Wendy Jim

Bonnie & Clyde

HELGA SCHANIA und HERMANN FANKHAUSER sind WENDY JIM. Sie gehören zu den erfolgreichsten DESIGNERINNEN aus Österreich. Wir sprachen über PARIS, Blumenpflücken und wie es sich anfühlt, wenn KANYE WEST anruft und man gerade nackt im Wohnzimmer steht.

„Sex in frischer Bettwäsche“
C/O Vienna Wendy und Jim

Auf was kommt es im Leben an?

Helga Schania: Das man mit dem, was man macht, glücklich ist. 

Hermann Fankhauser:  Im Jetzt zu sein!

Ist das, was Ihr macht, Kunst?

H.S.: Nein, aber wir finden es gut, wenn das die Leute so sehen. 

H.F.: Wenn wir Mode machen, agieren wir wie Regisseure, die einen Film drehen. Aber wer schaut sich schon gerne einen Kunstfilm an? Meistens kompliziert. Mode muss am Ende entertainen – das ist das Ziel von unserer Arbeit.

Ist Mode dann nur etwas Oberflächliches?

H.F.: Im Grunde ja und ich liebe das! Ich will die Leute geil aussehen lassen. Ich ziehe niemanden an, weil irgendein Kunstkonzept dahintersteht. 

Aber lustig darf sie dann nicht auch noch sein, oder?

H.F.: Aber bitte doch, das ist das Um und Auf! Wendy Jim soll es so lange geben, solange wir Spaß miteinander haben und uns gemeinsam in Ideen reinsteigern können. Ein gutes Beispiel dafür ist unser „Parfüm Drop 01“, das Parfümeur Wolfgang Lederhaas für uns 2012 kreiert hatte. Uns waren die meisten Düfte damals zu laut, wir empfanden sie an der Kippe zum Stinkenden. Wir wollten es besser machen. Dieser neue Duft sollte diesen Aha-Effekt haben, etwas beinhalten, was man bis dahin noch nicht kannte. Wir wollten eine Art Dissonanz – das Parfum sollte gleichzeitig gepflegt, aber auch „menschlich“ riechen. Am Ende beschrieben wir den Duft mit „Sex in frischer Bettwäsche“ (lacht). 

H.S.: Spaß ist ganz wichtig. Mode muss zwar einen Bezug zur Gegenwart haben, darf aber nicht nur trendy sein, sondern sollte langlebig funktionieren. 

„Wir wollten es besser machen.“

Wen immer man fragt, niemand glaubt daran, dass Wien irgendwann noch einmal eine Modestadt wird. Welche Stadt ist es dann?

H.F.: Alle behaupten, Retail, also das Verkaufen in Geschäften, sei tot. Wir können das bestätigen. Aber nicht, dass unser heiliges Paris nicht mehr das ist, was es einmal war. Zehn Jahre lang hatten wir dort tatsächlich keine Shows mehr gezeigt, erst vor fünf Jahren (2018) wieder. Trotzdem ist Paris nach wie vor das Zentrum für Fashion: Dort sind die Agenturen, Brands, Studios, Models ansässig – die ganze Infrastruktur, die man braucht. In Wien geht es bei Mode eher um Unterhaltung, in Paris um Business. 

Die Zeitenwende in der Mode ist spätestens seit Corona ausgerufen. Hat sich Eure Arbeit als Modedesignerinnen auch so grundlegend geändert?

H.S.: Durch die Pandemie haben viele Menschen angefangen, sich von uns Kleidung maßschneidern zu lassen. Einige haben ihre gesamte Garderobe von uns und kaufen mehr, als ein einzelnes Geschäft jemals angefragt hatte. Wir designen mittlerweile ganz unterschiedliche Sachen, auch Brautkleider, die machen überhaupt ziemlich viel Spaß. 

