Der Boxer

Kampfsport als Tanz

Henry Lewis, Mr. Lewis wie ihn seine Schüler respektvoll nennen, lebt in Wien und bringt Menschen das Boxen bei. Menschen, die er damit für immer verändert. Vor 15 Jahren hat er das White-Collar-Boxing nach Wien gebracht, also das harte Boxtraining für Fitnessbewusste, und er trainiert außerdem professionelle Fighter.

Zum Beispiel Mairbek „Beckan“ Taisumov, Leichtgewichtler in der weltweit größten Mixed Martial Arts Organisation UFC, oder den Thaiboxer Ndombi Kande. Jose Lantigua Suarez, heute einer der besten Thaiboxtrainer in Österreich, hat er auf den erfolgreichen Titelkampf für die Europameisterschaft vorbereitet. Er besitzt Lizenzen als Boxpromoter, Manager, Trainer und einen Abschluß als Kampfpromoter an der Fight Promoter University in Kalifornien.

Wenn Mr. Lewis zeigt, wie man einen Uppercut richtig schlägt, oder vorführt, wie man dem Gegner ausweicht, dann wird Kampfsport zum Tanz. Das Wichtigste, sagen die, denen er das Boxen beibringt, ist aber seine Gabe andere zu motivieren. In Wien lebt er seit 1992. Er hat sich durchgekämpft hier. Geboren in Nigeria, der Vater Regierungsbeamter, die Mutter Amerikanerin, eine Geschäftsfrau aus Chicago. Als Kind lebte er abwechselnd in den USA und in Nigeria. Frauen, erfahren wir, haben in seinem Leben oft eine entscheidende Rolle gespielt.

Maribel Königer: Warst Du schon immer Boxer?

Henry Lewis: Nein. Zuerst war ich Fußballtorwart. Meine Freunde haben aber alle gekämpft. Auf Sand kämpfen ist eine afrikanische Tradition, so beweist man seine Männlichkeit. Doch ich habe Boxen immer schon geliebt. Wie meine Mutter, die ein großer Fan von Muhammad Ali war. Wenn einer seiner Kämpfe im Fernsehen lief, mussten wir Kinder immer still sein. Ich hatte einen guten Freund damals, Sonny. Er hat mich mit in den Boxclub genommen. Wir haben ihn immer Sonny Liston genannt. (grinst) Wir alle hatten Spitznamen, mich haben sie nach Thomas Hearns benannt, weil ich groß bin und mich schnell bewege. Ich war Hitman Hearns, weil jeder zu Boden geht, wenn ich zuschlage. Damals war ich 12. Nach ein paar Monaten habe ich wieder aufgehört zu Boxen. Aber dann hat mich ein Mädchen niedergeschlagen.

"Ich war damals der Klassenclown."

Wie bitte?

Ich war damals der Klassenclown. Sie meinte, ich solle endlich ruhig sein, was ich natürlich nicht tat. Nach der Schule hat sie auf mich gewartet: verrückt. Ich habe angefangen mich wie ein Boxer zu bewegen, sie ist auf mich zugekommen, hat mich einfach gepackt und auf den Boden geworfen. Sie war größer als ich und hat sich auf mich gesetzt und mir Erde in den Mund gestopft! Von da an habe ich wieder mit dem Boxen angefangen und nie mehr aufgehört.

Wie lange hast du aktiv gekämpft?

Ich war 18, als ich meinen ersten Kampf hatte. Auch für meinen Gegner war es der erste und wir wollten natürlich beide nicht verlieren. Ich habe dann verloren - und viel gelernt. Der Kampf fand in seinem Club statt. Alle haben mir gesagt, dass eigentlich ich gewonnen hätte. Aber das war Quatsch. Wenn ich gegen jemanden vor seinem Heimpublikum kämpfe, dann muss ich ihn KO schlagen oder ich verliere. Beim zweiten Kampf bin ich kein Risiko mehr eingegangen und habe den anderen gleich KO geschlagen. Es war eine Lektion fürs Leben: wenn du zu Boden gehst, darfst du nicht liegen bleiben. Steh wieder auf! Mach es noch mal! Jede Erfahrung gibt dir Kraft und stärkt die Motivation. Ich hab dann noch oft gekämpft und gewonnen. Erst als ich nach Österreich kam, hab ich mit dem aktiven Boxen aufgehört.

