Studio Visit bei Henrike Naumann

Meisterin der Möbel

Man fürchtet, sich zu verirren im Gängelabyrinth der Leiser-Schuhzentrale in Berlin. Dorthin ist Henrike Naumann (*1984), Shootingstar der jungen deutschen Kunstszene, erst vor Kurzem mit ihrem Team gezogen. Sie braucht viel Platz, denn Möbel und Alltagsobjekte sind die Medien, aus denen sie ihre außergewöhnlichen Szenerien entwirft und Themen wie Konsumwahn, Identitätsverlust oder Radikalismus ins Dreidimensionale übersetzt. Uns empfängt die Künstlerin gut gelaunt in Plüschpantoffeln zu einer Tour durch ihr mehrstöckiges Wunderkabinett der Objekte. 

„Direkt von den eBay-Kleinanzeigen in die Ausstellung“

Nina Prader: Warum hast Du Dich für diesen Arbeitsort inmitten des kommerziellen und urbanen Treibens entschieden?

Henrike Naumann: Da meine künstlerische Praxis nicht klassisch ist, habe ich lange – ziemlich fatal – nach einer großen Studiofläche in Berlin-Neukölln Ausschau gehalten. Ich verstand dann irgendwann, nach langer, erfolgloser Suche, dass ich eher was Unsaniertes, wie eben hier mein Raum in der Leiser-Schuhzentrale, brauche. An einem Ort zu arbeiten, an dem sich die Kunst-Bubble nicht isoliert, finde ich sogar sehr schön. Hier nebenan ist gleich ein Jobcenter, so ist der Beruf der Künstlerin auf Augenhöhe mit anderen Sparten verortet. Kunst ist etwas, von dem man lebt, deswegen bin ich hier – umgeben vom bunten Branchen-Mix – ganz glücklich.

Regelmäßig wirst Du als „deutsche Installationskünstlerin“ bezeichnet. Deine Arbeit ist aber nicht wirklich in die gängigen Kategorisierungen einzuordnen. Also: Was machst Du in Deinem Studio – und vor allem: Wie machst Du es!?

Meine Studioarbeit besteht darin, viel in Räumen zu sitzen, deren Decken übrigens nicht so hoch sind wie die von Galerien und Museen, und zu kucken, wie man hier und dort Möbel hinstellen könnte, welche Objekte farblich zu anderen passen würden. Ich arbeite ja nur mit Gefundenem. Meine künstlerische Arbeit besteht darin, zu kombinieren oder zu ergänzen, bis ich denke, dass das Ensemble vollständig ist. Vorher habe ich viel On-the-Go ohne Studio produziert, sozusagen direkt von den eBay-Kleinanzeigen in die Ausstellung hinein ... 

... Du willst in dem Sinne keine neuen Objekte produzieren.

Genau, ich beziehe alles sehr behutsam aus der Realität. Meine Rolle als Künstlerin sehe ich nicht darin, mir etwas ganz Neues auszudenken, sondern zu versuchen, aus dem, was da ist, einen Sinn zu destillieren, eine neue Bedeutung oder andere Zusammenhänge zu schaffen. Ich habe im vergangenen halben Lockdown-Jahr viel bewusster reflektiert, wie ich eigentlich arbeite, weil ich das erste Mal in meiner künstlerischen Laufbahn über Monate nur im Studio saß und viel allein entwickelt habe.


„Die Lagerlogistik ist der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeitsweise.“

Wir befinden uns in einer Art Depot oder Archiv, wo Möbel, Objekte, Ensembles eingepackt gelagert sind. Wo sind wir hier?

Das ist mein Werkverzeichnis. Hier werden die fertigen Installationen eingelagert. Dieser Ort stellt das zentrale Archiv meiner Arbeit dar. Im Fundus einige Stockwerke über uns, wo ich verschiedenste Fundstücke, Elemente und Objekte lagere, wähle ich die Teile aus, selektiere sie vor. In diesem Jahr haben mein Team und ich uns während des Lockdowns viel von Privatleuten über eBay-Kleinanzeigen schicken lassen. Im Fundus werden dann meine Ensembles entwickelt und ausgefeilt. Die Lagerlogistik ist der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeitsweise, da ich vor allem Möbel, und die sind oft sperrig und schwer, als mein künstlerisches Medium gewählt habe. 

Bitte beschreibe, was sehen wir?