H.F.: Die Denkprozesse, die hinter unserer Mode stecken, interessieren die Menschen wieder. Momentan verkaufen wir im Grunde nur online. Das ist gut so, Läden mit unseren Sachen zu dekorieren, interessiert uns nicht. Wir produzieren vor allem Special Collections. Merchandise für Künstlerinnen und Uniformen für Hotels oder Restaurants. Die eigenen Kollektionen sind die Kür. Die Direktaufträge müssen dagegen einfach funktionieren.

Man sieht es Euch und Eurem Label nicht an, aber Ihr habt Wendy Jim schon 1999 gegründet. Gab es zwischendurch nie einen Durchhänger?

H.S.: Nie. Wir haben in all den Jahren – trotz der Wirtschaftskrise und der Unlust, Shows zu machen – keine einzige Kollektion ausgelassen. 

H.F.: Den Drang zum nachhaltigen Arbeiten hatten wir schon 2009, als die Wirtschaftskrise um sich griff. Das hat unser Arbeiten sehr verändert. Auch wenn das Wort noch nicht so salonfähig war wie heute, wollten wir schon damals transparent machen, woher unsere Stoffe kommen.

„Es ist, wie einen Blumenstrauß zu pflücken.“
C/O Vienna Magazine Wendy & Jim

Man kann die Worte „Nachhaltigkeit“ und „Fairness“ – besonders in Bezug auf Fashion – eigentlich nicht mehr hören, auch wenn es enorm wichtig ist. Würdet Ihr Euch als ein faires Unternehmen bezeichnen?

H.S.: Wenn etwas unter dem Label „Fairness“ laufen soll, muss das alle betreffen: Weberinnen, Näherinnen und Designerinnen – also auch uns (lacht). Früher haben wir sehr viel selbst gemacht. Wer denkt schon, daran, dass tatsächlich etwas von den Designern selbst am Kleidungsstück produziert ist, wenn man etwas im Laden kauft? Wir haben uns um alles gekümmert: Pakete packen, fehlende Knöpfe ergänzen und so weiter, an unseren Stücken war quasi Herzblut dran.

H.F.: Früher haben wir in Österreich produziert, aber irgendwann waren die Stückzahlen zu hoch. Wir haben Verschiedenes ausprobiert: in den USA, Slowenien, Ungarn und Portugal.

Auch in China?

H.S.: Wenn man in einem Restaurant die Küche sehen darf, ist das immer ein gutes Zeichen. Das Gleiche gilt für Mode. Wenn man die Produktionsstätte nicht besichtigen darf, sondern in einem Büro abgefangen wird, dann funktioniert das nicht. In China ist uns das mehrmals so passiert. 

In Europa kaufen sich die Leute im Schnitt sechzig neue Klamotten im Jahr!

H.S.: Die durchschnittliche Europäerin stirbt mit 40.000 Gegenständen in ihrem Besitz. Wahnsinn, oder? Die Überproduktion von Kleidung ist immens. Auch deswegen liegt es in unserer Verantwortung, nicht ständig sinnloses Zeug auf den Markt zu bringen.

„Erst mal streiten“

Viele kennen Euch über Instagram. Verändert sich Eure Mode durch die Social Media?

H.F.: Ja, weil wir direkt mit den Endkunden kommunizieren können. Wenn eine Person fragt, ob sie ein Kleidungsstück in einer anderen Farbe haben kann, macht man das als Designer eher nicht. Aber wenn auf einmal ganz viele danach fragen, ist das etwas anderes und man überlegt sich, darauf zu reagieren. Mode wird dadurch viel spannender. Die aufregenden Teile einer Kollektion werden wieder am meisten verkauft und nicht der langweilige graue Sumpf, der auf Nummer sicher von den Shops angefragt worden ist. 

Wie fühlt sich Eure gemeinsame Arbeit an?

H.F.: Am besten ist es, wenn sich das Arbeiten mit Hermann anfühlt, als würde man sich beim Spielen vergessen. Eine Kollektion zu machen, ist, wie einen Blumenstrauß zu pflücken. Mittlerweile wissen wir, wenn es sich rund anfühlt. Wenn ich die fertigen Sachen auf der Kleiderstange sehe, kommt eine riesige Lust auf, sie zu zeigen! 

