Der Kronthaler

Woher kimmsch'n du?

Aufgewachsen ist der Modedesigner Andreas Kronthaler, Ehemann von Vivienne Westwood, im Zillertal in Tirol. Wir könnten ihn fragen, wie es so war, Tee mit Prince Charles zu trinken. Tun wir aber nicht. Wir sprechen über die Mostbeer-Nocken seiner Oma und die Pelzmäntel der alten Tante in Graz. Dieses Interview entstand im Sommer 2022, inzwischen ist Vivienne Westwood verstorben. Wir haben es nicht geändert und so belassen, wie es damals gehalten wurde. Wir senden der Familie Westwood und Kronthaler unser herzliches Beileid.

„Sie mag meine Schultern, da lehnt sie sich gerne an.“

Antje Mayer-Salvi: Ich erreiche Dich in London, Du bist in Tirol aufgewachsen?

Andreas Kronthaler: Ich besitze seit kurzem die britische Staatsbürgerschaft. Das war vielleicht eine Prozedur! Da muss man Tests bestehen und wird die Geschichte des Landes abgefragt und so weiter. Das war eigentlich alles ganz lustig und am Ende fand sogar eine feierliche Willkommens-Zeremonie statt.

Man hört noch Deinen Tiroler Dialekt heraus, heißt es nicht: einmal Tiroler immer Tiroler?

Woher kimmschn du?! (lacht) Ich bin ein Tiroler und in zweiter Linie erst ein Österreicher. Das beides ist das Herz. Das Britische steht für mich für den Geist und die Kreativität, für die unglaublichen Möglichkeiten, die mir dieses Land bietet, für eine Offenheit Neuem gegenüber und für diese große Vernetzung mit der ganzen Welt, die nicht zuletzt historisch vom British Empire herrührt. 

Wie schafft man es von einem 3.000-Seelen-Dorf im Zillertal in die große weite glamouröse Welt der Kunst und Mode? Bitte erzähle uns von Deiner Kindheit!

Meine Mutter war Antiquitätenhändlerin, mein Vater ein begnadeter Kunstschlosser. Er betrieb eine Werkstatt mit über eine Dutzend Mitarbeitern bei uns im Haus. Ich bin oft zu ihm runter und habe ihm zugeschaut. Mein Vater war ein sehr angesehener Handwerker. Seine Kunden kamen aus ganz Tirol und sogar aus Bayern zu uns ins Zillertal. Es gab eine irrsinnige lange Warteliste für seine Sachen. Einige haben sogar mehrere Jahre warten müssen. Ein Grabkreuz von ihm war etwas ganz Besonderes, „Do hoscht scho jemand sein müassn.“

„Do hoscht scho jemand sein müassn.“

Hast Du von Deinem Vater Dein künstlerisches Talent geerbt?

49 Prozent von der Mutter und 51 Prozent vom Vater (lacht). Von sich selbst als talentiert zu sprechen, ist nicht mein Ding. Mein Vater war ein toller Typ und ein sehr gemütlicher Mensch, ja auch irgendwie ein Künstler. Erst nachdem er gestorben war–vor ein paar Jahren war das–ist mir bewusst geworden, wie sehr er mich und meine Arbeit beeinflusst hat. Die Kunst, beziehungsweise später die Goldschmiederei, war eine Art Brücke zum Modemachen für mich. Sie setzt sich in Bezug zum Körper, wie die Mode. 

War Mode schon immer Dein Plan?

Immer, ich wollte immer schon Mode machen. Auf unserem Dachboden standen Schränke voller Kleider, Accessoires und Textilien von meiner Großmutter und Mutter, mit denen wir Kinder, vor allem im Sommer, Modeschauen und Theaterstücke aufführten. Wir hängten sogar Plakate im Dorf auf und die Freunde meine Eltern kamen dann Samstagnachmittag zu unserer Show. Sie mussten natürlich Eintritt zahlen. Wir hatten sogar einen eigenen Kassier und Tickets. Vom Erlös sind wir dann immer Eis essen gegangen. Das war super!  

Deine Großmutter und Mutter haben sich ihre Kleider noch liebevoll aufbewahrt, heute landet alles im Container, die Modeindustrie, deren Teil Du bist, hat sich da völlig verrannt, oder?