Das ist die Installation „Ruinenwert“ für das Haus der Kunst in München aus dem letzten Jahr hier eingelagert. Dort siehst Du „Das Reich“, eine Installation, die ich kürzlich im Belvedere21 in Wien gezeigt habe, und hier die Installation „Anschluss 90“, die ich 2018 unter anderem beim „steirischen herbst“ zeigen konnte. Meine Arbeit „DDR Noir“ von 2018, die oft besprochen wurde, siehst Du hier. Wir haben jetzt auch wieder ein bisschen Platz schaffen können, da meine Arbeit „Ostalgie“ aktuell nach Moskau unterwegs ist. 

Wie behältst Du hier in den Überblick?

Jedes Möbelstück erhält eine Nummer und wird in einer Excel-Tabelle verzeichnet. In der Vergangenheit, als ich noch keine so großen Lagerflächen zur Verfügung hatte, achtete ich darauf, eine Installation direkt von einer Ausstellungslocation zur anderen wandern zu lassen, damit sie immer in Bewegung bleibt. Beim Aufbau erlebte ich manchmal Überraschungen, wenn sich zum Beispiel ein Stuhl, der eigentlich zu einer anderen Installation gehörte, hinein geschummelt hatte. Jetzt können meine Arbeiten direkt hier im Atelier abgeholt werden.

„Meine Arbeitsweise passt gar nicht richtig in die Zeit.“

Viele Möbel sind in Luftpolsterfolie eingewickelt und übereinandergestapelt. Aber hier gibt es eine rote Rolle – packst Du besonders wertvolle Objekte in dieses flauschige Vlies?

Das ist Mythos (lacht)! So dekadent sind wir nun auch wieder nicht. Das ist Zonk-Plüsch. Daraus haben wir eine kleine Edition von „Zonk-Deckchen“ für den Kunstverein Leipzig produziert. Es gab eine Sat.1-Fernsehshow in den Neunzigern mit dem Titel „Geh aufs Ganze“, in der man schätzen musste, wie teuer zum Beispiel eine Waschmaschine ist. Wer gut schätzte, erhielt die Waschmaschine, wer verlor, bekam den Zonk als Trostpreis. Das ist ein Plüschtier, eine schwarzrote Stoffratte, und sieht wie ein kleiner Teufel mit langer Nase aus. Den Zonk hatte ich schon öfter in meinen Installationen, er steht für „leider nicht gewonnen“.

Viele Künstlerinnen arbeiten zunehmend digital, Deine Arbeit ist ja im Gegensatz dazu fast schon „demonstrativ analog“.

Meine Arbeitsweise passt gar nicht richtig in die Zeit. Alle werden kleinformatiger und digitaler. Ich merke aber, dass ich diese großen Räume brauche, um meine Geschichten zu erzählen. Für mich ist das der Weg. Dinge, die ich nicht richtig greifen kann, inhaltlich oder emotional zu manifestieren, um sie anfassen, fühlen und diskutieren zu können. Hier in meinem Werkverzeichnis befindet sich ganz viel Material, das ich in Zukunft zur Diskussion stellen möchte. Ich muss jetzt nicht eine Installation nach der nächsten ausspucken, aber mich treiben als Künstlerin Fragen wie: „Was hat sich bei mir und in der Gesellschaft verändert, seit diese Möbel in den Wohnungen standen?“ oder: „Wie reflektiere ich Wohnstile und Einrichtungen heute – mit Distanz und zeitlichem Abstand?“

Wir sind nun mit Dir zum lichtdurchfluteten Fundus einen Stock höher gewandert, voll geräumt mit Wohnaccessoires. Wirkt wie ein Nachlass! Wenn Du hier sortierst, ist das ein Auflösen oder Aufräumen?

Das sind Einzelstücke, die noch nicht Teil einer künstlerischen Arbeit geworden sind, gewissermaßen ist es tatsächlich ein Nachlass, den ich als Künstlerin hier vorfinde. Es ist, als ob man ein Gerät in lauter Einzelteilen geliefert bekommt. Es gibt aber keine Gebrauchsanweisung mehr. Man staubt alles ab, um zu kucken, was das alles eigentlich ist und welche Funktion die Elemente haben könnten. Es ist der Versuch, etwas zusammenzubauen, von dem man nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt. Wenn ich es lange genug versuche, finde ich irgendwann den Zweck.