Eure Shows sind immer ein großes Spektakel und ich weiß, Ihr liebt es, Eure Mode auf dem Laufsteg zu präsentieren. Wie am liebsten?

H.S.: Es geht um die richtigen Menschen! Ganz wie wir es uns vorstellen, sieht es immer nur kurz vor der Show aus, wenn alle von uns gestylt sind. Wir haben immer von Gruppen geträumt, ob Punk oder uniformiert.

H.F.: In einer Gemeinschaft kann man sich mehr trauen! Egal, was wir anziehen, wir treten immer als Teil einer Bewegung auf. Wir müssen nur die richtigen Counterpartner oder -partnerinnen finden. 

„Wir fanden unsere Namen – Helga Maria und Hermann Josef – super bescheuert.“

Ihr arbeitet seit 23 Jahren miteinander. Ging das bisher immer gut?

H.F.: Für die meisten Kollektionen müssen wir uns erst mal streiten. Und dann wird es erst richtig gut. 

Das Ende einer Kollektion ist der Anfang der nächsten. Das stelle ich mir enorm stressig vor!

H.F.: Nein, das ist das Lustigste daran! Eine Zeit lang haben wir acht Kollektionen im Jahr gemacht. Es kommen dann Agenten, die sagen: „Wir könnten noch mehr Geld machen, wenn wir auch noch eine Weihnachtskollektion herausbringen.“ Da lässt man sich auch mal überreden. Heute machen wir nur noch Sachen, auf die wir Lust haben. Die Zukunft der Mode muss auf das Werk und nicht auf die Saison bezogen sein! Wenn ich so etwas wie „Die zehn wichtigsten Sommertrends 2023“ lese, denke ich nur: „Bitte, was soll das?!“ Oft ist es doch so, dass die Kleidungsstücke, für die man die meisten Komplimente bekommt, die Sachen sind, die man schon seit zehn Jahren im Schrank hat. Außerdem ist das Innenleben von Klamotten, also wie sich die Dinge anfühlen, genauso wichtig wie der Look.

Warum heißt Ihr eigentlich Wendy Jim?

H.S.: Wir haben als Studentinnen das Styling für einen Werbespot für eine Bank gemacht und mussten unbedingt einen Namen in die Klamotten nähen, damit wir sie wieder zurückbekommen (lacht).

H.F.: Wir fanden unsere eigenen Namen – Helga Maria und Hermann Josef – super bescheuert. Deswegen haben wir nach einem Namen gesucht, der wie irgendwer klingt. Es hätte auch Bonnie und Clyde, Barbie und Ken, er und sie sein können. Zwei Menschen, die Mode für Männer und Frauen und alles dazwischen machen. 

Wie sahen Eure ersten Kollektionen aus?

H.F.: Für unsere erste Mode, die wir in Paris gezeigt haben, hatten wir nur das Geld zur Verfügung, was wir beide auf dem Konto hatten. Wir haben uns ein Konzept überlegt, damit wir überhaupt sechzehn Outfits präsentieren konnten. Acht Looks waren weiß, acht schwarz, und wir haben die Röcke jeweils um zehn Zentimeter gekürzt. Der kürzeste war nur noch der Bund. Das war eine Notlösung, um unsere Geldnot zu verbergen. Aber dafür wurde uns das Wort „Avantgarde“ angehängt. 

H.S.: Danach wurden unsere Produktionen immer komplizierter. 

„Kanye West ruft an und ich bin noch nackt.“

Das heißt ...?

H.S.: Wir haben eine Simultan-Kollektion gemacht, bei der wir die Kleidung geteilt haben. Außen ein Smoking, innen eine Jogginghose. Damit waren die Leute total überfordert. 