Dieser Konsumwahnsinn mit zig Kollektionen im Jahr hat längst den Zenit überschritten. Nachhaltigkeit war und ist ein großes Thema bei Vivienne Westwood, schon seit langer, langer Zeit. Das Label hat alles Mögliche in dieser Richtung initiiert und versucht. Alles ist darüber gesagt. Ich beginne jedoch langsam, das Thema anders zu betrachten, ganzheitlicher.

„Der Zufall ist dabei der beste Schmied.“

Du meinst, das mit der Nachhaltigkeit ist nicht nur technisch lösbar? Frei nach Heidegger: „Es muss göttern“?

Ja, das klingt schön! Es geht um ein anderes Bewusstsein und die Freude, ein Kleidungsstück zu tragen und um die Aura der Mode. Es ist ein bisschen so wie mit dem Essen. Manches ist vielleicht nicht zu hundert Prozent gesund, was wir trinken und essen, ber es macht uns glücklicher und wir die Welt vielleicht damit ein Stück besser. Es geht um die Sicht auf das Ding und Kleidungsstück, wie man es zelebriert, wie man es genießt und es damit in die Welt bringt. Die althergebrachten Definitionen der Kategorien nachhaltig, nicht nachhaltig, ungesund, gesund stimmen für mich nicht mehr.   

Wie wirst Du kreativ? Was inspiriert Dich?

Ich höre Gustav Mahler, Richard Strauß und Richard Wagner. Ich liebe Wagner! Vivienne und ich besuchen sehr viele Konzerte in London. Die klassische Musik hat sie von mir. Mich inspiriert irgendwas auf der Straße, etwas im Radio, eine Fotografie, ich schneide irgendwo was ab oder zeichne, ich kann das gar nicht eingrenzen. Ich sammle alles Mögliche. Ich habe einen wahnsinnigen Spaß am Prozess, mich interessiert der Weg mehr als das Ziel. Ich probiere viel, oft lande ich in einer Sackgasse. Der Zufall ist dabei der beste Schmied. Man muss nur offen für ihn bleiben. Das ist das Geheimnis. 

You have to trust art ...

... und am Ende deiner eigenen Urteilskraft. Ich kann schon ein bisschen tirolerisch stur sein. Wie oft haben wir an etwas festgehalten, uns nicht beirren lassen, bis es endlich als gut erkannt wurde – etwa an den Röcken für Männer.

„Meine Omas haben gekocht wie Göttinen.“

Wie verträgt sich Deine Sturheit mit Vivienne Westwoods Charakter?

Manchmal kommt es zum Gefecht. Aber sehr selten. Vivienne und ich arbeiten so gegensätzlich. Sie geht die Dinge ganz anders an, sie nimmt was her und baut es auf. Ich nehme ganz viel her und baue es Stück für Stück ab. Meine Methode ist leider oft sehr aufwendig und zeitraubend. 

Du bist eher wie ein Bildhauer, sie wie eine Töpferin. Beeinflusst Deine Herkunft Deine Mode?

Als ich jung war, waren mir meine Wurzeln komplett egal. Je älter ich werde, desto mehr komme ich in Frieden mit ihnen, auf eine spielerische und humorvolle Weise. Für mich ist es nicht so sehr die Kleidung oder die Tracht, sondern eher der Umgang mit Essen, der mir in Erinnerung ist und meine Arbeit inspiriert. Ich komme aus einem Haus, wo Essen sehr wichtig war. Meine Omas haben gekocht wie Göttinnen. Als Bub verbrachte ich mit meiner Oma im Sommer regelmäßig ein paar Wochen auf der Alm. Die besaß ein Gasthaus und die konnte kochen! Wenn die Mostbeeren, das sind Heidelbeeren, reif waren, ging ich zum Pflücken mit der Riffel durch die Berghänge. Mostbeer-Nocken hat sie dann für mich gemacht, flaumig waren die, herrlich! Einen blauen Mund und blaue Zähne habe ich danach gehabt. 

„Man war bei uns im Zillertal gar nicht so kleinkariert.“

Gehören Essen und Mode für Dich zusammen?

Aber ja. Dieser unglaubliche Aufwand, der für gutes Essen in meiner Kindheit betrieben wurde! Diese Präzision, mit der meine Mutter Erdäpfeln geschnitten hat. Diese Ehrfurcht und Sinnlichkeit, ja fast erotische Beziehung zu Speisen. Was ist denn die Funktion von Nahrung, Kleidung und Mode? Dass man satt wird und einem nicht kalt wird, aber am Ende geht es darum, zu genießen, sich kennenzulernen, zu gefallen, um Sex, Erotik und Sinnlichkeit.