"Die Frauen sind die Engel dieses Planeten."

Wie war das, als du nach Wien kamst?

Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Ich kam am Westbahnhof an und nahm mir ein Hotel, weil ich nicht wusste, wo ich hin sollte. Ich wollte in Wien Flugtechnik studieren, aber ich sprach ja noch kein Deutsch und musste zuerst eine Sprachschule besuchen. Ich hab dann einen anderen schwarzen Typen kennengelernt, der mir erklärt hat, dass die Leute hier keine Schwarzen mögen, wir würden hier nie akzeptiert. Da wollte ich eigentlich gleich wieder abreisen.

Du bist dann aber offenbar geblieben ...

Ja, ich bin dann aus dem Hotel aus- und bei diesem Typ und seinen Freunden eingezogen. Es stellte sich aber raus, dass ich da in schlechter Gesellschaft war. Einer der Jungs hat gedealt. In dem Moment war klar, dass ich da weg musste. Um zu Geld zu kommen, damit wir uns eine eigene Wohnung ohne den Dealer leisten konnten, haben meine neuen Freunde und ich Bilder gemalt, die wir in ganz Österreich an der Tür verkauft haben. Wir haben ein Auto gemietet und sind bis nach Tirol oder Vorarlberg gefahren. Wir sagten, wir seien Studenten und verdienten so unseren Lebensunterhalt. Die Bilder haben 50 Schilling (EUR 3,64) gekostet.

Und das hat funktioniert?

Absolut. Das war das, was die schwarzen Studenten damals alle gemacht haben. Das hat auch meine Meinung über die Österreicher verändert. Die Leute haben meine Bilder gekauft. Die älteren Damen haben uns mit Essen versorgt, manche haben statt 50 sogar 100 oder 200 Schilling bezahlt. Viele wollten gar kein Bild. Gestört hat damals nur die Gendarmerie. Wenn die Schwarze in einem Dorf gesehen hat, hat sie sie eingesammelt und zum nächsten Bahnhof gebracht. Wir sollten zurück nach Wien fahren. Die Bilder haben sie behalten. Das war ok, denn wir sind am nächsten Tag einfach in ein anderes Dorf gefahren. (grinst) Aber wenn Jungs dabei waren, die keine Papiere hatten, dann kamen die sofort in Schubhaft und wurden abgeschoben.

Und dann kam eine Wende in deinem Leben?

Ja. Zuerst bin ich allerdings nochmal in die falschen Kreise geraten, als ich vom 5. in den 10. Bezirk gezogen bin. Dort waren die schlimmsten Typen, die handelten mit allem, Drogen inklusive. Ich könnte das niemals tun. Ich komme aus einer religiösen Familie. Wir glauben an Gott, trinken keinen Alkohol und beten viel. Drogen zerstören Leben, sie bringen Menschen um. Aus dieser Lage hat mich dann eine Frau befreit. Ich habe mich verliebt und meine erste österreichische Freundin hat mich gerettet. Sie hat gesagt: schnapp dir dein Zeug und komm mit. Ich bin dann bei ihr eingezogen. Die Frauen sind die Engel dieses Planeten.

"Meine Idee war, viele verschiedene Menschen zusammenzubringen: Männer, Frauen, Junge, Ältere."

Und nebenbei hast du geboxt?

Ja, ich hab bei Box-Union Favoriten trainiert. Dort waren damals alle berühmten Boxer, auch einige aus Nigeria: Said Lawal, hervorragender, sehr gefährlicher Boxer, oder James Osunsedo. Der Welt- und Europameister Edip Sekowitsch war mein Freund und sehr stolz auf mich. Er wurde 2008 ermordet, möge er in Frieden ruhen. Mein erster Trainer war Alfred Marek, der jetzige Besitzer. Einer der Besten. Ein Verrückter zwar, aber ein netter Kerl. Und dann Josef „Pepi“ Kovarik, für mich der Nummer 1 Trainer in Österreich. Mein Vorbild war aber natürlich Nojim Maiyegun. Er war der erste Sportler aus Nigeria, der eine olympische Medaille gewonnen hat, 1964 in Tokio holte er Bronze im Leichtmittelgewicht. Er war schon blind, als ich ihn in Wien kennenlernte, aber er hat mir viele wertvolle Tipps gegeben.