Folgst Du hier einer Ordnung?

Der „Fundus-Gedanke“ spielt eine wichtige Rolle in meiner Praxis, die darin besteht, ein Objekt zu suchen, zu finden und danach greifen zu können. Alles hier ist nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet: nach Farbe, nach Form, aber auch nach Kriterien wie „Beklemmung“. In letzter Zeit fühle ich mich manchmal wie eine Malerin, da ich nach Farben sortiere. Diese Vorgehensweise triggert dann viele Ideen. Es geht darum, Konstellationen zu finden, die – zumindest für den Moment – einen Sinn ergeben könnten. 

„Ich kann die Micky Maus nur zeigen, wenn ich auch den Baseballschläger dazustelle.“

Sortierst Du auch nach Aura? Behandelst Du ein Objekt, das für Dich zum Beispiel für Radikalismus steht, anders als jenes, das Du positiv bewertest?

Es ist tatsächlich so, dass ich zu manchen Alltagsobjekten der Achtziger- und Neunzigerjahre ein sehr freundschaftliches Verhältnis pflege. Manche mag ich, und es macht mir auch Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Ich habe aber auch viel mit politischen Memorabilien gearbeitet. Das war ein persönlicher Horrortrip, durch den ich mich durchschicken musste und wollte. Es ist klar, ich kann die Micky Maus nur zeigen, wenn ich auch den Baseballschläger dazustelle.

Warum?

Es gibt für mich keine unschuldige Erinnerung an eine Jugend in den Neunzigern. Sie ist mit Gewalt und Radikalisierung verbunden. Nostalgie existiert eigentlich nie ungebrochen. Wenn ich Dinge finde, die dezidiert aus der rechten Ecke stammen, erschrecke ich. Ich tue mir schwer, mit ihnen umzugehen. Wenn ich als Künstlerin Objekte bewusst mit Bedeutung auflade oder welche, die mit einer bestimmten Ideologie behaftet sind, zur Diskussion stelle, können interessante Debatten heraufbeschworen werden. Ich kann gar keinen Giftschrank mit kritischen Objekten öffnen, da ich mich von allen Sachen, die nicht Teil einer Installation sind, getrennt habe.

Arbeitest Du für Ausstellungen in Österreich anders als in Deutschland?

In Österreich habe ich für meine Ausstellungen viele Objekte über die Onlineplattform willhaben.at gefunden. Dort gibt es einen Suchmodus, der mit einem Algorithmus optisch ähnliche Dinge findet. Das war für mich natürlich super. Es werden dort tatsächlich sehr viele Objekte angeboten, die ich auch aus Deutschland kenne. Wenn ich mich mit der Geschichte Deutschlands und Österreichs auseinandersetze, stellen sich mir Fragen wie: Was sind die gemeinsamen Gewalt-Vergangenheiten? Wie wirken sie heute noch fort? Wie werden sie kommuniziert? Was macht das, wenn die gleichen Möbel in der Steiermark und in Zwickau stehen? Meine Sprache sind die Möbel, sie kommunizieren für mich das, was schwierig in Worte zu fassen ist. 

Henrike Naumann wurde 1984 in Zwickau (DDR) geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin und wird von der Berliner Galerie KOW repräsentiert — die unter der Leitung von Nikolaus Oberhuber & Co auch einen österreichischen Background hat. Naumann reflektiert gesellschaftspolitische Probleme auf der Ebene von Design und Interieur und erkundet das Reibungsverhältnis entgegengesetzter politischer Meinungen im Umgang mit Geschmack und persönlicher Alltagsästhetik. In ihren immersiven Installationen arrangiert sie Möbel und Objekte zu szenografischen Räumen, in die sie Video- und Soundarbeiten integriert. In Ostdeutschland aufgewachsen erlebte Henrike Naumann in den 90er-Jahren die rechtsextreme Ideologie als dominante Jugendkultur. Ihre Praxis reflektiert die Mechanismen der Radikalisierung und den Zusammenhang mit persönlicher Erfahrung.
henrikenaumann.com

Galerie Kow
Wo sind demnächst Ausstellungen von Henrike Naumann zu sehen?

"We never sleep"

Schirn Kunsthalle Frankfurt

Bis 10. Januar 2021


"Kunst in Zeiten des Zorns"

Kunstpalast Düsseldorf

22. Januar bis 6. Juni 2021

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