Warst Du in der Jugend extravagant angezogen?

Immer. Niemand hat sich im Dorf drum geschert. Man war bei uns im Zillertal gar nicht so kleinkariert, wie man meinen mag, vielleicht durch die vielen Touristen. 

Du bist mit 14 Jahren nach Graz ins Internat auf eine Kunstgewerbeschule mit Matura und danach hast Du dort eine Ausbildung zum Goldschmied gemacht?

Von dieser Schule hatte mir ein ganz toller Religionslehrer in Tirol erzählt. Dieser Schritt war die erste große Veränderung in meinem Leben und hat meinen Horizont weit geöffnet. Dort konnte ich alle künstlerische Praktiken ausprobieren: Keramik, Goldschmiedkunst, Malerei und so weiter. In Graz lebte eine alte Tante, die leider schon verstorben ist, und der habe ich Kleidungsstücke abgeändert.

„In die Pelzmäntel meiner Tante bin ich wie Harakiri rein.“

Für Geld?

Ja, klar, davon habe ich jahrelang gelebt. In ihre Pelzmäntel bin ich in Harakiri-Manier rein. Ich habe für sie gestalten können, was ich wollte. 

Deine alte Tante hat Deine ersten Entwürfe getragen? Mutig!

Meine Tante fand sie toll, das waren richtig wilde Sachen, meiner Mutter waren sie nie gut genug. In Tirol ließ man sich früher den Großteil seiner Garderobe von einer Schneiderin anfertigen. Am Samstagnachmittag pflegte meine Mutter zur Anprobe zu gehen. Eine andere Schneiderin war spezialisiert auf Alltags-, eine weitere auf Festtagstracht. Für Jacken und Pullover gab es sogar eine Strickerin. Die Stoffe hatte man sich meistens in der Stadt gekauft, man hat unglaublich viel Zeit für Kleidung investiert.

Trägst Du Tracht?

Meine Mutter trug oft Dirndl. Tracht kann schon fesch sein, kommt drauf an, wer sie warum trägt, meine schwarz Lederhose mit T-Shirt mag ich gern an mir. 

Wie findet Vivienne die Tiroler Berge?

Vivienne ist selbst auf dem Land in Nordengland aufgewachsen, ihr Vater war Hundezüchter. Sie begegnet in Tirol allen mit einem unglaublichen Interesse. Sie hat einen wahnsinnigen engen Bezug zu Tieren und der Natur. Meine Familie, mein Bruder ist Bergbauer, schätzt das sehr an ihr. Wir fahren seit Jahrzehnten regelmäßig in die Berge nach Österreich, wo ich den alten Bauernhof meiner Großmutter aus dem 15. Jahrhundert wiederhergerichtet habe. Hätte ich gewusst, wie aufwendig das ist, hätte ich es vielleicht nicht gemacht. Jetzt fehlt nur noch die barocke Kapelle. 

„Vivienne hat einen wahnsinnigen engen Bezug zu Tieren und der Natur.“

Mag sie Deine Tiroler Art?

Ich glaube, sie mag meine Schultern, da lehnt sich gerne an (lacht). Sie sagt, es sei für sie inspirierend, wie ich die Dinge betrachte. Das kann ich aber nur zurückgeben. Sie hat so ein großes Wissen, sie kann gefühlt tausende Lieder auswendig, unzählige Gedichte und seitenweise Shakespeare rezitieren. Das Gegenteil von mir! 

Auf was kommt es im Leben an?

Die Liebe! Und ich denke, alle haben ein Recht auf Zeit und die Freiheit zu tun, was sie wollen. Das Leben sollte Freude bereiten. Leicht muss es gehen!

Dieses Interview ist in der Printausgabe 5/2022 „The Provinz Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem Shop bestellen.
Andreas Kronthaler ist 1966 in Fügen in Tirol geboren, gelernter Goldschmied und studierte Industrie- und später Modedesign an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er Vivienne Westwood, seine spätere Ehefrau kennenlernte, die er 1992 heiratete. Westwood sagte über ihren Mann, dass er der talentierteste Mensch sei, den sie je getroffen habe.

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