Eines Tages kam jemand von Sauerland aus Deutschland und hat nach guten Kämpfern gesucht. Sie suchten zwei Mittelgewichtler. Im Club sagten sie mir, sie hätten mich und Abey, den Sohn von Nojim, vorgeschlagen. Als der Sauerland-Mann dann kam, war ich gerade nicht da. Plötzlich hieß es, sie wollten nur noch einen Mann. Abey Maiyegun, ein toller Boxer, ging nach Deutschland. Pech. Das wäre meine größte Chance gewesen. Schließlich habe ich es beim Training übertrieben. Zweimal am Tag, vor und nach der Schule, das war zu viel. Ich hab mir zwei Wirbel gebrochen. Zu der Zeit sollte ich gegen einen der besten ungarischen Kämpfer antreten. Der Arzt hat mir gesagt, wenn ich kämpfe, riskiere ich eine Lähmung. Als ich meinem Manager sagte, dass ich nicht kämpfen würde, war er sauer auf mich. Alle waren sauer. So kam es zum Bruch zwischen dem Manager, dem Trainer und mir. Da habe ich aufgehört.

Wie hast du damals Geld verdient?

Ich hab für einen Club gearbeitet, das Durdak in Favoriten. Ich stand an der Tür und hab mich ums Geschäft gekümmert. Die Besitzer waren sehr nett, sie haben mich gesponsert und mir geholfen, wenn Rassisten auf mich losgegangen sind.

"Meine Botschaft ist: Respektiere dich selbst!"

Kam das oft vor?

Sehr oft. Einmal kam die Polizei zu einer Schlägerei im Club. Ich war unbeteiligt, aber sie haben nur mich gepackt und in den ersten Stock gebracht. Einer hat telefonisch gemeldet, dass sie “einen Neger“ haben. Sie haben ein Protokoll geschrieben und mich dann freigelassen. Das ist mir mehr als einmal passiert: Ich habe Streitende im Club trennen wollen und mich haben sie festgenommen. Einmal hat mich die Polizei mit aufs Revier genommen und nackt ausgezogen, um mich nach Drogen zu untersuchen. Das passiert dir nur, wenn du ein schwarzer Mann in diesem Land bist.

Trotzdem bist Du dann bei dem Job gelandet, den du jetzt machst. Du machst andere zu stärkeren Menschen.

Ja. Wieder mal gab eine Freundin den Anstoß. Ich suchte einen Boxclub für sie, in dem sie trainieren konnte. Und fand keinen. Viele haben tatsächlich gesagt, sie trainieren keine Frauen! Das war 1995/96. Ich bin dann zu einem neuen Fitnessclub in Wien gegangen und habe gefragt, ob sie einen Boxkurs anbieten wollen. Sie wollten. Meine Idee war, viele verschiedene Menschen zusammenzubringen: Männer, Frauen, Junge, Ältere. Es kamen viele, das war der Anfang meiner Karriere als Fitnessboxtrainer.

In deinen Kursen sind Banker, Ärzte, Richter, Business People, Studenten. Mindestens so viele Frauen wie Männer. Was lernen sie bei Dir?

Ich möchte den Frauen etwas zurückgeben. So viele Frauen haben sich um mich gekümmert, waren da, als ich jemanden gebraucht habe. Daher konzentriere ich mich im Training oft auf die Frauen. Ich will, dass sie selbstbewusster, furchtloser werden. Männer können auf sich selbst aufpassen. Ich schätze, dass bei 90 % der Leute, die ich trainiert habe, etwas hängenbleibt, das sie ihr ganzes Leben lang motiviert.

"Das ist das Tolle: die Wirkung, die ich auf Menschen habe, überlebt mich."

Meine Trainingsgruppe ist das beste Team, das man sich vorstellen kann. Ich habe über 200 Verwandte über die Welt verstreut, aber die sehe ich nie. Hier ist meine neue Familie, diese Leute geben mir das Gefühl hier zuhause zu sein.

Was ist deine wichtigste Botschaft?

Behandle die anderen mit dem Respekt, mit dem du behandelt werden möchtest. Respektiere dich selbst.

Was willst du als nächstes erreichen?

Ich habe eine Idee für eine große Boxveranstaltung, mehr will ich nicht verraten. Die Suche nach Investoren ist sehr schwierig, als Schwarzer musst du hier die richtigen Leute kennen, sonst bist du ein Niemand. Aber ich weiß, dass es ein tolles Projekt ist. Ich bleibe dran.