Die Festivalleiterin

Eine menschliche Welt und große Ungeheuerlichkeiten

Wir treffen Djamila Grandits, die gemeinsam mit Julia Sternthal vergangenes Jahr die Leitung des This Human World Filmfestivals übernommen hat. Eine großartige Veranstaltung! Es widmet sich den Menschenrechten und gibt denen, die oftmals nicht gehört werden, eine Stimme. Dieses Jahr feiert das Festival  – eines der größten Wiens – sein zehnjähriges Jubiläum. Wir diskutieren mit Grandits, ob man im Kinosessel sein schlechtes Gewissen beruhigt, wie objektiv Filmemacherinnen sein können und wie lustvoll das Festival trotz der Ungeheuerlichkeiten auf dieser Welt doch sein kann.

Shilla Strelka: Gratulation zum runden Geburtstag! Ich stelle es mir schon sehr belastend vor, als Festivalleiterin hunderte Filme zu sichten, die sich größtenteils mit sehr bedrückenden Themen auseinandersetzen. Wie schaffst Du es, Dich abzugrenzen?

Djamila Grandits: Danke für die Glückwünsche! Ich kann mich da mittlerweile ganz gut abgrenzen, außerdem beruhigt es ja auch, wenn man informiert ist. Trotzdem gibt es Themen, die mich immer wieder echt wütend und traurig machen. Wenn starre, unflexible Systeme das Zwischenmenschliche ausblenden, keine Empathie zeigen oder sie einfach nicht zulassen und dabei völlig unschuldige Menschen, nur auf Grund fehlender Flexibilität, zu Opfern werden.

„Ich bin in einer sehr politischen Familie aufgewachsen.“

Du bist eine sehr politische Person. Woher kommt Dein Engagement?

Ich bin in einer sehr politischen Familie aufgewachsen. Mein Mutter war in meiner Kindheit und Jugend in diversen Institutionen tätig, die sich für die Flüchtlinge der Balkankriege eingesetzt haben. Dazu kommt bestimmt, dass ich als schwarze Person in Österreich aufgewachsen bin und meine Mutter Burgenland-Kroatin ist. Bei so einem familiären Hintergrund musst du dich in Österreich automatisch mit Schubladendenken und Vorurteilen beschäftigen. Was ich aber nicht unbedingt als nur negativempfinde. Es hilft mir, vieles besser zu verstehen, nicht zuletzt das, was ich auf der Leinwand sehe.

Wie siehst Du den Rechtsruck in der neuen österreichischen Regierung?

Das ist eine Katastrophe. Es ist extrem schwer abzuschätzen, was jetzt passieren wird, inwiefern wir mit Kürzungen in sozialen und kulturellen Bereichen rechnen müssen. Wenn es wie in Oberösterreich wird, dann dürfen wir uns auf einiges gefasst machen. Aber vielleicht ist es ja auch ein Anlass, sich zivilgesellschaftlich wieder mehr zu engagieren, sich zusammenzuschließen und Zeichen zu setzen.

THIS HUMAN WORLD ist zehn und mittlerweile richtig groß. Wie hat alles begonnen?

Das Festival wurde 2008 aus dem Schikaneder Kino heraus initiiert, aufgrund der Tatsache, dass es zu dieser Zeit viele unabhängige Dokumentar- und politische Filmproduktionen gab. Das 60-jährige Jubiläum der Menschenrechtsdeklaration wurde zum Anlass genommen, das Festival zu gründen, und das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte stieg als fachkundiger Gründungspartner mit ein. Es hat damals nur im Schikaneder und im Top Kino stattgefunden, und es gab kaum öffentliche Förderungen, ist dann aber so gut angenommen worden, dass es über die Jahre gewachsen ist. Schon relativ bald kamen Gartenbaukino und Filmcasino dazu – und in den letzten Jahren auch die Brunnenpassage.

Eure Themen sind das eine, aber im Medienzeitalter ist auch die Frage relevant, wie man sie adäquat vermittelt. Wie ästhetisch darf ich Hunger und Krieg darstellen? Wie nah kann man etwas kommen, wie viel Abstand und Neutralität kann man wahren, wie subjektiv darf man sein?

Es geht uns tatsächlich nicht nur um die Themen selbst, sondern auch darum, wie man sich diesen filmisch nähert. Seit mehreren Jahren gibt es auch ein Wettbewerbsprogramm und Jurys. Mittlerweile geht es mehr um das Filmschaffen als am Anfang, um künstlerische Formen und Herangehensweisen und die Frage, was ist das Dokumentarische überhaupt? Nach wie vor sind Menschenrechte und gesellschaftspolitische Themen im Fokus, aber es geht auch darum, wie diese formell verhandelt werden. Über die Jahre sind außerdem viele neue Initiativen entstanden, Kooperationspartnerinnen und NGOs dazugekommen.

Kuratiert Ihr beiden das gesamte Programm alleine oder mit einer Jury?