H.F.: Trotzdem haben bekannte Leute unsere Sachen getragen, zum Beispiel Chilly Gonzales und Missy Elliott. 

Ihr habt auch mit dem – zugegeben mittlerweile ziemlich durchgeknallten – Popstar Kanye West zusammengearbeitet?

H.S.: Kanye West hat sich mittlerweile mit seinen rassistischen Nazi-Hitler-Aussagen, die wir absolut nicht akzeptieren können, ziemlich ins Aus gespielt. Aber trotzdem ist es, glaube ich, okay zu sagen, dass wir Kanye West auch sehr viel zu verdanken haben. Es hat ziemlich lustig angefangen. Ich bin morgens um sechs Uhr aufgestanden und habe gesehen, dass mich eine Nummer aus L.A. angerufen hat. Ich war noch nicht einmal angezogen, aber ich dachte, es ist bestimmt das Management, ich rufe mal schnell zurück. Und dann geht jemand dran und sagt: „Hello, this is Kanye West.“ Und währenddessen bin ich nackt im Wohnzimmer herumgehüpft (lacht). 

Kanye West ruft an – und dann?

H.S.: Fünf Tage später sind wir im Flieger nach L.A. gesessen und haben mit ihm an seiner Modelinie gearbeitet. Ein halbes Jahr lang sind wir zwischen den USA und Wien gependelt. In dieser Zeit haben wir Kim Kardashian und Kanye West gut kennengelernt.

„Im Jetzt sein“

Wie war die Arbeit mit so einem Superstar?

H.F.: Kanye kann trotz aller seiner schrecklichen Äußerungen schon auch ein toller Denker sein. Ich hatte selten so viel Spaß an der Entwicklung einer neuen Linie gehabt wie mit ihm. Er und Kim haben sich wirklich mit uns auseinandergesetzt und uns in Erinnerung gerufen, wofür wir stehen. Wir haben wahnsinnig viel miteinander gesprochen, auch wenn wir in Wien waren, täglich lange telefoniert. 

Und über was habt Ihr Euch unterhalten?

H.S.: Über alles, was sich zwischen Leben und Tod abspielt. Wir haben über Jacken geredet, genauso wie über sein Haus und die Kinder. 

H.F.: Der amerikanische Stil ist irrsinnig inspirierend. Wir waren nie allein, Kanye hat uns an einen Tisch mit dem CEO von Victoria's Secret, dem Produktmanager von American Apparel und einem Studenten aus Malaysia gesetzt. Er kann schon auch ein super Kurator und Networker sein.

Hat Euch der Kontakt zu ihm karrieretechnisch weitergebracht?

H.F.: Gerade ist das erste Mal, dass wir öffentlich darüber reden. 

H.S.: Im Kontakt mit Kanye haben wir gemerkt, dass wir noch nichts von jener Welt gesehen hatten, die er uns gezeigt hat. Welche Energie er freisetzt, ist wirklich irre. Er hat in dem gleichen Haus, in dem wir in L.A. gearbeitet haben, seine Musik produziert. Diese Gesamterfahrung hat uns geholfen, unseren Stil noch stärker zu spüren. Er ist jetzt einen anderen Weg abgebogen, wohin, wissen wir nicht. Wir gehen unseren.

Danke für das Gespräch!

Wendy Jim
Hinter Wendy Jim stehen HELGA SCHANIA und HERMANN FANKHAUSER. Gemeinsam studierten sie bei HELMUT LANG an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Nach Lang war Wendy Jim das erste österreichische Modelabel, das seine Kollektion im Jahr 1999 in Paris zeigen durfte.
2008 brachte Wendy Jim das erste Mal eine kommerzielle Jeans-Linie auf den Markt, später folgte ein Designerparfum und eine Unterwäschekollektion. Nicht nur in Österreich mischt Wendy Jim die Modewelt auf, auch international hat sich das Label einen Namen gemacht und arbeitete unter anderem mit KANYE WEST und KIM KARDASHIAN zusammen.

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