uns mit ins Studio, erklärten uns alles und vertrauten darauf, dass wir gut aufpassen und nachfragen würden, falls wir etwas nicht verstanden. Sie sprachen mit uns Kindern auch nie von oben herab, auch generell nie mit anderen Menschen.

„Sie sprachen mit Kindern nie von oben herab.“

Charles und Ray Eames müssen wirklich ausgesprochen liebevolle Gastgeberinnen gewesen sein!

Was Menschen mit Design verbindet, ist das Prinzip von „Form follows function“. Die beiden schätzten diese Philosophie sehr, aber was ihnen noch mehr am Herzen lag, war die Idee, dass die Rolle des Designers im Grunde die eines guten Gastgebers ist, der die Bedürfnisse seiner Gäste vorwegnimmt. 

Sie hielten sich einen Oktopus! Stimmt es, dass dieser Charles wie ein Hund erkannte und begrüßte?

Der war auch sehr gastfreundlich (lacht). Charles und Ray wurden von der US-Regierung eingeladen, in Washington D. C. ein nationales Aquarium zu entwerfen. Leider wurde das Geld dafür aus dem Bundeshaushalt gestrichen, sodass es nie gebaut wurde. Sie entschieden sich dann dafür, trotzdem in ihrem Studio ein Aquarium einzubauen und kamen so schließlich zum Oktopus. Diese Tiere sind sehr intelligent. Charles begann, ihn zu füttern, und das Ganze ging so weit, dass der Oktopus ihn erkannte, sobald er bei der Hintertür ins Studio kam und zu ihm hinschwamm. Ich habe es selbst gesehen. 

„Was ist der gemeinsame Nenner?“

Sie waren beiden sehr empathische Menschen, die für einen mitdachten.

Genau, das wollten sie auch in ihren Arbeiten umsetzen. Die entscheidende Frage war immer für sie, was ist der gemeinsame Nenner? Sie haben versucht, das Universelle im Menschen zu finden.

Wie hat das Haus von innen ausgesehen? War es sehr aufgeräumt oder eher chaotisch und kreativ?

Es war beides, es war in gewisser Weise organisiert.

In gewisser Weise!?

Es war vollgestopft mit Sachen, also war es keine minimalistische, modernistische Wohnung. Sie haben ziemlich viel gesammelt – alles, was sie spannend fanden. Es war für mich als junger Mann in mehrfacher Hinsicht großartig. Zunächst einmal war ihr Haus umgeben von Natur, was für Los Angeles bemerkenswert ist. Es ist eine kleine Oase, bis heute! Wir haben dort oft gemeinsam fotografiert, was mir große Freude bereitete.

Ist es wahr, dass Charles und Ray jeden Tag picknicken gingen?

Mehr oder weniger, wenn sie nicht gerade im Studio arbeiteten. Mit Picknick meinten sie, dass das Essen auf einem Tisch ausgebreitet wurde, aber immer draußen. Im Büro hatten sie ihren eigenen Koch angestellt, was sich sehr glamourös anhört, aber einfach effizienter war, als auswärts zu essen. 

„Ray sagte: ‚Sei immer freundlich!‘“

Das bringt mich zu einer anderen Frage: Die 60er- und 70er-Jahre waren eine Zeit des aufblühenden Umweltbewusstseins. War das auch ein Thema für Charles und Ray?

Absolut, in Amerika sagt man, die Leute verwirklichten sich den Traum von zwei Autos in jeder Garage, aber das hat ihnen den Lake Michigan gekostet. Charles und Ray waren der Meinung, dass viele Veränderungen auf uns zukommen werden und dass wir lernen müssen, damit umzugehen. Ray war diejenige, die darauf bestand, dass kein Rio-Palisander-Holz mehr verwendet wird, weil dafür der Urwald gerodet wird.  

Haben Ray und Charles Dir ein Motto oder einen Leitsatz für Deine Zukunft weitergegeben?

Ray sagte: „Sei immer freundlich“, das war ihr Rat. In Bezug auf ihre Arbeit sagten sie: „Kümmert Euch um die Entwürfe und kümmert Euch um das Haus“, das erwarteten sie von uns. 

„Keine Zeit verschwenden“

Hatten beide Angst vor der Zukunft?

Charles' Vater starb, als er 14 Jahre alt war. Er war Detektiv bei der Eisenbahn, als er einen Raubüberfall vereitelte, erschoss ihn der Täter auf dem Bahnhofsgelände. Seine Mutter hatte nur eine kleine Rente, mit der sie die Familie ernährte. Er wusste, wie es war, mit wenig Geld auszukommen.

Das Bild der Eames ist immer sehr optimistisch und positiv. Ich frage mich aber, ob das die ganze Wahrheit ist. Gab es Dinge, denen sie kritisch gegenüberstanden oder vor denen sie Angst hatten?

Sie wussten, dass nicht alle Menschen gut mit Veränderungen umgehen können. Vielleicht weil sie die Angst davor zuweilen bei sich selbst feststellten. Die Analogie, die sie verwendeten, war die eines Fisches: Manche Fische leben im offenen Meer und brauchen die Strömung, müssen mit ihr schwimmen. Andere Fische, die in Küstennähe und in Gezeitentümpeln leben, brauchen diese nicht. Charles hatte das Gefühl, dass wir kulturell und in unseren Gefühlen immer pelagischer (im offenen Meer lebend, Anm. d. Red.) werden. Um sich unter diesen Umständen sicher zu fühlen, muss man mit dem Wandel gehen, ihn verstehen lernen und sich auf diesen einlassen.

Was können wir von Charles und Ray Eames im Leben lernen?

Als Charles einen Vortrag an einer kanadischen Universität hielt, war das sein Rat an die Studierenden: Jeder und jede hat einen Spielraum im Leben, ein bisschen zusätzliche Zeit und Ressourcen, manche mehr, manche nur ganz wenig. Diesen sollte man eifersüchtig hüten. Wenn man der Welt etwas mitzuteilen hat und ihr helfen kann, darf man keine Zeit verschwenden.  

In diesem Sinne: Vielen Dank für das Gespräch!

Eames Demetrios (*1962) ist Künstler, Filmemacher und Direktor des Eames Office in Santa Monica, dessen Aufgabe es ist, die Arbeit von Charles und Ray Eames zu erforschen, archivieren, sammeln und zu publizieren. Charles (1907–1978) und Ray (1912–1988) gehören zu den prägendsten Designerinnen des Jahrhunderts, die sich vor allem mit ihren ikonischen Stuhldesigns unsterblich gemacht haben.

Vitra lanciert eine limitierte Auflage von 500 Stück des berühmten Eames Fiberglass Armchair mit schlafender Steinberg-Katze. Wenn Sie daran interessiert sind, am besten gleich dafür registrieren.

(dp)

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