Es gibt keine klassische Programmjury. Julia und ich haben die künstlerische Leitung und kuratieren einen Großteil des Programms auch tatsächlich selbst. Was es sehr wohl gibt, sind Reihen, die von Kooperationspartnerinnen oder Kuratorinnen zusammengestellt werden.

„Es geht um ein kollektives Kinoerlebnis.“

Wie findet Ihr die Filme? Viele davon sind ja völlig unbekannt.

Wir sehen sie entweder auf anderen Festivals oder sind mit Verleiherinnen in Kontakt und wissen dadurch, was erscheinen wird. Es gibt auch Filmschaffende, die wir auf dem Schirm haben. Viel passiert über Katalogrecherche. Dann fragen wir an, sichten und entscheiden im Sichtungsprozess, was in unsere Auswahl kommt.

Ihr habt ja auch Experimental- und Kurzfilme im Programm – welche experimentellen Herangehensweisen kommen für die Aufarbeitung politischer Themen in Frage? Passt auf den ersten Blick ja nicht unbedingt zusammen ...

Es gibt einen Kurzfilmwettbewerb, der ist beschränkt auf Experimental- und Animationsfilme. Es geht uns darum aufzuzeigen, dass es auch formell weniger konventionelle Zugänge gibt, um politische Themen aufzuarbeiten. Die Auseinandersetzung reicht von vage bis explizit. Das kann eine assoziative Anspielung sein, das kann aber auch über den Ton und andere formelle Mittel passieren. Aber es soll trotzdem klar eine Verbindung zu etwas Politischem, Widerständigem, Gesellschaftskritischem da sein. Über Animation kannst man ganz andere Dinge erzählen – seien es Reenactments oder Erinnerungen oder Traumebenen oder Gefühlszustände. Das gilt genauso für experimentellere oder abstrakte Filme. Es muss nicht immer direkt sein.

Bei den Spielfilmen stelle ich mir die Auswahl schwierig vor, wie selektiert ihr da? Es gibt ja genügend Beispiele des gesellschaftskritischen Kinos, die in der Narration oft manipulativ oder reißerisch funktionieren und mit den Gefühlen des Publikums spielen.

Das gilt wahrscheinlich für Dokumentarfilme genauso. Ich glaube, dass auch die einseitig, manipulativ und Blick lenkend sein können. Ich finde es sehr wichtig, dass wir wegkommen von der Idee, dass das Dokumentarische das Wahre, das Echte, das Gezeigte ist und der Spielfilm das Inszenierte, weil eine Inszenierung in beiden Fällen stattfindet. Es ist eher die Frage, was wird erzählt, und welche Mittel werden dafür herangezogen?

„Die Realität, in der wir leben, ist durchzogen von Ungeheuerlichkeiten.“

Inwiefern ist es wichtig, diese Filme im Kino – in der Gemeinschaft – zu sehen?

Ich glaube, das gemeinsame Seherlebnis macht einen großen Unterschied aus, weil dieses kollektive Erleben, Teil einer Umgebung, einer Gesellschaft, einer Gruppe sein, etwas mit dir macht. Außerdem laden wir viele Filmschaffende zu den Aufführungen ihrer Werke ein. Es gibt Diskussionen und die Möglichkeit zur Reflexion und zum Austausch danach. Das ginge auf dem Sofa zu Hause nicht.

Ihr arbeitet seit der Gründung mit NGOs zusammen. Einerseits wollt Ihr die Menschen aus ihrer Komfortzone drängen, auf der anderen Seite ist Kino Wohlfühlzone, wo man bequem im Kinosessel sein schlechtes Gewissen beruhigt. Versteht Ihr Euch auch als Wegbereiterinnen im aktiven Engagement?

Es ist schwierig, diesen Anspruch zu stellen, wobei das Festival natürlich schon Anstoß geben möchte, sich zu engagieren, in welcher Form auch immer. Ich glaube, dass für manche Leute das Engagement schon darin liegt, sich mit der Realität zu konfrontieren. Dann gibt es aber auch Menschen, die noch nach Andockstellen für ihr Engagement suchen. Das Festival gibt uns die Möglichkeit, aufzuzeigen, welche Initiativen es gibt. Wir involvieren auch Expertinnen aus Theorie und Praxis, Menschenrechts- und politische Aktivistinnen, mit denen das Publikum in Kontakt treten und sich nach den Screenings austauschen kann. Was wir dieses Jahr einführen, ist ein Solidarity Ticket – Besucherinnen haben die Möglichkeit, zwei Euro Aufpreis zu zahlen und dabei eine von fünf Initiativen zu unterstützen (siehe unten).

„Es sind durchaus Produktionen dabei, die einen zum Schmunzeln bringen.“

Als politisches, sozial engagiertes Festival müsst Ihr Eintritt verlangen. Die behandelten Themen betreffen aber vielleicht auch Menschen, die es sich mitunter nicht leisten können, ins Kino zu gehen.

Das ist auf jeden Fall schwierig. Ich bin wahnsinnig glücklich über die Kooperation mit der Brunnenpassage und dem Stand 129. Die verfolgen nämlich die Policy, dass Veranstaltungen nichts kosten dürfen. Wir haben außerdem das Glück, dass durch verschiedene Kooperationen einige Screenings bei freiem Eintritt stattfinden können. Aber es ist leider schon so, dass ein Großteil der Filme einen Ticketkauf verlangt. Wir versuchen dafür, eine moderate Preispolitik zu fahren, müssen aber auch überleben und die Kinos und Mieten zahlen. Es ist leider alles ziemlich prekär.

Ihr nehmt Euren Anspruch auf Internationalität tatsächlich ernst. Was für eine Rolle spielen die Produktionsbedingungen für filmisches Schaffen in anderen Ländern? Da, wo sie gut sind, wird mehr produziert, wo sie schlecht sind, werden wichtige Themen vielleicht nicht kommuniziert. Wie erreicht man da eine Diversität?

Diversität und eine große Bandbreite an Produktionsorten abzudecken, ist uns auf jeden Fall ein großes Anliegen! Natürlich gibt es Länder, in denen wenig produziert wird. Man muss einfach ein bisschen stöbern, aber es findet sich dann doch immer relativ viel. Es ist wichtig und schön, Produktionen im Programm zu haben, die ihren Weg ohne unser Engagement nicht hierher finden würden, und es hilft den Filmemacherinnen und den Filmen, wenn sie auf unserem Festival gezeigt werden.

Welche Themen behandeln die diesjährigen Produktionen?

Der Eröffnungsfilm ist ein österreichischer Film und heißt Weapon of Choice. Er ist von Fritz Ofner und Eva Hausberger und widmet sich der Geschichte der österreichischen Firma Glock und der gleichnamigen Waffe – und wie diese als die amerikanische Waffe vermarktet wird.

Es gibt heuer auch viele Filme, die sich stark mit Identität auseinandersetzen, wie etwa „Heimweh“ von Ervin Tahirovic, der seine Flucht aus Bosnien während des Balkankrieges rekonstruiert und an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt.

Es gibt Reflexionen zu aktueller Migrationssituation und -politik. Es gibt den Film „Sand and Blood“, der sehr differenziert den Syrien-Konflikt thematisiert, in dem nur mit Found Footage aus YouTube-Videos gearbeitet wird und dann von drei Menschen, die aus Syrien geflohen sind und jetzt in Österreich leben, kommentiert wird. So wurden Bilder kontextualisiert, die sonst lose im freien Raum umherfliegen. Es gibt den Film von Iris Blauensteiner „Rast“ über einen Rastplatz bei Wien-West. Interessant ist auch  „Overnight Flies“ von Georg Tiller, der über eine eigenwillige Freundschaft zweier älterer Herren auf einer schwedischen Insel berichtet.

Die Erwartung an ein Filmfestival, dessen Fokus auf dem Thema Menschenrechte liegt, ist ja eigentlich, dass die gezeigten Filme betroffen machen und Missstände aufzeigen. Gibt es bei Euch auch Produktionen zu sehen, die lebensbejahend, optimistisch und hoffnungsvoll sind?

Es muss nicht immer tragisch sein. Ich glaube, dass die Realität, in der wir leben, durchzogen ist von Ungeheuerlichkeiten, aber dass es verschiedene Wege gibt, damit umzugehen und darüber zu erzählen.

Es gibt auf jeden Fall Filme, die lustig sind und spannende Lebensrealitäten aufzeigen. Ein Beispiel wäre „Ouaga Girls“, ein Portrait von jungen Frauen, in Ouagadougou, die eine Mechanikerinnenlehre machen. Der Film ist getragen von Humor und der Stärke der Protagonistinnen. Es gibt außerdem einen Schwerpunkt zum Thema Sex, der sich „My Body my Rules“ nennt, wo es um Lustvolles geht und um einen positiven und offenen Umgang mit der eigenen Sexualität. Es sind durchaus Produktionen dabei, die einen zum Schmunzeln bringen.

Wir danken herzlichst für das Interview.


THIS HUMAN WORLD
30. 11.–10. 12. 2017


Das gesamte Programm und Tickets gibt es hier!


Solidarity Ticket:

Wer zu seinem Ticket zusätzlich zwei Euro zahlt, kann folgende Projekte unterstützen:

WE DEY, ein spannender neuer Kunst- und Kulturraum von People of Color, der von Ausstellungen über Community-Arbeit bis hin zu diskursiven Veranstaltungen alles Mögliche macht.

Watch The Med setzt sich für die Seerettung von Flüchtlingen ein.

Queer Base, eine Wiener Organisation, die sich für queere, geflohene Menschen einsetzt.

afrique-europe-interact, ein transnationales Netzwerk, das selbstverwalteten und selbstorganisierten Kampf für Bewegungsfreiheit und Rechte von Geflohenen unterstützt.

Delta Cultura, ein Bildungsprojekt, das ein Freizeitzentrum und einen Kindergarten auf den Kapverden betreibt.


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